Külsheim. Um das Thema „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ ging es am Sonntag in Külsheim. Dabei informierte Alfred Bauch bei einem Impulsvortrag und einer Führung über das einstige jüdische Lebens in der Brunnenstadt. Ziel des Festjahrs sei, jüdisches Leben sicht- und erlebbar zu machen sowie dem erstarkenden Antisemitismus etwas entgegenzusetzen, betonte er.
Bürgermeister Thomas Schreglmann verwies beim Empfang der rund 50 Gäste im Schlossinnenhof darauf, dass es seit dem so genannten Dritten Reich der Nationalsozialisten in Külsheim keine jüdischen Mitbürger, die das Leben vor Ort jahrhundertelang mitgestaltet haben, mehr leben.
Erste urkundliche Erwähnungen von Juden in der hiesigen Gegend gebe es 1218 in Grünsfeld und 1222 in Wertheim, so Bauch. Eine Urkunde von 1378 benenne eine jüdische Gemeinde in Külsheim.
Der Redner verband die große Politik der jeweiligen Zeiten mit deren Auswirkungen auch auf das jüdische Leben vor Ort. Dabei nannte er die jeweiligen Verursacher von Maßnahmen, die gegen jüdische Mitbürger gerichtet waren. So ging er neben massiven Verboten, Gerüchten und Verschwörungstheorien gegen Juden auch auf das mörderische Unwesen des Ritters Arnold von Uissigheim ein. Im Zuge der Pestverfolgungen wurden einstmals blühende jüdische Gemeinden wie jene in Külsheim vollständig ausgelöscht.
Bauch berichtete aber auch über jüdisches Leben in Külsheim in einer wohl guten Zeit des Zusammenlebens mit den Christen. 1796 habe man hier mit Unterstützung der politischen Gemeinde die Synagoge feierlich eingeweiht. In der Zeit des politischen Diskurses über die rechtliche und gesellschaftliche Gleichstellung der Juden im 19. Jahrhundert sei die hiesige jüdische Gemeinde stark gewachsen. 1852 machten die 230 Juden knapp zwölf Prozent der Gesamtbevölkerung aus.
Der Blutzoll der Juden im Ersten Weltkrieg, so der Redner, sei absolut gleich dem der christlichen Mehrheitsgesellschaft gewesen, im Deutschland der Weimarer Republik Antisemitismus Teil der Alltagskultur geworden. Der einsetzende Terror vor allem der SA aus Wertheim, unterstützt von den örtlichen Nazi-Schergen, habe zu einer zunehmenden Verkleinerung der jüdischen Gemeinde Külsheim geführt. Bauch bezeichnete die Ausschreitungen in der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 auch in Külsheim als vorläufigen Höhepunkt des Terrors gegen Juden.
Der Experte ging auf die sogenannte „Judentaufe“ im Rathausbrunnen Anfang September 1939 ein und auf die Deportation der verbliebenen 13 Külsheimer Juden am 22. Oktober 1940. Vermutlich elf seien Opfer des Holocaust geworden. Damit habe nach sechs Jahrhunderten endgültig das jüdische Leben in Külsheim geendet, „ein nicht wieder gut zu machender Verlust“.
Es sei „weit gefehlt“ zu meinen, der Antisemitismus in Deutschland sei nach 1945 endlich ausgerottet, betonte Bauch. Dem Aufbau des Landes sei jegliche Moral oder gar Reflexion untergeordnet worden. Befeuert aus beängstigend vielen gesellschaftlichen und politischen Richtungen habe der Antisemitismus in den vergangenen Jahren selbst im demokratischen Deutschland seine hässliche Fratze wieder deutlich erhoben. Im Bundestag und in den Landtagen säßen Rechtsradikale und Verschwörungstheoretiker.
Abschließend rief Bauch dazu auf, wachsam zu sein und sich mit der wachsenden Demokratiefeindlichkeit auseinanderzusetzen, damit sich die Geschichte nicht wirklich wiederhole und die freiheitliche, pluralistische und friedensliebende Gesellschaft zerstöre. Wenn das Gedenkjahr „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ dazu beitrage, Antisemitismus und Rassismus als das zu zeigen, was es sei, nämlich ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, und jeder den Mut habe, der Aufklärung zu folgen, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen, seiner Emotion und Empathie, dann habe sich das Gedenkjahr gelohnt.
Der Vortrag erhielt großen Beifall ebenso wie später der Spaziergang mit Blick auf die örtliche Geschichte. Man besuchte dabei die Gedenktafel für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs, beispielhaft die Stolpersteine an der Kirchentreppe, das ehemalige Gasthaus „Maier Naumann“, den Platz der ehemaligen Synagoge, die unter Denkmalschutz stehende Mikwe, die Gedenktafel für die Gefallenen des Deutsch-französischen Kriegs 1870/71 sowie den jüdischen Friedhof. hpw
URL dieses Artikels:
https://www.fnweb.de/orte/kuelsheim_artikel,-kuelsheim-die-haessliche-fratze-des-antisemitismus-_arid,1809360.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.fnweb.de/orte/kuelsheim.html
[2] https://www.fnweb.de/orte/gruensfeld.html
[3] https://www.fnweb.de/orte/wertheim.html