Regenerative Landwirtschaft

A wie Apfel, B wie Birne – Z wie Zwiebel

Matthias Heilig und Jenny Damico aus Gerichtstetten gewähren den FN Einblicke in ihre Betriebsphilosophie.

Von 
Elisabeth Englert
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Spaß bei der Kartoffelernte: Für Matthias Heilig und Jenny Damico (von links) ist die Sensibilisierung für die Lebensmittelproduktion ein Anliegen. © Englert

A wie Apfel, B wie Birne – bis hin zu Z wie Zwiebel: Die Fülle des Herbstes ist Anlass, sich mit der regenerativen Landwirtschaft auseinanderzusetzen, einer Betriebsphilosophie, die von den USA über den großen Teich zu uns herüberschwappte.

Odenwald-Tauber. Kartoffeln, wie früher in Jutesäcke verpackt, stapeln sich säuberlich beschriftet im Hofladen im Hardheimer Ortsteil Gerichtstetten, in dem sich sämtliche Zutaten für ein unbelastetes, leckeres Drei-Gänge-Menü finden.

Landwirtschaftliche Betriebe in Main-Tauber- und Neckar-Odenwald-Kreis

Landwirtschaftliche Betriebe im Neckar-Odenwald-Kreis (2020): Ökologische Betriebsform 61, konventionelle 932. Damit liegt der Kreis mit 6,1 Prozent Öko-Betriebe unter dem Landesdurchschnitt von 9,5 Prozent. Bei durchschnittlicher Betriebsgröße von 58,9 Hektar (ök.) und 47,9 Hektar (konv.) beträgt die insgesamt bewirtschaftete Fläche 48 254 Hektar. Hiervon entfallen 3591 Hektar auf Öko-Betriebe. Bernhard Heim, Fachdienstleiter Landwirtschaft, versteht bio und konventionell nicht als konkurrierende Systeme. Vielmehr lernen beide voneinander und nähern sich an. „Die Ziele sind noch nicht erreicht, aber die Richtung stimmt.“

Betriebe im Main-Tauber-Kreis (2021): Ökologische Betriebsform 189, konventionelle 1485. Damit liegt der Kreis mit 11,3 Prozent Öko-Betriebe über dem Landesdurchschnitt von 9,9 Prozent. Bei durchschnittlicher Betriebsgröße von 57,3 Hektar (ök.) und 49,0 Hektar (konv.) beträgt die landwirtschaftliche Fläche insgesamt 83 566 Hektar. Hiervon entfallen 10 834 Hektar auf Öko-Betriebe. Markus Moll, Pressesprecher des Landratsamtes, vermutet aufgrund der ökologisch bewirtschafteten und nicht zertifizierten Streuobstwiesen einen faktisch höheren Ökoanteil. Wichtig sei Öffentlichkeitsarbeit und Verbraucherbildung als Themenfelder der Bio-Musterregion, da der Verbraucher durch seinen Konsum entscheide, was produziert werde. „Wachstum im Biobereich soll absatzorientiert sein.“ Quelle: Statistisches Landesamt

Die massive Holzbank sowie die Bierzeltgarnituren laden Fahrradfahrer, die auf dem Erftal-Mühlenradweg unterwegs sind, zur gemütlichen Rast ein. An einem dieser Tische sitzen Matthias Heilig und seine Partnerin Jenny Damico und klären die unbedarfte Berichterstatterin über die Ansätze der regenerativen Landwirtschaft auf.

Unwillkürlich muss man an Martin Luther denken – wovon das Herz voll ist, spricht der Mund. Die Worte sprudeln nur so hervor und man spürt deutlich die Begeisterung und Überzeugung an dieser Form des landwirtschaftlichen Tuns.

Seit 2019 arbeite er nach diesen Prinzipien, erklärt der Techniker für Landbau. Während seiner Ausbildung sei eher „mehr Ertrag“ und „größer werden“ vermittelt worden, doch wuchsen in der Praxis erste Zweifel. Die Pflanzen entwickelten Resistenzen gegen Spritzmittel, weshalb man mehr spritzen und düngen müsse, um denselben Ertrag zu erzielen. Eine Spirale, die sich in die falsche Richtung drehe. Man frage sich: „Was stimmt nicht?“

Ein Berufskollege nahm ihn mit zu einem Vortrag über regenerative Landwirtschaft. Da habe er sich mit dem Komposttee-Virus infiziert, lacht seine Partnerin. Komposttee? Richtig. Es handle sich um einen selbst hergestellten reichhaltigen Ansatz, der als Blattspritzung die Pflanze vitalisiere, resistenter mache gegen Krankheiten oder Schädlingsbefall und das Wurzelwachstum fördere. Das Mehr an Blattmasse bringe mehr Fotosynthese, mithin mehr Wurzelbildung.

„Wir müssen oben Gutes tun und gleichermaßen die Mikroorganismen im Boden stärken“, erklärt der 36-Jährige. Pflanze und Boden gingen eine Symbiose ein, seien nicht getrennt zu betrachten. Der Boden sei das Kapital, der wichtigste Faktor. Daher sei es „naheliegend, sich mit ihm zu beschäftigen.“ So sehe die regenerative Landwirtschaft diesen als Mittel- und Ausgangspunkt.

