Königshofen. Der ruhige Ort Königshofen wird an Ostern 1945 zur Feuerhölle: Deutsche Soldaten stehen anrückenden amerikanischen Panzertruppen gegenüber. Das Städtchen steht nach Luftangriffen in Flammen – und mittendrin die 18-jährige Hildegard Ott. Sie erlebt den Schrecken des Zweiten Weltkriegs hautnah, als ihr Heimatort vor allem durch schwere Bombardierungen, sowie Artillerie- und Panzerbeschuss zu 75 Prozent zerstört wird.
„Der ganze Ort lag in Trümmern“, erinnert sich die heute 98-Jährige. Ein riesiges Flammenmeer und später verkohlte Ruinen in Königshofen: Ein Bild, das sich ins Gedächtnis von Hildegard Ott im wahrsten Sinne des Wortes eingebrannt hat. Ihren Lebensmut und ihre Neugier konnte das Erlebte aber nicht brechen. Schon früh nach dem Krieg beginnt die junge Frau die Welt zu erkunden und zu reisen – anfangs mit einem Herrenrad ohne Gangschaltung.
Schnell werden die deutschen Soldaten zu „Hasen“
Die militärische Situation wenige Wochen vor der Kapitulation der Wehrmacht am 8. Mai 1945: Die Amerikaner kommen von Westen, nähern sich Ende April 1945 dem Taubertal. Das bevorstehende Gefecht werde ja nur eine „Hasenjagd“ auf die amerikanischen Verbände, sagt ein deutscher Soldat den Einwohnern in voller Überzeugung und im Glauben an den „Endsieg“. Dass am Ende unter hohen Verlusten die Deutschen diese Hasen sein würden, das stellt sich schnell heraus. Es fehlt den größtenteils jungen Frontsoldaten an Erfahrung, Waffen, Munition und Nachschub.
Zwischen den Mühlsteinen der kämpfenden Truppen: Wie erging es da den Bewohnern von Königshofen? Hildegard Otts Eltern hielten sich damals bei einer Tante im nahen Deubach auf. Sie selbst war im Ort bei einer Verwandten geblieben. Vieh wurde aus den Ställen ins Freie getrieben, man suchte für sie Schutz hinter der Stadtmauer. Einwohner verbarrikadierten sich in den örtlichen Kellern. Doch durch das Bombardement und den dadurch entfachten infernalischen Feuersturm kamen ein Dutzend zivile Einwohner ums Leben, verendete Tiere lagen überall in den zerstörten Gassen.
Zurück bleibt eine Ruine – und die Kuh Lina
Die junge Hildegard hatte zunächst versucht, sich in Richtung Sailtheimer Straße/Dreifaltigkeitsbild im Westen hangaufwärts in Sicherheit zu bringen. Dort wurde sie von deutschen Soldaten aufgehalten und zurückgeschickt. In einem der überfüllten Kellergewölbe unterkommen solle sie vielleicht, da sei sie besser geschützt, hieß es. Das Haus der Familie Ott gerät durch die Kampfhandlungen in Brand, Teile können aber – auch dank der Nachbarn – gelöscht werden. Zurück bleibt trotzdem eigentlich nur eine Ruine. „Unsere Kuh Lina hatte überlebt“, erinnert sich Hildegard Ott. Es gelang, das frei herumlaufende Tier einzufangen. In der südlicher gelegenen Turmbergstraße standen noch einige Häuser und Scheunen, in einer Stallung „durften wir Lina dazustellen.“
Hildegard Otts Vater war von Beruf Schreiner, die kleine Landwirtschaft lief nebenher. Zum Glück hatten die im Keller gelagerten Kartoffeln den Brand heil überstanden, so war wenigstens die Nahrungsversorgung der Familien grundlegend gesichert. Um sie zu schützen habe man sämtliche Einmachgläser vorsorglich im Boden vergraben. Doch als man nachsah, waren alle durch die Hitze des Brands geplatzt, „alles war glühend heiß“.
Die „Mühle Neckermann“ am so genannten Taubertor, sie gehört Mitgliedern der weit verzweigten Familie Ott, bleib weitgehend unversehrt. Der Komplex weicht erst Ende der 1970er Jahre einem Neubau an gleicher Stelle.
