Großrinderfeld. Der Bagger hat auf 200 Meter Länge und vier Metern Breite den Mutterboden abgetragen und sorgsam zur Seite gelegt, bevor noch tiefer gegraben wird. Die Archäologen erkennen schwarze Verfärbungen im lehmbraunen Boden, die zeigen: Vor mehr als 2000 Jahren haben hier Menschen gelebt.
Untersucht werden archäologische Zeugnisse aus der Eisenzeit. Und das nicht von ungefähr: Der Acker in der Nähe der A 81 soll Teil der Trasse für den sogenannten SuedLink werden. Bevor die eigentlichen Bauarbeiten zum Verlegen der Leitungen beginnen können, die in einigen Jahren den Strom von Schleswig-Holstein nach Leingarten bei Heilbronn bringen, wird der Untergrund sehr genau überprüft. „Im Vorfeld wurden die Stellen ausgewählt, bei denen die Wahrscheinlichkeit von archäologischen Funden am höchsten ist“, macht Johannes Gilhaus im Gespräch mit den FN deutlich. Er ist im Auftrag des Vorhabenträgers TransnetBW verantwortlich für die Umsetzung der archäologischen Maßnahmen im Bereich Baden-Württemberg für den SuedLink.
Taubertal stark besiedelt
„Dass das Taubertal in keltischer Zeit stark besiedelt war, weiß man“, sagt Dr. Andrea Neth. Die Referentin beim Landesamt für Denkmalpflege ist eigens nach Großrinderfeld gekommen, um die Fundstücke und die Arbeiten in Augenschein zu nehmen. „Den guten Boden, das milde Klima und den Zugang zu Wasser wussten die Menschen schon früher zu schätzen.“
Die archäologischen Befunde im Prospektionsschnitt wurden zunächst von Vermessungsteams dokumentiert und mit Fähnchen markiert. Nun geht es an die Feinarbeit in rund 40 Zentimeter Tiefe. Mit kleinen Kellen, aber auch mit dem Spaten wird der Boden Zentimeter für Zentimeter abgetragen. Keine einfache Aufgabe, die Erde ist vom Regen der vergangenen Tage durchnässt. Der entnommene Boden wird räumlich sorgsam vom Mutterboden getrennt und nach Funden durchsucht.
Ninja Münster, die stellvertretende technische Leiterin der Grabung, und Frank Krämer, Geschäftsführer von „Südwestarchäologie“, zeigen einen typischen Schnitt. Deutlich hebt sich die dunkel gefärbte Rundung vom Hintergrund ab. Fast sieht es aus wie eine Glocke. „Das war wohl zunächst eine Vorratsgrube für Getreide und wurde anschließend mit Unrat gefüllt.“ Dort seien organische Abfälle verrottet. Gefunden wurden in diesem Bereich einige Tonscherben, was für die Fachleute auf eine Müllgrube hinweist. „Es handelt sich hauptsächlich um Gebrauchskeramik“, so Krämer. Aber auch „Sonntagsgeschirr“, also feinere Ware, hat man aus der Grube geholt. Und dazwischen fand sich Schlacke aus der Metallverarbeitung. Auf Knochen sei man nicht gestoßen. Die Vorratsgruben der Kelten waren nicht klein. Eingekerbte Baumstämme habe man als Leitern benutzt, um hinunter zu steigen.
Anhand der Formen und Verzierungen werden die Scherben auf die frühe Eisenzeit, etwa 500 vor Christus, datiert. „Es gab also definitiv Siedlungsaktivitäten“, so Krämer.
Zunächst wird die Hälfte dieser keltischen Abfallgrube freigelegt. Ninja Münster geht davon aus, dass sich auch in der anderen Seite noch einige interessante Scherben befinden. Dass einige Ziegelstücke aufgetaucht sind, verwundet die Referentin beim Landesdenkmalamt. Die habe es in der Eisenzeit nicht gegeben, sie könnten durch die moderne Bodenbewirtschaftung eingepflügt worden sein.
Manchmal habe man Glück und könne die Grundrisse von Häusern fassen, sagt Krämer. Bei Großrinderfeld wird man dieses Glück nicht haben. Wie groß die Siedlung war, wie lange sie bestanden hat und viele Personen dort lebten, das können die Fachleute nicht sagen. Auch die Datierung der Siedlung sei nur über die gefundene Keramik möglich.
