Hardheim. Nachdem Hardheim besetzt war, hätten sich die US-Soldaten in vielen Häusern einquartiert, erinnert sich Elisabeth Künzig. „Sie suchten sich vor allem nach ihren Begriffen moderne und neue Häuser – unseres wurde 1928 erbaut – aus.“ Ihre besondere Vorliebe galt frei stehenden Häusern, um sich nach allen Seiten abzusichern. Und vor allem die „Adolf-Hitler-Straße“, die heutige Schlossstraße, war besonders begehrt. Wohl wegen des Straßennamens und auch, weil die Gebäude erst kurz vor Kriegsbeginn gebaut wurden; die bergwärts gelegene linke Straßenseite wurde erst ab 1949 bebaut.
„Wir alle mussten unser Haus räumen. Meine Mutter und ich fanden Aufnahme bei Familie Bischof in der Nachbarschaft. Vater und die Buben fanden Unterkunft bei Verwandten im Doggenbrunnen“, berichtete sie. „Und das ganze Haus war von Soldaten belegt.“
Kaugummis für die Kinder
Für den Vater, dem im Ersten Weltkrieg ein Bein amputiert wurde und der zudem ein Auge verloren hatte, eine schwierige Zeit im Notquartier. „Zu uns Kindern waren die Amerikaner – vor allem die Schwarzen – immer nett und freundlich und gaben uns immer wieder Süßigkeiten und Kaugummis“, erinnerte sich Elisabeth Künzig.
„Von meiner Mutter verlangten sie nur Eier; andere Nahrungsmittel lehnten sie wohl aus Angst vor Vergiftung ab. Sie kamen und wollten neben Eiern auch frische Kuhmilch, die wir vor ihren Augen melken mussten, denn sie waren sehr misstrauisch“, so auch Irmgard Stolzenberger (geb. Farrenkopf) nach dem Einmarsch der US-Soldaten anderntags in Rüdental.
Elsa Baumann in der Adolf-Hitler-Straße musste mit ihrer kleinen Tochter im Keller hausen, während es sich die US-Soldaten in voller Montur in den Federbetten gemütlich machten. Aber auch das letzte Haus in der Riedstraße, heute von der Familie Fritz Schweizer bewohnt, war von Soldaten besetzt. Überhaupt waren in allen Straßen Hardheims Häuser beschlagnahmt.
Nicht besser erging es auch Reinulf Katzenmaier mit seinen drei Geschwistern und der Mutter. Der Vater war noch im Krieg. „Die Großeltern und auch wir sollten innerhalb von 20 Minuten unsere Wohnung verlassen, weil die US-Amerikaner unser Haus als Office zur Registrierung und Erfassung von gefangenen deutschen Soldaten dienen sollte. Wir bekamen nochmals zehn Minuten Zeit dazu geschenkt, um auch etwas Verpflegung aus dem Keller mitzunehmen“, so Katzenmaier, „und fanden Unterkunft im Hause gegenüber, wo uns Frau Ida Eirich ein Zimmer zur Verfügung stellte und uns die Mitbenutzung ihrer Küche gestattete“.
Die Großeltern dagegen konnten beim Nachbarn Josef Eirich unterkommen, der wegen seines hohen Alters nicht aus seinem Hause musste und darum meine Großeltern aufnehmen konnte. „Lediglich die zahnärztlichen Praxisräume meines Großvaters blieben von der Beschlagnahmung vorerst verschont und er konnte etwa ein viertel Jahr weiter praktizieren“.
Statt die Büroräume der Firma Gustav Eirich als „Office“ zu nutzen, nahmen sie sich die Wohnungen der Familie Eirich (im „blauen“ Haus), die stattdessen in den unternehmerischen Büros hausen musste. Etwa neun Monate dauerte diese Ausquartierung, und erst dann konnte seine Familie wieder in die eigene Wohnung einziehen. „Alles war kaputt, aus den Möbeln hatten die Amis Brennholz gemacht, und im Speicher lagerten sie die Ascherückstände aus den Öfen“, zeigte sich heute noch Reinulf Katzenmaier betroffen von den Eindrücken, die ihn und seine Familie nach der Rückkehr in die eigene Wohnung empfingen. „Im heutigen Anwesen Beierstettel hatten die US-Amerikaner eine Feldküche“, so der seinerzeit Zehn-jährige, „und wenn die Amis dorthin zum Essen gingen, schlichen wir Buben uns immer wieder in unser Haus und hielten Ausschau nach Schokolade“. Allerdings fanden sie auch andere Gegenstände, deren Bedeutung und Nutzen ihnen als Knaben noch nicht geläufig waren.
