Buchen/Walldürn. Herbstfarben durchziehen jetzt den Odenwald. In ihrer Schönheit tragen sie gleichwohl den Keim von Vergänglichkeit. Schon bald wieder, sind da die Totengedenktage. Dem „memento mori“, diesem „sei dir Deiner Sterblichkeit bewusst“, widmete der vielseitig engagierte holsteinische Künstler Stefan Weiller (stefan-weiller.de) am Samstagabend in der voll besetzten Buchener Stadthalle eine ganz und gar ungewöhnliche Betrachtungsweise. Zur Feier des zehnjährigen Bestehens des Odenwald Hospiz Walldürn und zusammen mit unter Rezitatorin Birgitta Assheuer, dem Schauspieler Christoph Maria Herbst, Sängerinnen und Sängern sowie dem großen Bad Mergentheimer Kammerchor unter der Leitung von Dirigent Felix Krüger, zeigte Weiller das Programm „Odenwälder Letzte Lieder – Sterbende erzählen von der Musik ihres Lebens“. Weillers Botschaft: „Sei dir Deiner Lebensgestaltung bewusst“.
Als seinerzeit freier Journalist erhielt Weiller einmal den Auftrag einer Tageszeitung zu Interviews in einem Hospiz: Wie ist das, wenn man diesen letzten Raum betritt? Sofort hatte Weiller all die düsteren Klischees zum Thema Sterben vor seinem inneren Auge, wie er sie für sich adaptiert hatte. In der Begegnung mit einer Frau im Interview, lief plötzlich vieles so ganz anders als vermutet. Weiller fand sich unerwarteterweise in einem heiter gelösten Gespräch wieder: Die Dame erzählte, ihr Leben und Sterben verbinde sie mit Musik. Mit Liedern ihres Lebens.
Plötzlich waren da Schlager, statt Requiem. Lieder von allgemeiner Leichtigkeit, Unbeschwertheit und sogar Belanglosigkeit, die plötzlich das Antlitz von persönlicher Wertigkeit und Tiefgründigkeit annahmen. Weiller wusste für sich: Dieses Thema, über das er schrieb, das birgt in sich etwas größeres.
Mit Besuchen von Menschen in weiteren Hospizen, mit Gesprächen auch mit deren Angehörigen, tauchte Weiller über Jahre hinweg in die Welt der letzten Dinge ein. Darin, was Menschen an ihrem Lebensende wichtig ist und welche Lieder im Sinne von Emotionen und Erinnerungen sie damit für sich verbinden. So sehr, weil sie Epochen ihrer Biografie beschreiben und so zu einem emotionalen Baustein des eigenen Ich geworden sind. Lieder aus verschiedenen Lebensepochen von Kindheit bis Alter, jedes davon wie eine hoch emotionale Zwischensumme ihrer Zeit.
Vor diesem Hintergrund nun, gastierte Stefan Weiller am Samstagabend mit seinem Programm im Odenwald. Auch hier hatte er im Vorfeld mit Menschen gesprochen, deren irdisches Leben sich dem Ende zuneigte und die jetzt tot sind. Die Vorstellung an diesem Abend zu zeigen, habe einer Vorbereitungszeit von drei Jahren bedurft, so der Künstler. In ihrem intensiven Regionalbezug, sei „Odenwälder Letzte Lieder“ eine künstlerische Sonderanfertigung, die es nur dieses eine Mal zu erleben gegeben habe. Ganz so, wie Leben und Sterben für jeden Menschen einzigartig und nicht wiederholbar sind.
Weiller nahm das Auditorium mit zu einem Besuch ins Odenwald Hospiz. Er erzählte von dortigen Begegnungen mit 23 Menschen und ihren Angehörigen. Fünf davon stellte er in den Ereignisrahmen von Jahreszeiten, von Frühling bis – nein, nicht Winter und „Ende“, sondern – wiederum Frühling, als Anklang von wiederkehrendem Neubeginn und Hoffnung. Über den Tod hinaus. Und als ersten Hinweis des Abends an das Publikum, klassisch-klischeehaftes Denken über den Tod aufzubrechen.