Die Trümmerwüste schwelt tagelang
Die deutschen Einheiten hatten sich auf den Turmberg zurückgezogen, doch die erbitterten, blutigen Kämpfe gehen weiter, verlagern sich nach Osten, weg von der Tauber. Das im Tal liegende Königshofen ist zu einer brennenden, tagelang schwelenden Trümmerwüste geworden. Eine gute Woche lang nur besetzen die US-Truppen Königshofen, dann ziehen sie endgültig weiter. Zurück bleibt das, was eben übrigbleibt, wenn der Krieg über eine Ortschaft hinwegfegt: Leid, Zukunftsangst und die Toten, die man zu beklagen hat.
Hildegard Ott kommt zunächst bei Verwandten unter. Wie soll man im zerstörten Städtchen weiterleben? Wie bekommt man ein erstes, notdürftiges Dach über den Kopf? „In Wertheim gab es Baracken“, erzählt Hildegard Ott. Sie wurden nach dem Krieg zum Ab- und Wiederaufbau freigegeben. Die Hölzer wurden mit Lastautos nach Königshofen transportiert. Ihren Standort fanden die Notbaracken in den Ruinen – das letzte Gebäude wurde erst Ende des vorigen Jahrhunderts abgetragen. Leben in zwei behelfsmäßigen Zimmern „mit Herd und Plumpsklo“, mitten im Ortskern, für eine Tante lange der Alltag. Etwa ein Dutzend solcher Unterkünfte wurden errichtet, die örtliche Turnhalle diente anderen Einwohnern als Notquartier. „Mit dem, was noch da war haben wir eben gelebt“, erklärt Hildegard Ott.
Nach dem Krieg: Die Jugend schwingt sich aufs Rad
Wenn die Katastrophe etwas Gutes hatte, dann war es der starke Zusammenhalt, der sich nach dem Krieg in Königshofen entwickelt hat. Ein intensives Vereinsleben, eine Reihe kleiner Wirtschaften: Hier spielte sich das soziale Leben ab. Die Jugend suchte sich ihre eigenen Perspektiven: Man tat sich zusammen und plante Ausflüge. Den Sorgen entkommen, raus in eine neue Freiheit. Für Hildegard Ott war ein altes Herrenrad das Vehikel in die Zukunft. Rund 60 Kilometer mit Freunden nach Rothenburg ob der Tauber strampeln, dort einmal nur Gast und Tourist sein. Einfach so, als hätte es den Krieg nicht gegeben.
Dem Drahtesel bleibt die junge Frau lange treu: Als es in der Verwandtschaft eine Hochzeit in Gaggenau gibt, sattelt sie um 1950 ohne Zögern auf und radelt über Mannheim die rund 150 Kilometer ins Murgtal südlich von Karlsruhe. Auf einer anderen Route geht es nach dem Fest wieder zurück ins Taubertal. Etwas anderes sehen, reisen, die Perspektive wechseln. Das erscheint wie eine Art Lebensmotto der betagten, aber bis heute interessierten und neugierigen Frau. Die Familie baut irgendwann ein Eigenheim – nicht weit vom Dreifaltigkeitsbild entfernt, von dem man die 18-Jährige einst zurück ins durchaus drohende Verderben geschickt hatte. Die Küche in der Schützenstraße ist bis heute ein Familienmittelpunkt - mit mehr als nur Kartoffeln. Die Erinnerung an eine düstere Zeit bleibt, doch mit Lebensmut und Optimismus ist sie für Hildegard Ott gleichzeitig auch überwunden.
Leben in schnell errichteten Notbaracken
Inmitten von Ruinen: Baracken aus Wertheim werden nach dem Zweiten Weltkrieg abgebaut und in Königshofen als Notunterkünfte wieder errichtet.
Bis Ende des vorigen Jahrhunderts überdauern die Gebäude. Einwohner leben dort in behelfsmäßigen Zimmern mit Herd und Plumpsklo .
Rund ein Dutzend solcher Gebäude werden auf Königshöfer Gebiet aufgebaut. Unmittelbar nach dem Krieg kommen Einwohner auch in der örtlichen Turnhalle unter.
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