„Unvorstellbare Menge“
In Hardheim wimmelte es nur so von Panzern, Lkw und auch Jeeps. In allen Straßen und in vielen Gehöften standen solche Fahrzeuge. Die ganze Bretzinger Straße war mit Armeefahrzeugen verstopft, die am Straßenrand und im Straßengraben standen, eine „unvorstellbare Menge“, wie sich die Anliegerin Erika Kaiser (geb. Brauch) erinnerte. Sie musste auf dem „Weg ins Ort“ am Hotel „Erftal“ vorbei. Dort waren vermutlich höhere Offiziere untergebracht, und es scheint dort auch eine Militärdienststelle sowie ein Casino für Offiziere stationiert gewesen zu sein.
„Vor dem Haus standen auf der Straße immer Wachsoldaten mit Gewehren, vor denen wir immer Angst hatten, vor allem, wenn es sich um Farbige handelte“, sagte die nach Höpfingen geheiratete Erika. Wegen ihres fremdländischen Aussehens und der blendend weißen Zähne, die beim Lachen blitzten, hatte die damals 14-Jährige mehr „Angst als Vaterlandsliebe“. Sicherlich hätten sie ihr als Mädchen nichts getan. Aber eine latente Angst spielte immer mit.
Im Gasthaus „Zum Ochsen“ befand sich eine Kantine für Soldaten und Unteroffiziere der Amerikaner, und auch in der Schlossstraße stand eine Feldküche. Wie Fritz Schweitzer sich erinnert, war Hardheim regelrecht überfüllt mit US-Soldaten. „Sie waren praktisch überall“. In der Regel mussten die deutschen Frauen den einquartierten Soldaten die Wäsche waschen und sie ausbessern. Dafür gab es auch mal Lebensmittel.
Bevorzugte „Souvenirs“
Trotz des „ehrenwerten Images“ der US-Soldaten waren die Deutschen ihrer Habe nicht sicher. Vor allem Uhren, Orden und Ehrenzeichen sowie Fotoalben waren bevorzugte „Souvenirs“, auf die die Soldaten scharf waren und die sie einfach mitnahmen. Der 16-Jährige Günther Scheuermann musste zur Kenntnis nehmen, dass drei US-Soldaten in das Depot der Hardheimer Rotkreuz-Kolonne im Alten Rathaus eindrangen, dort die Vereinsfahne mitnahmen sowie Akten und Verbandstoffe auf die Straße warfen. Auch der Familie Katzenmaier fehlten nach ihrer Rückkehr einige wertvolle Stücke, Erinnerungen, aber auch Wertsachen, die die Familie infolge des überstürzten Auszugs nicht mitnehmen konnte. „Uns bot sich ein Bild der Zerstörung und der Verwüstung“, erinnerte sich der ehemalige Direktor der Frankenlandschule in Walldürn.
Gleich nach der Besetzung stellten die Truppenoffiziere strenge Regeln auf, die die Deutschen unbedingt zu beachten hatten. So bestand eine absolute Ausgangssperre in der Zeit von 18.30 bis 7 Uhr, in der sich keiner auf der Straße zeigen durfte. Auch das Herumstehen auf den Straßen und Plätzen war nicht erlaubt.
Insbesondere waren die Landwirte von den einschneidenden Maßnahmen betroffen. Milch musste nach wie vor in vollem Umfang abgeliefert werden; eine Abgabe im Stall strengstens verboten.
Gleiche Anweisungen gab es für die Ablieferung von Eiern, wobei die Besatzungssoldaten mit schlechtem Beispiel vorangingen, denn die „beschlagnahmten“ gerne auf eigene Faust. Tierfuhrwerken war das Befahren der Straßen auch nicht erlaubt. Das führte allerdings rasch zu Protesten und die Amerikaner lenkten zugunsten der Landwirte der notwendigen Lebensmittelversorgung der Bevölkerung ein. Neue Lebensmittelmarken wurden für den 8. April angekündigt. Ganz strenge Strafen wurden für Diebstahl und Plünderung angedroht. Zu guter Letzt führten die Besatzer ab Mittwoch, 4. April 1945, die amerikanische Sommerzeit ein, und die Menschen mussten ihre Uhren um eine Stunde vorstellen.