Parallel zu den Grabungen ist die detaillierte Dokumentation der Umgebung sowie der Funde sehr wichtig. „Archäologie bedeutet immer Zerstörung: Besonders, weil der Erdbefund hier nicht erhalten werden kann, wenn das Kabel durchläuft“, so Krämer. Alles wird akribisch notiert – als Draufsicht, Planum genannt, im Profil und fotogrammetrisch. Das bedeutet, dass Fotos vom Bodenbefund gemacht werden, die über Passpunkte anschließend entzerrt werden können. Früher habe man noch mit Bleistift gezeichnet, aber dafür sei heute keine Zeit mehr. Die Digitalisierung findet auch in der Archäologie statt.
Daneben erfolgt eine schriftliche Dokumentation über die Erde, die Einschlüsse und die Füllung. „Ziel ist, dass jemand, der nicht dabei war, anhand der Unterlagen nachvollziehen kann, was der Feldarchäologe gesehen hat“, erläutert Krämer. Zudem gebe es eine digitale Zweitschrift der Befunde.
Mindestens 50 solcher archäologischen Fundplätze sind vom Bau der SuedLink-Leitung in Baden-Württemberg betroffen. Und die Verantwortlichen betonen immer wieder, dass die Arbeiten auf den Feldern stets in Absprache mit den Landwirten erfolgen. Deshalb würden auch Mutterboden und tieferer Boden getrennt gelagert. „Wir sind zu Gast auf dem Gelände und versuchen, uns den Wünschen der Landwirte anzupassen. Wir wollen ihre Arbeit nicht beeinflussen“, sagen sie unisono. Dass es trotzdem zu Unstimmigkeiten kommen könne, sei aber nicht ausgeschlossen.
Wann wird der SuedLink gebaut?
„SuedLink“ ist mit einer Länge von rund 700 Kilometern und einer Investitionssumme von zehn Milliarden Euro eines der größten Infrastrukturvorhaben der Energiewende. Er soll ab Ende 2028 als Gleichstrom-Erdkabelverbindung die windreichen Regionen Norddeutschlands mit Bayern und Baden-Württemberg verbinden.
Von der Übertragungsnetzbetreiberin TransnetBW wurden nun die Tiefbauarbeiten für die baden-württembergischen Lose vergeben. Derzeit schreibe die Bundesnetzagentur am Beschluss für den Planfeststellungsabschnitt E2, so Julia Raps, Bürgerreferentin bei TransnetBW. Im Herbst könnte der Planfeststellungsbeschluss erfolgen. „Ab da besteht Baurecht zwischen Großrinderfeld und Bad Friedrichshall und die Umsetzung des Projekts in diesem Abschnittkann starten.“ Erste vorgezogene Baumaßnahmen hat die Bundesnetzagentur schon genehmigt. Dabei handelt es sich um einzelne aufwändige geschlossene Querungen, sogenannte Horizontalspülbohrungen, etwa am Schüpfbach.
Ob in Großrinderfeld der Startschuss für die Strecke auf baden-württembergischer Seite fällt, ist unklar. dib
Dokumentation der Funde
Johannes Gilhaus wirft ein: „Wir versuchen, so wenig wie möglich auszugraben.“ Bekannte archäologische Verdachtsflächen von vornherein zu umgehen, sei eine der Leitlinien der Trassenführung im Rahmen des Schutzgutes Bodendenkmäler gewesen. Beim Bau will man nicht auf „böse Überraschungen“ stoßen. Daher seien weiterhin rund 100 Archäologen von Nord nach Süd vor Ort, um rasch reagieren zu können, sollte auf Relikte gestoßen werden.
„Alle Funde sind wichtige Zeugnisse unserer Vergangenheit, die vor der Zerstörung dokumentiert werden müssen“, so Ninja Münster. „Wenn man realisiert, dass man seit 2500 Jahren der erste Mensch ist, der das in der Hand hält, ist das spannend. Man wird Teil der Geschichte.“
Spannend sind die Fundstücke auch für Dr. Andrea Neth. Die Fachfrau hat zwischen den Scherben einen unscheinbaren Klumpen entdeckt: „Das ist ein Stück Briquetage.“ Ungewöhnlich für die Region, denn er wurde beim Salzsieden verwendet. Die Kelten hatten in einem solchen Tonbecher Sole verdampft, um Salz zu gewinnen. Um an das „weiße Gold“ zu kommen, musste das Gefäß zerschlagen werden. Im Heilbronner Raum hätten Andrea Neth solche Überreste nicht verwundert, in Großrinderfeld schon.
Ninja Münster zeigt einige besonders schöne Tonscherben: keltisches Kochgeschirr, verzierte Reste eines früheren Hausstands. Und vielleicht tauchen bei den Arbeiten zum SuedLink an bisher unbekannten Stellen noch spannende Relikte aus der Vergangenheit auf.
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