Creglingen. Der Wohltäter Johann Dreher, der Revolutionär Georg Bernhard Schifterling, der Portraitmaler Alexander Macco und der Physiker Ernst Stuhlinger haben eines gemeinsam: Sie alle kamen auf dem Gebiet der heutigen Stadt Creglingen zur Welt. Was das prominente Quartett allerdings nicht geschafft hat, ist der Tagelöhnerin Margarete Böttiger gelungen: In ihrer Heimatstadt gibt es ein Museum, das ihr außergewöhnliches Leben dokumentiert: Das Lindleinturm-Museum. Vor 30 Jahren, am 10. September 1995, ist Margarete Böttiger im Alter von 98 Jahren gestorben.
Jener Lindleinturm, im Volksmund etwas despektierlich auch „Katzenturm“ genannt, war das Zuhause von Margarete Böttiger. Bis ins hohe Alter lebte die resolute Dame alleine in dem engen Turm – mit der guten Stube unter dem Dach, dort, wo sie hohen Besuch empfing und wo auch der Weihnachtsbaum stand – und zwar das ganze Jahr über. Mit Menschen konnte sie nicht so gut. Umso besser mit Tieren, und besonders mit Katzen. Wie viele Stubentiger mit ihr den Turm bewohnten, kann niemand genau sagen. Manche meinen, es seien manchmal bis zu 20 Stubentiger gewesen. Was man aber sagen kann: Katzen standen ihr näher als Menschen.
Seit 1927 Margarete Böttigers Refugium
Erst seit 1955 heißt der Turm offiziell „Lindleinturm“. Diesen Namen hatte Margarete Böttiger durchgesetzt. Der Turm war seit 1927 Margarete Böttigers Refugium, das sie in einer Art und Weise bewohnte, die für Außenstehende kaum nachvollziehbar war. Der Turm ist eng, hat steile Treppen und stellt nicht nur für ältere Menschen eine echte Herausforderung dar – die Margarete Böttiger, unbeugsam wie sie war, bis ins hohe Alter gemeistert hat. Erst 1993 zog sie ins Altersheim nach Aub, im Jahr 1995 starb sie im Kreiskrankenhaus Creglingen, mit 98 Jahren. Seit 1999 ist ihr Turm ein Museum. Damit bleibt die Erinnerung an diese ungewöhnliche Frau auf Dauer bewahrt.
Die 280.000 Mark, die Margarete Böttiger der Stadt vermachte, waren mit der Maßgabe verbunden, dass die Stadt den Turm erhält und ihn als Museum betreibt. Dass es der Dienstmagd, Tagelöhnerin, Wald- und Hilfsarbeiterin nicht nur gelungen war, ihre Schulden abzutragen, sondern der Stadt ein mit 280.000 Mark stattliches Vermögen zu hinterlassen, sorgte nach ihrem Tod für großes Erstaunen. Eiserner Wille und extreme Sparsamkeit dürften den Grundstein für dieses Erbe gelegt haben. Gut 80 Prozent der Dinge, die sich im Turm befinden, sind nicht gekauft gewesen, schätzt man. Margarete Böttiger, die ihr ganzes Leben lang ledig blieb und bis ins hohe Alter arbeitete, sammelte vieles, was sie zum Leben brauchte, irgendwie zusammen. Ein Telefon besaß sie nie – wenn sie etwas erfahren wollte, ging sie zu den Nachbarn.
Als Heim für die kranke Mutter vorgesehen
1927 hatte die aus ärmlichen Verhältnissen stammende Margerete Böttiger den Turm gekauft – vornehmlich, um ihrer verarmten kranken Mutter ein Heim zu bieten. Die gute Stube unterm Dach konnte diese jedoch nicht mehr beziehen: sie starb im Jahr 1928, noch bevor Margarete Böttiger im Herbst 1929 selbst in den Turm zog. Das Bett, das sie damals für ihre Mutter gekauft hatte, steht heute noch im Turm. Ebenso wie der Weihnachtsbaum. Besucher bekommen das Gefühl, als sei Magarete Böttiger nur mal eben weg und kehrte gleich wieder zurück.
Die Kinder in ihrer Nachbarschaft hatten großen Respekt vor der resoluten Dame. Besonders fuchtig konnte sie werden, wenn man ihren Turm als „Katzenturm“ diffamierte. Als das in der 650-Jahr-Stadtjubiläums-Festschrift im Jahr 1949 sogar in schriftlicher Form geschah, setzte sie durch, dass der Name aus den noch nicht verkauften Exemplaren gelöscht wurde. Und als in den 60-er Jahren der Turm an die öffentliche Kanalisation angeschlossen werden sollte, weigerte sich die Besitzerin rigoros – selbst der Besuch von hohen Herren aus Stuttgart konnte sie nicht umstimmen. Der Turm selbst war einst nicht höher als die Stadtmauer – erst 1795 setzte der damals neue Besitzer, ein Uhrmacher aus Aub, das Häuschen drauf.
Im Sommer an Wochenenden geöffnet
Wenn es stimmt, was man sich erzählt, dann sagte sie einst zu ihren Nachbarn: „Ihr werdet sehen – mein Turm wird noch bewundert werden, wenn eure Häuser schon längst nicht mehr stehen!“ Nun, ob es soweit kommt, steht in den Sternen. Aber sie hat zumindest das geschafft, was Dreher, Macco, Stuhlinger und Schifterling – allesamt honorige Leute - nicht vergönnt war: dass man sich in einem Museum an sie erinnert. Welch anderer Mensch aus dem einfachen Volk kann das auch von sich sagen?
Nach dem gesundheitlich bedingten Ausscheiden von Hermann Grieser als Turmführer hat sich ein Viererteam gefunden, das die Öffnungszeiten des Kleinstmuseums am Wochenende über die Saison abdeckt: Erna Klenk, Jutta Weber, Rosi Kuhn und Ulrich Schönberger. Öffnungszeiten von Mai bis Ende September: Samstag und Sonntag von 14 bis 16 Uhr. Maximal sind pro Führung fünf Personen möglich, die Dauer beträgt zirka 45 Minuten. Weitere Infos unter www.creglingen.de/ Tourismus und Freizeit.
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