Weshalb waren die Eroberer, die seit Bundespräsident Richard von Weizsäcker gerne als die „Befreier“ tituliert werden, so streng und rigide in ihrer Besatzungspolitik? Der Krieg war noch nicht beendet und die alliierten Truppen wurden täglich mit neuen Verbrechen der Nazis konfrontiert. Für die britischen Truppen hatte deren Oberkommando „Instructions for british Servicemen in Germany 1944“ (Leitfaden für Britische Soldaten in Deutschland 1944) und die US-Armee ein Ähnliches unter dem Titel „Occupation – United Forces European Theater“ herausgegeben.
Der Inhalt hatte nichts mit militärischen Operationen zu tun, sondern es waren Hinweise und Informationen über das zivile Leben in Deutschland, über dessen Landschaften, Kultur, Geschichte, Sprache und Essen.
Sicherheitshinweise
Der Ton aber, der diese Broschüren prägte, kommt am deutlichsten in den Sicherheitshinweisen am Ende zum Ausdruck: „Deutsche müssen noch so lange als gefährliche Feinde betrachtet werden, bis die Besetzung Deutschlands beendet ist“.
Es wurde gewarnt, den Deutschen zu viel Mitgefühl entgegenzubringen, deren Berichte über erlittene Schicksale Glauben zu schenken und stets daran zu denken, dass viele Deutsche ihre Zugehörigkeit zu Nazi-Organisationen bestreiten würden.
So wurden die Soldaten auch aufgerufen, gegenüber Kindern und alten Menschen gleichermaßen hartherzig zu sein. „Da sind Kinder, die von einem Fuß auf den anderen trippeln, wenn sie in der Kälte vor Eurem Speisesaal herumstehen, zu höflich oder zu ängstlich sind, um zu betteln und in ihren Augen kann man den Hunger sehen!“
Darum der Hinweis: „Bleiben Sie anständig und gerecht, aber werden Sie nicht weich!“
Am Ende der Broschüren waren für die Soldaten wichtige Kommandos, Redewendungen sowie nützliche Fragen und Antworten in deutscher und englischer Sprache abgedruckt.
An den Ortseingängen waren große Schilder aufgestellt mit den Warnungen: „Deutschland ist besetzt! Sei auf der Hut – verbrüdere Dich nicht mit Deutschen“.
Ein Festtag
Darum dauerte es noch Wochen und der Krieg war zu Ende, ehe Elisabeth Künzig (geb. Kemmerer) folgendes Erlebnis hatte: „Im Gasthaus zum Ochsen war eine Kantine der Amerikaner. Dort versammelten sich nach dem Mittagessen deutsche Kinder an der Hintertüre. Ein schwarzer Koch kam regelmäßig aus dem Hintereingang des Gasthauses und schöpfte den Kindern übrig gebliebenes warmes Essen in mitgebrachte Gefäße. Eines Tages hat dieser US-Soldat mir mein Töpfchen weggenommen. Ich dachte, jetzt habe ich gar nichts mehr und weinte. Kurz darauf war er wieder da und gab mir mein vollgefülltes Essgeschirr wieder zurück und zeigte beim Lachen seine blendend weißen Zähne.“ Für sie sei das ein Festtag gewesen, erinnerte sie sich.
Schneller ging es mit der Verbrüderung zwischen US-Soldaten und „German Fräulein“, denn immer wieder wurden junge Frauen und Mädchen gesehen, die an den amerikanischen Unterkünften und Dienststellen vorbeidefilierten.
Die jungen Frauen erhofften sich durch die Freundschaft mit einem Besatzungssoldaten eine zusätzliche Verpflegung und auch Waren für den Tauschhandel wie Zigaretten und Nylons. Es dauerte einige Jahre, ehe die USA und Großbritannien eine Heirat zwischen ihren Soldaten und deutschen Frauen zuließen; in der Zwischenzeit hatten solche Ansinnen strafrechtliche Konsequenzen für die GI’s.
Übrigens gab es für die Erstkommunionkinder doch noch ein freudiges Erlebnis. Ihr am Gründonnerstag 1945 hastig vorgezogener Schritt zum Tisch des Herrn konnte eine Woche später, am eigentlichen „Weißen Sonntag“, feierlich wiederholt werden (siehe „Der Ami kommt“).
Keine Erinnerungsbilder
„Leider gibt es keine Erinnerungsbilder von unserer Erstkommunion“, ist Elisabeth Künzig traurig. Am Gründonnerstag, dem Tag der Ersten Heiligen Kommunion, traute sich niemand zu fotografieren und am „regulären Weißen Sonntag“ eine Woche später hatte keiner eine Kamera dabei, weil die US-Armee alle beschlagnahmt hatte und die nicht abgelieferten Kameras in sicheren Verstecken blieben.
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