Buchen. Wer am Sonntag die Vernissage von „Proximité“ (französisch für „Nähe“), der neuen Ausstellung des Kunstverein Neckar-Odenwald im Buchener Kulturforum Vis-à-Vis, besuchte, konnte Bekanntschaft machen mit einem ungewöhnlichen, humorvollen Künstler und Menschen: Driss Ouadahi. Der Maler zeigt in dieser umfassenden Schau mehr als seine (Re-)Visionen von Städtebau und Architektur.
In einem Grußwort stellte Buchens Bürgermeister Roland Burger nachdenkliche und grundsätzliche Bezüge zum Wandel des Verständnisses von Städteplanung her und zeigte Parallelen zur eigenen Stadt auf. Dabei erinnerte er auch an die wohl ungewöhnlichste Idee in der Buchener Architekturgeschichte – das Konzept des großen, aus Buchen stammenden Architekten Egon Eiermann einer vollständigen Neubebauung der Buchener Innenstadt nach Abriss des Bestandes.
Harald Kielmann, der Vorsitzende des Kunstvereins, der den Kontakt mit dem international renommierten Künstler hergestellt hat, brachte dem Publikum in einem Künstlergespräch einen sympathischen Menschen näher, der lebendig seinen Weg in und mit der Kunst beschrieb. Dabei wurde wieder deutlich, wie wertvoll der eigene Bericht des Künstlers für den tieferen Zugang zum Werk ist – auch wenn die Arbeiten, wie hier, bereits auf den ersten Blick viele Haltepunkte bieten.
Für Ouadahi ist und bleibt Architektur und Städtebau zentrales Thema seiner Malerei, die sich oft in sehr großen Formaten präsentiert. Er spricht einerseits von „Utopien“, nennt Le Corbusier, Visionäres, sieht und beschreibt aber auch die ernüchternde Realität der Banlieues, der Vorstädte, des Suburban, die er in seiner ersten Heimat Nordafrika ebenso wie in Europa vorfand, wo er heute seinen Lebensmittelpunkt hat – insbesondere in Düsseldorf, an deren Staatlicher Kunstakademie er studierte.
Dabei ist der Realismus dieser Bilder von traumhaft schwebender Zweideutigkeit, die vor allem beim Näherkommen zerfließt. Die gerüstartigen, brachialen Gittergerüste, die in vielen Bildern hochhausartig in die Höhe ragen, geben dann Durchblicke frei in rätselhafte, hinter ihnen liegende Landschaften und Szenerien, die in andere Zeiten oder Gegenden verweisen.
Gleichzeitig bricht der aus der Ferne perfekt, fast fotografisch wirkende Malstil in der Nähe auf und zeigt die Unregelmäßigkeiten und die Freude an der Struktur eines Malers, dem es fast mehr um Farbe und Pinselstrich geht als um die Perfektion der Realitätswiedergabe.
Neben diesem Themenschwerpunkt haben sich zwei weitere Werkgruppen entwickelt, die in Buchen ebenfalls mit markanten Beispielen vertreten sind: die „Drahtzäune“ und die „Unterführungen“.
Die Drahtzaun-Bilder reflektieren das große Thema Flucht und Grenzziehung. Der Maschendraht wird zur Metapher und Driss Ouadahi lässt seine gedankliche Beschäftigung damit in einem, wie er selbst sagt, meditativen Prozess in den Arbeiten Bild werden.
Hier wird das Motiv im Maßstab 1:1 wiedergegeben. Die Malerei ist realitätsgetreu, transformiert aber das Abgebildete und integriert durch andere Bildelemente die Freiheit, auf die sich alle Hoffnungen richten.
Bei seinen „Unterführungen“ arbeitet der Maler auch maßstabsgetreu – die abgebildeten Fliesen sind an dem für den Betrachter nächsten Punkt originalgroß und werden dann kleiner, wenn es die perspektivische Wiedergabe verlangt.
Hier geht es Ouadahi um die malerische Erforschung dieser ganz eigenständigen architektonischen Erscheinungsform und darum, beim Betrachter Nachdenken darüber anzuregen, wie sich das menschliche Verhalten und Kommunizieren darin abspielt – welche spezielle Auswirkung also besondere Architekturformen auf unser Verhalten mit sich bringen. Dabei versäumt er aber nicht, die darin enthaltene Ästhetik aufzuzeigen.
Der Besucher der Ausstellung wird sich vielleicht beim nächsten Durchlaufen einer städtischen Unterführung an diese Gemälde erinnern und seine eigene Reaktion auf die erfahrene Architektur beobachten.
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