Jüdisches Museum Creglingen

Verblendete Hitlerjungen lösen Brettheim-Drama aus

Katja Hildebrand stellte ihre Erzählung „Mit der Faust in der Hand“ vor. Eindrucksvoller Perspektivwechsel

Von 
Arno Boas
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Aus der Sicht eines fiktiven Hitlerjungen schildert Autorin Katja Hildebrand (Mitte) die Ereignisse im April 1945 in Brettheim. Sie stellte das Buch „Mit der Faust in der Hand“ am Mittwoch im jüdischen Museum vor. Mit im Bild die Vorsitzende der Stiftung jüdisches Museum, Sabine Kutterolf-Ammon und Geschäftsführer Martin Heuwinkel. © Boas

Creglingen. Die Männer von Brettheim stehen als ein Symbol für den Wahnsinn des nationalsozialistischen Regimes. Es gibt in Brettheim eine Gedenkstätte, die an die tragischen Ereignisse im April 1945 erinnert, es gibt einen Film aus den 80-er Jahren, der – noch mit Zeitzeugen – auf Spurensuche geht, um zu verstehen, was nicht zu verstehen ist. Und es gibt ein noch junges Buch, das die Ermordung von drei Männern aus ganz anderer Sicht beschreibt: aus der eines Hitlerjungen. Katja Hildebrand hat es geschrieben.

„Mit der Faust in der Hand“ nimmt eine ungewohnte Perspektive ein, die des 14-jährigen Georg. Im jüdischen Museum Creglingen stellte die Autorin ihr Buch vor und zog das Publikum mitten hinein in jene Zeit, in der ein Menschenleben nichts mehr wert war.

Die Männer von Brettheim

Katja Hildebrand ist Grundschullehrerin und Mutter von zwei Kindern. Die Familie betreibt im mittleren Jagsttal einen kleinen Hobbybauernhof.

Ferienzeiten nutzt sie zum Schreiben von Kinderbüchern, historischen Romanen, Erzählungen.

Die Erzählung „Mit der Faust in der Hand“ von Katja Hildebrand ist erhältlich im Buchhandel ISBN 978-3-384-01350-7, 132 Seiten, 12,90 Euro, mit vielen Fotos und einem ausführlichen Glossar im Anhang.

Die Gedenkstätte „Die Männer von Brettheim“ ist jeden ersten Sonntag im Monat von 14 bis 17 Uhr sowie nach Vereinbarung geöffnet. Hier ist auch der Dokumentarfilm „Als der Frieden schon so nah war“ der Filmgruppe der Oskar-von-Miller-Realschule Rothenburg zu sehen. Diesen Film von Thilo Pohle will das jüdische Museum nach der Sommerpause auch in Creglingen zeigen. abo

Das Buchcover zeigt das Gesicht eines Jungen mit einer Panzerfaust in der Hand. Gezeichnet hat es eine Freundin der Autorin. Ein Bild sagt oft mehr als 1000 Worte – und in diesem Gesicht spiegeln sich die widersprüchlichen Gefühle des Jungen eindrucksvoll wider: Angst, Trotz, Entschlossenheit, Verunsicherung. Und ein Stück weit jener Fanatismus, den jahrelange nationalsozialistische Indoktrination in die Herzen der jungen Menschen gepflanzt hat.

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pm
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Als die Hitlerjungen Anfang April 1945 durch Brettheim ziehen, um sich den amerikanischen Panzern in den Weg zu stellen und als sie von einem Bauern entwaffnet werden, da tun sie das, was aus heutiger Sicht irrsinnig erscheint: Sie melden den Vorfall und setzen damit jene tragischen Ereignisse in Gang, die zum Tod von drei Brettheimer Männern und schließlich zur Zerstörung des Dorfes führen.

Katja Hildebrand stellt unbequeme Fragen: Wäre so etwas auch heute noch möglich? Könnte man junge Menschen so stark beeinflussen, dass sie „Volksverräter“ an den Galgen liefern? Auf den ersten Blick erscheint das abwegig – aber die Autorin schlägt den Bogen in die Gegenwart, verweist auf die Macht der sozialen Medien, wo sich rechtes Gedankengut wie schleichendes Gift verbreitet.

