Asyl

Hardheim: So leben Flüchtlinge in der Gemeinschaftsunterkunft wirklich

Einen Tag verbrachte FN-Redakteurin Maren Greß in der Gemeinschaftsunterkunft für Geflüchtete in Hardheim. Der Besuch zeigt: Viele Vorurteile sind unbegründet. Statt Bedrohungen trifft man auf Menschen voller Hoffnung und Integrationswillen.

Von 
Maren Greß
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Alexander Beuchert, Leiter der Hardheimer Gemeinschaftsunterkunft für Geflüchtete, vor der Tafel mit der Zimmerbelegung. Für insgesamt 234 Asylsuchende ist in der Unterkunft Platz, 177 Betten sind derzeit belegt. © Maren Gress

Hardheim. „Oh, da musst du als blonde, junge Frau aber aufpassen.“ Das sagte eine Bekannte zu mir, als ich erzählte, dass ich einen Tag in der Gemeinschaftsunterkunft (GU) für Geflüchtete in Hardheim verbringen werde. Muss ich wirklich ein mulmiges Gefühl, oder sogar Angst haben, wenn ich dort oben bin? Man hört ja immer wieder Horrorgeschichten – etwa von einem Mann, der mit einer Bratpfanne durch die Hardheimer Straßen läuft und Frauen bedroht. Dieses Beispiel hatte es damals sogar in die „Bild“-Zeitung geschafft. Ich versuche, das mulmige Gefühl abzuschütteln, als ich durch das große Tor fahre und aus dem Auto aussteige. Mein Ziel für diesen Tag – und damit auch für diesen Artikel: Ich will mit Klischees aufräumen und aufklären. Denn – und das wird sich im Laufe des Tages zeigen – die Flüchtlinge sind auch nur Menschen mit Bedürfnissen und Träumen wie wir.

Fleißig lernen die Geflüchteten die deutsche Sprache - wie hier mit Merkzetteln am Küchenschrank. © Maren Gress

Am Eingang empfängt mich Alexander Beuchert, der Leiter der GU. Ihn darf ich einen Tag lang begleiten. Seit fast anderthalb Jahren leitet er die Unterkunft. Zuvor hat der gelernte Groß- und Außenhandelskaufmann fast 20 Jahre lang in einem Autohaus gearbeitet. In seinem jetzigen Job hat Beuchert seine Erfüllung gefunden, erzählt er. Er führt mich durch die Häuser auf dem Gelände der ehemaligen „Nike-Stellung“. Ich bin zum ersten Mal in den Gebäuden, wo damals die amerikanischen Soldaten gewohnt hatten. Die GU ist auf 234 Personen ausgelegt und ist damit die größte im Landkreis. 177 Betten sind derzeit belegt. Wir werfen einen Blick in ein Zwei-Bett-Zimmer. Die Flüchtlinge leben hier in sehr einfachen Verhältnissen: Zwei Metallbetten, ein kleiner Tisch mit zwei Stühlen, ein Schrank und ein kleiner Kühlschrank. „Wenn man bedenkt, dass hier das ganze Leben von zwei Menschen reinpassen muss, ist das sehr wenig Platz“, sagt Beuchert.

Während des Fastenmonats Ramadan ticken die Uhren anders

Auf jedem Stockwerk befindet sich neben einem Gemeinschaftsbad auch eine Küche. Die ist – wie ich finde – aber alles andere als sauber. „Wir dürfen die Standards in unseren Privatwohnungen nicht mit denen in einer Gemeinschaftsunterkunft mit einer Vielzahl von Nutzern vergleichen, zumal es auch unterschiedliche kulturelle Gewohnheiten gibt“, erklärt Beuchert. Gerade ist Ramadan, der Fastenmonat der Muslime. „Da ticken die Uhren sowieso ein bisschen anders.“

Die Flüchtlinge müssen sich in der Unterkunft selbst verpflegen. 397 Euro stehen einem erwachsenen Asylbewerber dafür monatlich zur Verfügung. „Wenn man knapp 100 Euro für Deutschlandticket und Handyvertrag abzieht, ist das für Essen, Hygieneartikel und Kleidung nicht viel“, betont der Leiter der Gemeinschaftsunterkunft. Der Landkreis stelle den Asylbewerbern eine Grundausstattung zur Verfügung. Darin enthalten seien unter anderem ein Teller, eine Tasse, Besteck und die ersten Utensilien zum Kochen wie eine Suppenkelle. „Alles, was sie darüber hinaus noch benötigen, müssen sie sich selbst anschaffen“, sagt Beuchert.

Zahlen und Fakten

  • Die Gemeinschaftsunterkunft (GU) für Geflüchtete in Hardheim ist auf 234 Personen ausgelegt. Derzeit sind dort 177 Flüchtlinge untergebracht. Das entspricht einer Belegung von rund 75 Prozent .
  • Die Unterkünfte des Neckar-Odenwald-Kreises für Geflüchtete haben eine durchschnittliche Auslastung von rund 78 Prozent .
  • In der vorläufigen Unterbringung sind im Neckar-Odenwald-Kreis 774 Personen in insgesamt 13 Gemeinschaftsunterkünften untergebracht, elf Personen in Wohnungen.
  • Die Zuweisungszahlen sind seit einigen Monaten rückläufig : Im November 2024 hat der Landkreis 34 Asylsuchende und elf Ukrainer zugewiesen bekommen, im Januar waren es zwei Asylsuchende und drei Ukrainer.