Welche Farbe, Struktur, welchen Geruch habe er? „Wo ist das Gleichgewicht aus den Fugen geraten?“ Mit detaillierten Bodenuntersuchungen werde geprüft, was an Nährstoffen der Pflanze zur Verfügung stehe. Dies sei immens wichtig, denn wenn etwas im Boden gebunden sei, heiße das nicht automatisch, dass es pflanzenverfügbar sei, verdeutlicht er die Notwendigkeit dieses „großen Blutbilds des Bodens.“

Warum in die Ferne schweifen?

Teilerfolge seien bereits zu verzeichnen, doch sei man noch nicht am Ziel. Und Damico, Betriebswirtin und Projektmanagerin für nachhaltigen Tourismus – was auf ihre Liebe zur Natur schließen lässt – ergänzt, man brauche Mut sowie einen langfristigen Blick. Der Prozess brauche Zeit. Beim Kontrollgang auf dem Feld gelte der Blick stets Boden und Pflanze, deren Wurzelbildung samt Erdanhaftung zeige, wie die Kommunikation sei. „Je mehr Erdanhang, desto besser die Kommunikation.“

In Zeiten extremer Wetterereignisse sei es unumgänglich, den Boden durch Humusaufbau und Bodenleben zu stärken. Ein gesunder Boden wirke wie ein Schwamm, halte Starkregen und Dürreperioden besser stand. Zudem bedinge dieser ein gesundes Wachstum mit gesunden Erzeugnissen.

Unerlässlich sei daher die Begrünung mit Leguminosen, Kreuzblütlern und Gräsern, die gemulcht, mit eigens hergestellten Fermenten benetzt, flach mit der Fräse eingeschält werden. Bei diesem, Flächenrotte genannten, Prozess werde der Boden gefüttert. Die Nährstoffe seien für die Nachfolgekultur verfügbar. Da im Herbst alles begrünt werde, arbeiteten sie gänzlich pfluglos.

Neben Bodenaufbau setzen die überzeugten Landwirte bei Kartoffeln, Kürbissen, Zwiebeln und Knoblauch auf alte Sorten, keine „Supermarktware“, die mit ihren Eigenschaften wie Geschmack, Vielseitigkeit oder Lagerfähigkeit bestächen. Erste Sorten warteten im Hofladen, während späte wie die „Odenwälder Blaue“ noch in der Erde reife. Sie sei sehr individuell, entfalte erst mit der Lagerung ihren Geschmack.

„Der Boskop unter den Kartoffeln“, lacht die Betriebswirtin, in deren Resort natürlich der 24-Stunden-Hofladen fällt. Zusätzlich zu den eigenen naturbelassenen Erzeugnissen, die Kartoffeln sind nicht mit Keimhemmer bepudert, biete sie dem Kunden weitere heimische Köstlichkeiten, wie Linsen aus Limbach, Eier aus Dienstadt, Naturseife aus Altheim, um nur eine kleine Auswahl zu nennen.

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Außergewöhnlich sind die Speisepilze, die auf dem Hof wachsen. Hier bestehe eine Kooperation mit der Pilzzucht Kubach aus Sindolsheim, eine Symbiose betriebswirtschaftlicher Art. Überhaupt liegen ihnen kurze Wege, Regionalität, Müllvermeidung sowie die Wertschätzung des Nahrungsmittels am Herzen. Nicht zu wissen, wo und wie etwas wachse, die stete Verfügbarkeit im Supermarkt jenseits der Saison führe zur Entfremdung des Verbrauchers zur Nahrung.

Die Familienkartoffelernte schaffe Identifikation. Kindern sei es egal, ob „ihre“ Kartoffel der Norm entspreche. „Sie haben sie ausgegraben und wollen sie auf ihrem Teller haben“, beschreibt Damico ihre Motivation, solche Events anzubieten.

Überhaupt habe sie kein Verständnis für die massenweise Vernichtung von Lebensmitteln, die nicht dem Schönheitsideal entsprächen. Die Nahrungssicherung mit inhaltsreichen Produkten solle im Vordergrund stehen, nicht die Form der krumm gewachsenen Karotte. Daher will sie sensibilisieren und informieren. Warum nicht eine Firmenführung auf dem Betrieb mit anschließender Verköstigung? Schließlich gebe es hinreichend Hochwertiges in der Region. Warum also in die Ferne schweifen?

Eigentlich ein Vollzeitjob für die in Teilzeit bei der Leader-Regionalstelle arbeitende gebürtige Italienerin, die mit leuchtenden Augen vom Selbstversorgerhof ihrer Großeltern schwärmt. Das Samenkorn für ihre Liebe zur Natur wurde wohl damals gelegt. Man ahnt ihren grünen Daumen, wenn sie mit Kindern Kartoffeln ausgräbt, Kürbisse auf ihre Reife prüft oder Zwiebel erntet. Allesamt groß gewachsen, als hätte es diesen Sommer genug geregnet. So verspricht der Hofladen ein Füllhorn des Herbstes zu werden. Wie heißt es in dem Kinderlied? Der Herbst ist da, er bringt uns Obst hei hussasa.

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