Külsheim. Die Wanderausstellung „Deine Anne: Ein Mädchen schreibt Geschichte“ ist am Mittwochabend im Alten Rathaus in Külsheim bei großem Interesse eröffnet worden. Sie ist zu sehen an verschiedenen Tagen bis Mitte April.
Vor Ort sprach Anja Boccagno, Leiterin der Pater-Alois-Grimm-Schule Külsheim (PAGS), stellvertre-tend für die gesamte Schule. Sie hieß die Gäste willkommen und sagte, die Ausstellung sei entstanden in Kooperation mit dem „Anne Frank Zentrum“ in Berlin. Boccagno stellte heraus, würde Anne Frank noch leben, so wäre sie mit dieser einer Meinung: „Lasst uns die Gesellschaft dahingehend verändern, dass jeder Mensch ohne Angst verschieden sein kann“. Das sei die fundamentale Botschaft der Anne Frank.
Es gebe, so Boccagno, in der deutschen Nachkriegsgeschichte zwei Bücher, die Menschen über Generationen hinweg bewegt hätten. Das eine handle vom kleinen Prinzen und daneben stehe das Tagebuch der Anne Frank, die Aufzeichnungen eines Mädchens, dem man das Recht absprach, am Leben zu sein. Boccagno stellte in den Raum, warum die PAGS gerade dieses Mädchen gewählt habe. Weil man den Namen „Anne“ durch viele andere ersetzen könne, zum Beispiel „Mehmet“.
Das Miteinander fördern
Die Schulleiterin fuhr fort, „wir leben in einer Zeit, in der Kulturen aufeinander treffen und in der das Miteinanderleben oft weniger eingeübt wird als der Ellenbogen, den manche für das Symbol unserer Gesellschaft halten. Wir brauchen ein Umdenken in der Gesellschaft, wir brauchen die Veränderung zum Guten.“ Sie habe einen unerschütterlichen Glauben an die Möglichkeit der Veränderung. Wenn nur ein einziger Mensch mit dieser Ausstellung im Herzen erreicht werde, so sei die Chance genutzt. Sie glaube an die Möglichkeit der Veränderung zum Guten, „ich glaube an die Demokratie“.
Boccagno äußerte, Erinnerungsarbeit könne helfen, den Blick zu schärfen für heutige Gefährdungen der Demokratie, für die Mechanismen von Stigmatisierung und Ausgrenzung, für die Ursachen, Er-scheinungsformen und Wirkungen von Intoleranz und Fremdenhass, von Antisemitismus und Rassenwahn. Dafür sei diese Ausstellung ein gutes Beispiel.
Die Ausstellung vermittle historisches Wissen, so Boccagno, und stelle zugleich Beziehungen her zur Gegenwart. Sie ermögliche moralische Sensibilität und vermittle ein Bewusstsein der eigenen Verantwortung. Sie rege an, über das Verhältnis von Opfer und Täter, von Zuschauer und Helfer, von Gruppenzugehörigkeit und Ausgrenzung nachzudenken.
Boccagno sagte weiter, weil Anne Frank in ihrer Lebenszeit keine Prominente gewesen sei, sondern ein normales junges Mädchen aus gutem Hause in Frankfurt, darum komme keiner mit der Aussage davon, er selber könne ja doch nichts ändern, die Gesellschaft sei nun mal so wie sie ist. Die Gesellschaft sei „so, wie wir sie werden lassen“, sagte Boccagno, „wie wir sie sein lassen oder wie wir sie verändern, indem wir unseren Sinn verändern“. Stärker als alle Zahlen könne eine Lebensgeschichte wie die des jungen Mädchens Anne Frank zeigen, wie Menschlichkeit, Demokratie aussehen müssten, wenn es sie so gäbe, wie man sie brauche.
Boccagno unterstrich, die Ausstellung wäre nicht ohne den unermüdlichen Einsatz vieler helfender Hände möglich gewesen. Ihr besonderer Dank galt Lernbegleiterin Julia Fleckenstein, die mit ihrem Team seit Monaten mit Engagement und mit Herzblut an der Umsetzung des Projekts arbeite. Dieser Gruppe sei es auch gelungen, ein phänomenales Rahmenprogramm über vier Wochen hinweg zu gestalten. Weiter dankte Boccagno der Stadt Külsheim für die Räumlichkeiten, dem Förderverein der Pater-Alois-Grimm-Schule Külsheim und einfach jedem, der sich eingebracht habe.
Boccagno erläuterte, die Ausstellung sei speziell für Jugendliche konzipiert. Durch die Auseinandersetzung mit Fragen wie „Wer bin ich“, „Wer sind wir?“, „Wen schließen wir aus?“, „Was kann ich bewirken?“ werde das demokratische Handeln und Denken bei allen Beteiligten gestärkt.