In der Gemeinschaftsküche gibt es keinen Backofen, zu groß ist die Brandgefahr. Der Brandschutz ist auch der Hauptgrund, warum dort rund um die Uhr Security-Personal anwesend ist. „Wenn die Brandmeldeanlage auslöst, weil in der Pfanne das Essen verbrannt ist und es raucht, können die Security-Mitarbeiter die Anlage wieder ausschalten, bevor die Feuerwehr vor der Tür steht“, sagt der Leiter der GU. In den vergangenen Jahren sei es immer wieder zu Fehlalarmen gekommen. Die Anwesenheit der Security-Mitarbeiter habe auch den positiven Nebeneffekt, dass die Sicherheit erhöht sei. Bei Streitigkeiten könne schneller eingegriffen werden.

Warum ein Vertrauensverhältnis so wichtig ist

Zurück an seinem Schreibtisch macht sich Alexander Beuchert an den Papierkram: Post sortieren und E-Mails beantworten. Immer im Blick hat er dabei die Eingangstür. Hier und da wird ein kurzer Plausch mit den Bewohnern gehalten, die das Haus verlassen oder vom Sprachkurs zurückkommen. „Alle kenne ich nicht beim Namen, aber die meisten“, sagt er lachend. Für ihn sei es wichtig, regelmäßig mit den Geflüchteten ins Gespräch zu kommen – meistens sogar auf Deutsch. „Nur wenn man ein Vertrauensverhältnis schafft, erzählen die Leute von ihren Problemen, bevor diese zu ganz großen Problemen werden“, lautet seine Devise. Denn man müsse sich immer vor Augen führen, dass die Asylbewerber oft eine traumatisierende Flucht mit dem Boot über das Meer aus ihrem Heimatland hinter sich hätten. „Man darf nicht vergessen, welche Geschichten hinter den Menschen stecken“, sagt Beuchert.

In der Gemeinschaftsunterkunft gibt es regelmäßig soziale Angebote. Mittwochs ist Spielenachmittag. © Maren Gress

Den Begriff „tickende Zeitbomben“, der in den vergangenen Monaten immer wieder in den Medien in Bezug auf psychisch auffällige Asylsuchende zu lesen und zu hören war, möchte er selbst nicht benutzen, kann ihn aber nachvollziehen. Landrat Dr. Achim Brötel sprach vor gut zwei Monaten von 20 „tickenden Zeitbomben“ im Landkreis. „In Hardheim waren es zuletzt vier psychisch auffällige Asylbewerber. Keiner von ihnen stellt inzwischen mehr eine Gefahr für andere dar. Sie wurden entweder verlegt, sitzen im Gefängnis oder werden – was ja am besten ist – in der Psychiatrie behandelt“, erklärt Beuchert. „Ich betonte generell, dass von dem Großteil der Flüchtlinge nicht mehr Gefahr für andere als vom Durchschnitt der Bevölkerung ausgeht. Das ist einfach meine tagtägliche Erfahrung im Umgang mit den Geflüchteten.“

Man darf nicht vergessen, welche Geschichten hinter den Menschen stecken.“
Alexander Beuchert Leiter der Hardheimer Gemeinschaftsunterkunft

Viele seien nach Deutschland gekommen, um hier ein besseres Leben zu leben – weg von Krieg und Terror. Und sie seien auch gewillt, hier in Deutschland zu arbeiten. Die Bürokratie erschwere es nur zunehmend. Ein Beispiel dafür ist Mande aus Togo, einem Land, in dem auch Muslime leben. Der 33-Jährige hat dort Herrenfriseur gelernt. In Deutschland kann er aber nicht in diesem Job tätig sein, weil er eine allgemeine Ausbildung benötigen würden. Jetzt möchte er in einer anderen Branche arbeiten.

Viele Geflüchtete wollen nicht in ihren alten Beruf zurück

Im Gespräch mit den Geflüchteten fällt mir auf: Viele wollen nicht mehr in den Beruf zurück, in dem sie in ihrem Heimatland gearbeitet haben. Berivan war in der Türkei beispielsweise in der Textilbranche tätig. Jetzt will sie in die Pflege. Bis sie ihre Ausbildung beginnen kann, hilft sie ehrenamtlich in einem Pflegeheim.

Zwei Betten, Tisch, Stühle und Schrank: Die Zimmer in der Gemeinschaftsunterkunft sind einfach eingerichtet. © Maren Gress

Die Genannten sind vielleicht Paradebeispiele, doch Alexander Beuchert bestätigt meine Wahrnehmung, dass es nur die wenigen Ausnahmen seien, die dem Staat auf der Tasche liegen wollen. Und sind wir mal ehrlich: Unter den Deutschen gibt es davon mindestens genauso viele.

So langsam aber sicher neigt sich der Tag in der Gemeinschaftsunterkunft dem Ende entgegen. Um wieder an den Anfang und den Satz der Bekannten zurückzudenken: Nein, aufpassen musste ich auf mich nicht. Ich finde es irgendwie schade, dass das der erste Gedanke eines Menschen ist, wenn man von einer Flüchtlingsunterkunft spricht. Zu keiner Zeit habe ich mich dort bedrängt, bedroht oder unwohl gefühlt. Im Gegenteil: Ich habe die Bewohner als lernwillig und dankbar wahrgenommen. Dankbar, dass sie hier in Deutschland die Chance auf ein besseres Leben bekommen.

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