19 Begegnungen hingegen fanden in den Räumen der Patienten statt. Von Raum zu Raum nahmen Assheuer und Herbst das Publikum mit und ließen es in ihren Lesungen Anteil an den Gesprächen haben, die Weiller geführt hatte. Nun als Lesungen vorgetragen, sprachen die mittlerweile Verstorbenen durch die Stimmen von Assheuer und Herbst zum Publikum. Deren beider Leseprofessionalität holte die Sprechnormalität einer ganz gewöhnlichen Unterhaltung in die Stadthalle. Wiederum ein versteckter Hinweis des Regisseurs, beim Gedanken an Sterben und Tod zunächst einmal nicht zu überhöhen, sondern beides als zwei von vielen Lebenssituationen von Geburt an zu betrachten. Genau das nämlich hatten die seinerzeit Interviewten in ihrem Plaudern und Erzählen getan.
So erzählte eine zitierte Dame ihrem Sohn, sie wolle ein Urnengrab, statt einer Erdbestattung: „Das ist immer aufgeräumt. Oder meinst Du ich will ein Grab, das so aussieht wie Dein Zimmer?“ Ein Mann der auch des Nachts bei seiner Frau im Hospiz blieb und dort auf einem Klappbett schlief, sagte dazu: „Das ich das tue, macht unser gemeinsames Leben rund. Wir haben immer alles geteilt.“ Normal also, dass in den gelesenen Erzählungen der Hospizpatienten alles Platz hatte, was das Leben auch ausmacht: Normalität, Lacher, ruhige Töne.
Und Musik. Denn die Hospizpatienten erzählten auch von Musiken, die sie mit ihrem Leben oder auch Sterben verbanden. Eine Dame: „Mein Leben war mehr Schlagzeug als Triangel. Ich möchte zu meinem Begräbnis ein langes Schlagzeug-Solo.“ Ein Mann, dessen Sterben sich hinzog, kokettierte mit seinem Wunsch nach dem Lied „Lebt denn der alte Holzmichel noch?“ Zu einer Verstorbenen voller gewesener Lebensfreude passte das ausgelassene Tanzen zu „Dancing Queen.“ So begleitete die Begegnungen des Auditoriums mit den Menschen im Odenwald Hospiz eine große musikalische Bandbreite: mal ruhig und tiefgründig (Grönemeyer, „Der Weg“), mal innig (Houston, „I always love o“), mal ausgelassen (Abba, „Dancing Queen“). Harmonisch kontrastierend dazu die weitere Bandbreite, von Barock-Arie über Volks- bis Weihnachtslied.
Gezielt wurde das Publikum in das Bühnengeschehen mit einbezogen, etwa durch Aufforderung zum Mitsingen. Sopranistin Schmid ging noch weiter. Als von Assheuer und Herbst gerade über den Themenbereich „Angst“ gelesen worden war, verließ sie die Bühne, trat an das Publikum als Ganzes wie auch an einzelne Gäste, wie Walldürns Bürgermeister Meikel Dörr, mit einem Wechselgesang zahlreicher „di-di-di“ Tonfolgen heran und forderte zum Mitimprovisieren auf. Die damit zwangsläufig verbundenen „Stolperer“ waren geradezu provoziert.
Ein Spiel der Regie mit dem Publikum: Komme aus Deiner eigenen Angst heraus, mache einfach, sei Du selbst.“ Das Programm Weillers war gespickt mit solcherlei Symboliken wie den bis hierher genannten. Den musikalischen Schlussakkord setzte denn auch das gemeinsame ausgelassene Tanzen von Publikum und Bühnenkünstlern zum Stück „Let´s twist again“.
Und dann waren noch Botschaften der seinerzeit Interviewten. Wer sie besuche, sagte eine Dame, solle beim Abschied nicht sagen „Wir kommen Dich noch mal besuchen“, sondern „Wir kommen Dich wieder besuchen“. Sprache macht feine Unterschiede. Auch möge man beim Sprechen mit ihnen nicht in betüddelnde Kindersprache verfallen, sondern sie im Hier und Jetzt – wie sonst auch – wahr- und ernst nehmen. Das letzte Wort des Abends, das waren zwei. War Abschied. Und war Aufforderung, aus dem eigenen Leben etwas zu machen: „Lebt wohl!“
So klang in den Besuchern denn auch nach: Welcher ist der Soundtrack Deines Lebens? Und was ist die Geschichte dazu?
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