Was ging in den Jungen vor, die mit ihren Panzerfäusten in den sicheren Tod marschierten? „Ich wollte nicht noch ein historisches Buch zu Brettheim schreiben, sondern mich hineinversetzen in einen der Jungen“, sagt die Autorin, der das Publikum gebannt folgt.

Georg, 14 Jahre, aus einer Bauernfamilie in einem Dorf nahe Rothenburg entstammend, verliert seine zwei Brüder im Krieg, entwickelt tiefen Hass auf die Amerikaner. Ein Jahr lang „begleiten“ die Leser den Jungen auf seinem von Drill und Propaganda bestimmten Weg vom „Pimpf“ zum Hitlerjungen. Leise Zweifel am Sinn seines Tuns gehen unter in der Massenhysterie jener Zeit, da der einzelne nichts, das Volk aber alles sein soll. Schließlich meldet er sich freiwillig zum Volkssturm. Sie sollen die Kriegswende herbei führen, die alliierte Übermacht stoppen – mit der Panzerfaust in der Hand, einer Wunderwaffe, mit denen „der Ami nicht rechnet“, wie ihnen ihr Scharführer eintrichtert.

„Was macht ihr hier?“

Militärisch ist der Krieg im April 1945 längst verloren. Die alliierten Truppen ziehen auf der Kaiserstraße Richtung Crailsheim. Einige Tage zuvor ist Rothenburg in Flammen aufgegangen. Die Hitlerjungen bekommen den Befehl, Richtung Hausen am Bach zu ziehen. In kleinen Gruppen sollen sie die amerikanischen Panzer aus dem Hinterhalt angreifen. Sie können nicht verstehen, wie in manchen Dörfern weiße Flaggen gehisst werden sollen, zum Zeichen, dass das Dorf kampflos übergeben wird. Und sie können noch weniger verstehen, warum sie in Brettheim nicht als tapfere Kämpfer empfangen werden, sondern ihnen eher Misstrauen entgegenschlägt. „Ihr Kinder, was macht ihr hier?“ fragt sie ein Bauer. Sie werden gegen ihren Willen entwaffnet, die Panzerfäuste in den Dorfteich geworfen. Die Jungen ziehen unverrichteter Dinge ab und machen Meldung. Das Unheil nimmt seinen Lauf.

Nicht nur der Bauer wird kurze Zeit später von der SS umgebracht, sondern auch der Bürgermeister und der Lehrer, der zugleich NSDAP-Ortsgruppenleiter war. Diese beiden Männer wollten das Todesurteil nicht unterschreiben und wurden ebenfalls hingerichtet – aufgehängt an den Friedhofslinden. Die drei Toten durften mehrere Tage lang nicht abgenommen werden. Die Hitlerjungen waren bei der Hinrichtung dabei, haben Siegeslieder gesungen und wohl auch die Leichen hin- und her geschubst. „Einer von den vier Jungen war angeblich etwas zurückhaltender und unsicherer als die anderen“, sagt Katja Hildebrand. Er diente ihr als Vorbild für den fiktiven Georg. Da waren vielleicht Zweifel in ihm, ob sie richtig gehandelt oder nicht doch ein schweres Unrecht begangen hatten.

Bis heute weiß man nicht, wer die Hitlerjungen waren. Einer von ihnen aber soll sich jemandem viele Jahre später offenbart haben. Er soll zeitlebens Schuldgefühle gehabt haben, berichtet es Katja Hildebrand ihrem Publikum. Für die Vorsitzende der Stiftung jüdisches Museum, Sabine Kutterolf-Ammon, zeigt das Beispiel Brettheim besonders anschaulich, zu welcher Verblendung Propaganda führen kann – womit sie den Bogen in die Gegenwart schlug und rechte Hetze in den sozialen Medien anprangerte. Für Katja Hildebrand ist ihre Erzählung auch der Versuch, vor allem junge Menschen zu erreichen, sie zu sensibilisieren. Statt nur historische Fakten herunterzubeten, schafft sie emotionale Nähe zu ihrem Protagonisten.

Das schafft einerseits Betroffenheit, führt aber auch zu der anfangs gestellten Frage: „Was hätte ich getan?“

Redaktion Redakteur bei den FN

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