Erinnern statt vergessen

Stolpersteine in Grünsfeld erinnern an neun weitere jüdische Mitbürger

Bereits zum zweiten Mal verlegte Gunter Demnig Erinnerungsstücke an jüdische Mitbürger und Mitbürgerinnen.

Von 
Matthias Ernst
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Vor dem ehemaligen Geschäft der Familie Schiller in der Leuchtenbergstraße fand die zentrale Gedenkfeier bei der Stolpersteinverlegung statt. © Matthias Ernst

Grünsfeld. Es war ein stiller, zugleich bewegender Moment, als der Künstler Gunter Demnig erneut in Grünsfeld seine kleinen Messingplatten in den Gehweg einließ – Stolpersteine zum Gedenken an jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger, die während der NS-Zeit verfolgt, deportiert oder ermordet wurden. Unter großer Anteilnahme der Bevölkerung, darunter einige Schülerinnen und Schüler der Josef-Schmitt-Realschule Lauda-Königshofen, erinnerte die Stadt gemeinsam mit Initiator Franz Ködel an neun Menschen, deren Leben und Schicksale eng mit Grünsfeld verbunden waren.

Bereits 2021 hatte Gunter Demnig, der inzwischen 75-jährige Begründer des europaweiten Kunstprojekts, in Grünsfeld mehrere Stolpersteine verlegt. Nun folgte eine zweite Verlegung an drei Stationen – in der Leuchtenbergstraße-Ecke Gerberstraße, der Rieneckstraße und vor der ehemaligen Apotheke in der Leuchtenbergstraße 27. Damit setzt Grünsfeld ein weiteres sichtbares Zeichen des Erinnerns.

Mehr als 125.000 Stolpersteine in 33 Ländern verlegt

Der 1947 geborene Künstler hat seit 1996 über 125.000 Stolpersteine in 33 Ländern verlegt. In Grünsfeld gedachte man diesmal der Familien Schiller, Rosenbusch, Rothschild und Rosenbaum. Die Verlegung begann in der Leuchtenbergstraße, wo an Oskar und Selma Schiller, ihren Sohn Hugo sowie an Hilda Rosenbusch erinnert wurde. Diese Steine werden künftig im Rathaus ausgestellt, da sich kurzfristig Änderungen bei der Einbetonierung ergeben hatten. Weiter ging es in der Rieneckstraße, wo ein Stein für Henriette Rothschild gesetzt wurde, die in Bütthard aufwuchs und nach ihrer Heirat mit Samuel Rothschild in Grünsfeld lebte. Den Abschluss bildete die Verlegung in der Leuchtenbergstraße 27 für die Familie Rosenbaum – Hermann und Regina Rosenbaum sowie ihre Kinder Alfred und Rosalie Bravmann, geb. Rosenbaum.

Gunter Demnig bei der Verlegung der Stolpersteine in Grünsfeld. © Matthias Ernst

Für den musikalischen Rahmen sorgte Arseniy Strokovskiy mit einfühlsamen Akkordeonklängen, die den würdevollen Charakter der Gedenkveranstaltung unterstrichen. Viele Grünsfelderinnen und Grünsfelder, darunter auch Eigentümer jener Häuser, die einst im Besitz jüdischer Familien waren (aber diese Häuser schon vor den Enteignungen der Nazis erworben hatten), nahmen an der Feierstunde teil. „Es ist ein starkes Zeichen, dass so viele Menschen heute hier sind“, sagte Franz Ködel, der die historischen Daten der neun Opfer akribisch zusammengetragen hat. „Wichtig ist, dass wir zeigen: Der Holocaust fand nicht irgendwo statt – er geschah auch hier bei uns, mitten in Grünsfeld“.

Nur der zehnjährige Hugo Schiller überlebte

Ködel erinnerte daran, dass vor 85 Jahren, fast auf den Tag genau, die Deportation der badischen Juden nach Gurs begann. Rund 6.500 Menschen wurden damals von Mannheim in das französische Lager in den Pyrenäen gebracht, von wo viele später in Vernichtungslager deportiert wurden. Nur der damals zehnjährige Hugo Schiller überlebte, nachdem Quäker ihn freikauften und er in die USA emigrieren konnte. Bis heute hält er Kontakt nach Grünsfeld und hat angekündigt, im kommenden Jahr erneut seine Heimatstadt zu besuchen.

Bürgermeister Joachim Markert würdigte in seiner Ansprache das Engagement von Franz Ködel und Gunter Demnig: „Mit diesen Steinen holen wir die Menschen symbolisch in unsere Mitte zurück. Gerade in Zeiten wachsender gesellschaftlicher Spannungen ist das Erinnern wichtiger denn je“. Er betonte, dass die Stolpersteine nicht nur an vergangenes Leid erinnerten, sondern auch Mahnung und Auftrag für die Gegenwart seien.

Franz Ködel verwies zudem auf die lange Geschichte der jüdischen Gemeinde in Grünsfeld, deren Wurzeln bis ins Jahr 1230 zurückreichen. Besonders bewegend war seine Schilderung des Schicksals von Oskar Schiller, dem Textilfabrikanten und Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde. Trotz seines Fronteinsatzes im Ersten Weltkrieg und der Verleihung des Ehrenkreuzes wurde er in Dachau inhaftiert – „ein Hohn“, wie Ködel bemerkte. Auch an Alfred Rosenbaum, der 1935 in Tauberbischofsheim Suizid beging, um den Repressalien der Gestapo zu entgehen, wurde erinnert.

Wichtige lokale Erinnerungsarbeit

Zum Abschluss stellte Dr. Maria Berwanger von der Universität Würzburg das Buch „Steine, die vom Leben erzählen“ vor, das die Grabstätten jüdischer Bürgerinnen und Bürger in Allersheim dokumentiert. Sie hob hervor, wie wichtig lokale Erinnerungsarbeit sei, um individuelle Schicksale sichtbar zu machen.

Als die letzten Akkordeonklänge verklangen, standen viele Besucher noch lange schweigend an den frisch verlegten Steinen. Für Franz Ködel war das ein Zeichen, dass seine Arbeit wirkt: „Meine Forschung ist noch nicht abgeschlossen. Es gibt noch viele Geschichten zu erzählen – Geschichten von Leben, nicht nur vom Tod“.

Vorsichtig wurde der frisch verlegte Stolperstein zur Erinnerung an Henriette Rothschild von Gunter Demnig gesäubert. © Matthias Ernst

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