Es gehe darum, welche Möglichkeiten es für Jugendliche gebe, selbst aktiv zu werden und sich für eine gerechtere Welt zu engagieren.
Junge Ausstellungsbegleiter
Boccagno sprach die „peer guides“ an, junge Menschen, die sich als Ausstellungsbegleiter engagieren. Diese seien Botschafter und Türöffner für Gerechtigkeit, Gleichheit, Solidarität, Toleranz und Achtung. Boccagno unterstrich, sie glaube an die Möglichkeit zur Veränderung zum Guten, sie glaube an die Demokratie, sie glaube an die Jugend.
Fleckenstein bedeutete ihren Peer Guides, „ich bin stolz auf euch“. Jene, zweistellig an der Zahl, stellten sich einzeln vor. Für die musikalische Begleitung sorgte das kleine Ensemble des Musikvereins Külsheim.
Eine Vertreterin des Anne-Frank-Zentrums in Berlin zeigte sich dankbar, bei einem solch schönen An-lass in Külsheim zu sein. Anne Frank habe sicherlich nicht gedacht, dass sich so viele Menschen für ihr Tagebuch interessierten. Viele Jugendliche fänden damit einen Zugang zur Geschichte. Es dürfe nicht vergessen werden, dass Anne Frank eines von 1.5 Millionen Kindern gewesen sei, die man ermordet habe, denn die Nazis hielten ihr Leben für nicht lebenswert.
Perspektive der Täter
Die Ausstellung ermögliche einen Einblick in das Leben von Anne Frank, ein Leben im Versteck, Ver-haftung, Deportation. Die Ausstellung zeige eine Auseinandersetzung mit der Geschichte, sagte Boccagno, „wir brauchen eine lebendige Demokratie“.
Man könne auch lernen, „Menschen haben den Unterschied gemacht“. Die Ausstellung zeige ebenso die Perspektive der Täter, auch in Külsheim sei man der nationalsozialistischen Rassenideologie ausgesetzt gewesen. Das ganze jüdische Leben in Külsheim sei weg gekommen.
Stolpersteine zeigten, so Boccagno, dass es ein solches jüdisches Leben gegeben habe. Mit der Ausstellung könne auch zu Fragen heute Stellung genommen werden. Es gelte, nicht weg zu schauen, es gelte, Diskriminierung als solche zu benennen und sich gemeinsam gegen Diskriminierung zu stellen, das mache den Unterschied.
Boccagno sagte in Richtung der Peer Guides, „die Ausstellung lebt von eurem Engagement“. Jene äußerten sich zur Beschäftigung mit dem Thema: „Ich fand es spannend“, „es war eine schlimme Zeit“, „ich konnte sehr viel mitnehmen“, „ich will jüngeren Leuten etwas mit auf den Weg geben“, „die Aufregung ist da“.
Das „Danke“ galt ebenso jenen, welche die Ausstellung aufgebaut oder sich um die Finanzierung ge-kümmert haben oder Aufgaben rund um die Ausstellung übernehmen. Fleckenstein dankte dafür, dass es solch ein großes Projekt in dieser kleinen Stadt gebe, „viele Rädchen greifen ineinander“. Die Menschen seien offen dafür, gemeinsam anzupacken und gemeinsam etwas auf die Beine zu stellen, viele Leute hätten sich eingebracht.
Digitale Schnitzeljagd
Fleckenstein dankte den Sponsoren und Förderern, die ein solch großes Werk ermöglicht hatten. Ihr Dank ging auch an Michael Zorn, an den Musikverein, den Elternbeirat, an ein großartiges Team, an die Lernpartner, an David, der in eine begleitende App eine digitale Schnitzeljagd eingebaut hat, und an die Peer Guides. Man hörte einen Einblick in das Rahmenprogramm zu dieser Ausstellung und musikalische Begleitung durch den Musikverein Külsheim, Leitung Christoph Wolpert. Anschließend versammelten sich viele im Obergeschoss des Alten Rathauses.
Külsheims Bürgermeister Thomas Schreglmann unterstrich, die Geschichte Külsheims sei mit der Geschichte der Külsheimer Juden verbunden, die fast 600 Jahre lang wirtschaftlich und kulturell dazu gehört hatten. Es gelte, die Erinnerung wach zu halten. Jahrzehnte lang habe das Tuch des Schweigens über dem Thema gelegen. Erst in den vergangenen zehn Jahren sei begonnen worden, sich der Geschichte zu stellen.
Es sei angeklungen, so Schreglmann, wo die Ausstellung hinpasse, „mitten rein“. Hier in Külsheim hätten viele jüdische Mitbürger gelebt. Er halte es für eine große Verpflichtung, die Erinnerung an die Geschichte wach zu halten, und zeigte sich dankbar dafür, dass Peer Guides durch die Ausstellung führen. Der Bürgermeister machte Werbung für das Rahmenprogramm zur Ausstellung und eröffnete diese offiziell.
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