Nein, ganz klar: am Montag wurde in Creglingen keine neue Touristikroute eröffnet. Davon gebe es schon über hundert, so Elisabeth Quirbach, Leiterin des Rabbinatsmuseums in Braunsbach.
Creglingen. Quirbach ist auch Initiatorin der "Leader"-Initiative für den Jüdischen Kulturweg Hohenlohe-Tauber. In ihrer kleinen Festrede erläuterte die Sprecherin des Arbeitskreises, dass dieser Weg Menschen dazu motivieren wolle, sich auf den Weg zu machen zu Zeugnissen der jüdischen Kultur. Dass er einladen wolle zur Reflexion und zur Begegnung mit der auch während der Hoch-Zeit der jüdischen Landgemeinden oft fremd gebliebenen Menschen. Und: "Der Weg möchte am Beispiel der jahrhundertelangen Nachbarschaft von Juden und Christen in unserer Region einen Weg in die Zukunft zeigen, wo für das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Kulturen Toleranz und Offensein für Fremdes immer notwendiger wird."
Creglingens Bürgermeister hatte die annähernd hundert Gäste aus den zwölf Städten und Gemeinden entlang des mit EU-Mitteln geförderten Kulturweg-Projekts im Romschlössle empfangen. Er würdigte das seit November 2016 umgesetzte Leader-Projekt als sinnstiftende Zusammenführung über drei Landkreise hinweg.
Alle teilnehmenden Gemeinden, so Hehn, halten die jüdischen Friedhöfe und anderes kulturelles Erbe der ehemaligen jüdischen Mitbürger in Ehren. "Wir sehen das als Verflichtung gegenüber der Vergangenheit und der Zukunft," so Hehn stellvertretend auch für die Bürgermeister der elf weiteren Kulturweg-Gemeinden.
Zunächst hatten sich neun Städte und Gemeinden im Leader-Arbeitskreis zusammengeschlossen: die Städte Creglingen, Gerabronn, Krautheim, Niederstetten und Weikersheim sowie die Gemeinden Braunsbach, Dörzbach, Schöntal und Wallhausen. Später schlossen sich Bad Mergentheim, Crailsheim und Schwäbisch Hall der Initiative an. Mit der Aufstellung von Informationstafeln, einer Broschüre und dem neuen gemeinsamen Internetauftritt zum Jüdischen Kulturweg Hohenlohe-Tauber wollen sie auch an die enge Verflechtung der christlichen und jüdischen Bevölkerungen im Leader-Aktionsgebiet und darüber hinaus erinnern. Hermann Limbacher, Vorsitzender des Vereins Regionalentwicklung Hohenlohe-Tauber, beglückwünschte die Beteiligten zur Vollendung des Projekts. Gern habe man den Förderantrag zur Realisierung des Kulturwegs unterstützt und an das Regierungspräsidium weitergeleitet. Der Braunsbacher Bürgermeister Frank Harsch lobte die unbürokratische interkommunale Zusammenarbeit bei diesem Projekt. Je intensiver man sich mit der Thematik auseinandersetze, desto intensiver verspüre man, was der Region durch die Shoah verlorengegangen sei, fasste er die Erfahrung zusammen, die wohl alle Arbeitskreismitglieder machten. "Wer sich auf den Weg macht, verlässt Vertrautes und gewohnte Sicherheiten - und er braucht Zuversicht und Aufgeschlossenheit", sagte Elisabeth Quirbach und erinnerte an die Zeit vor fast zwei Jahrtausenden, als sich Juden auf den Weg in die bis 1948 währende Diaspora machten. Dabei nahmen sie ihre Kultur mit - eine Kultur, die den neuen Nachbarn oft suspekt war.
Die Leiterin des Rabbinatsmuseums erinnerte daran, dass Juden trotz des Schutzes, den ihnen Kaiser Konstantin 321 zugesagt hatte, im Frühmittelalter oft tödliche Pogrome erdulden mussten. Das Ende des 15. Jahrhunderts von Herzog Eberhard von Württemberg erlassene Niederlassungsverbot blieb über 300 Jahre in Kraft, und in Hohenlohe verfügte ein Erbvertrag aus dem Anfang des 16. Jahrhunderts, dass keiner der Grafen von Hohenlohe Juden in seinem Gebiet aufnehmen dürfe. Es waren diese Verbote, führte Quirbach aus, die die Entstehung der jüdischen Landgemeinden erzwangen: Juden siedelten sich an, wo sie sich kaiserlichen Schutz, Ansiedlungsrechte und die Möglichkeit, Friedhöfe und Synagogen zu errichten, erkaufen konnten.
Handwerk war verschlossen
Handwerksberufe waren ihnen verschlossen: Den Lebensunterhalt verdienten viele als Händler. Etliche der "Landjuden" sorgten als Arbeitgeber für Innovation: In Gerabronn gründete Samuel Landauer nicht nur die Landwirtschafts- und Gewerbebank, sondern auch die "Hohenlohesche Präservenfabrik", die spätere Schüle-AG, der aus Wallhausen-Hengstfeld stammende Adolf Jandorf gründete 1907 in Berlin das KaDeWe.
Wege wie der jetzt eröffnete "Jüdische Kulturweg Hohenlohe-Tauber" gibt es, wie Quirbach berichtete, bereits in etlichen europäischen Regionen: Alle zeigen, welche kulturelle Vielfalt Juden nach Europa brachten. "Unsere Vision ist, dass sich immer mehr Menschen auf den Weg machen, um sich auf Fremdes einzulassen und Jüdische Kultur kennenzulernen - und dass sich diese Wege als Weg von Nachbar zu Nachbar letztlich durch ganz Europa miteinander verknüpfen".
Herzlich dankte sie dem eigens aus Stuttgart angereisten Rabbiner Jehuda Puschkin für den Besuch in Creglingen - und dem "Tri-o-Klez" um Herma Paul, das die Eröffnung des Kulturweges mit hochkarätigen Klezmerklängen umrahmte.
Nach dem anschließenden Stehempfang nutzten etliche Teilnehmer der Veranstaltung die Gelegenheit zum Besuch im Jüdischen Museum Creglingen. Einzelne machten sich noch auf zur Spurensuche im Ort und am jüdischen Friedhof über der Stadt.
Der Jüdische Kulturweg im Überblick
Der "Jüdische Kulturweg" verbindet über drei Landkreise hinweg zwölf Kommunen der "Leader"-Region Hohenlohe-Tauber.
Aus dem Landkreis Schwäbisch Hall mit Hall, Braunsbach, Gerabronn, Crailsheim und Wallhausen führt der Weg über Schöntal, Krautheim und Dörzbach im Hohenlohekreis in den Main-Tauber-Kreis, der mit Bad Mergentheim, Weikersheim, Niederstetten und Creglingen vertreten ist.
In den Städten lebten bis 1943 zahlreiche jüdische Bürger.
Der jüdische Kulturweg erschließt Friedhöfe, Synagogen, Frauenbäder, Schulen, Rabbinatsgebäude, Museen und Gedenkstätten in den ehemaligen Landgemeinden.
Europäische Fördermittel der "Leader"-Gebietskulisse ermöglichten die Vernetzung der Kommunen, die jetzt ihre jüdischen Kulturorte besser präsentieren können. Infotafeln, eine sehr informative Broschüre, Kartenmaterial und die neue Homepage (www.juedischer-kulturweg.de) helfen bei der Erkundung des reichen kulturellen Erbes. ibra
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