Corona und Glaube

Dekan Johannes Balbach: „Gerade jetzt brauchen Menschen die Weihnachtsbotschaft“

Im großen Weihnachts-Interview spricht Dekan Johannes Balbach über die Krise und die Auswirkungen auf die Kirche. Der Geistliche liefert einige interessante Aspekte und Ansätze.

Von 
Michael Fürst
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Dekan Johannes Balbach spricht im großen FN-Interview über Weihnachten in der Corona-Krise. © Michael Fürst

Buchen/Mosbach. Herr Balbach, ist Corona die Rache Gottes?

Dekan Johannes Balbach: Das ist nicht mein Gottesbild. Ich verkünde immer einen Gott, der die Menschen so nimmt, wie sie sind – mit all ihren Stärken und Schwächen. Das heißt aber nicht, dass er mit allem zufrieden ist, was wir machen. Rache Gottes – das würde ich so nie unterstreichen, weil es für mich keinen rachsüchtigen Gott gibt. Was ich aber dazu sagen möchte: Corona ist auch die Folge einer Veränderung unserer Umwelt. Klimawandel, Flutkatastrophen wie die im Ahrtal, Wirbelstürme. Daran hat der Mensch mit seinem Handeln seinen Anteil. Deshalb stellt sich mir eher die Frage, wie der Mensch mit der Schöpfung und dem ihm geschenkten Leben umgeht. Um die Brücke zu Weihnachten zu schlagen, möchte ich meine Gedanken mit diesem Beispiel verdeutlichen: Wenn ich ein Geschenk bekomme, kann ich dankbar sein oder ich nehme das Geschenk und lege es achtlos in die Ecke. Die Natur ist das Geschenk des Lebens. Wir müssen alles tun, dass sie erhalten bleibt!

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Von
Bernd Stieglmeier
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Sie sehen Corona also auch als eine Warnung der Natur an den Menschen?

Balbach: Es ist eine Warnung an das Handeln der Menschen. Jeder, der behauptet, es habe sich in den letzten Jahren in der Natur nichts verändert, der lebt meines Erachtens nicht in dieser Welt.

Welche Antworten liefert die Kirche auf die Corona-Krise?

Balbach: Naja, wir sind ja kein medizinisches Unternehmen. (Überlegt kurz) Oder vielleicht doch: Bei uns geht es um den ganzen Menschen, auch um die Seele. Wir als Kirche versuchen, den Menschen nahe zu sein und ihnen Mut zu machen. Wir versuchen, den Menschen klar zu machen, dass sie die Bedrohung verstehen, die durch Corona entstanden ist – vor allem da auf der Welt, wo wenig oder keine Impfstoffe da sind. Und natürlich sind wir um die Sicherheit der Gläubigen bedacht, wenn sie mit uns Gottesdienst feiern. Wir beten für die Kranken und die Menschen, die durch die Pandemie stark belastet sind, zum Beispiel in der Pflege.

Und was entgegnen Sie denen, die sagen: Das Gebet bringt doch nichts?

Balbach: Das bringt sehr wohl etwas. Das Gebet hat eine tragende Kraft. Das merke ich daran, dass mir Leute erzählen, dass sie für mich beten. Und ich spüre, dass mich das trägt.

Hat sich die Kirche während der Corona-Pandemie genügend öffentlich positioniert?

Balbach: Hier möchte ich zwischen der Aufgabe des Staates und der Kirche unterscheiden. Wir haben gewiss unseren Mitarbeitern in der Kirche und der Seelsorge empfohlen, sich impfen zu lassen. Einen offiziellen Aufruf an alle Menschen haben wir nicht gemacht. Wir haben als Kirche aber sehr wohl auf die Krankheit und die dadurch entstehende Bedrohung für die Menschen hingewiesen. Hier sind wir als Teil der gesellschaftlich tragenden Gruppen unserer Aufgabe gerecht geworden.

Mit welchen Fragen und Problemen werden Sie als Dekan und Pfarrer ganz konkret konfrontiert?

Balbach: Wir waren und sind immer wieder mit den Fragen konfrontiert: Warum macht Ihr nicht 3G, 2G oder 2G+? Wir haben da eine klare Haltung: Wir haben in Deutschland Religionsfreiheit. Wenn ich nun 3G, 2G oder sogar 2G+ ausgebe, kann es sein, dass ich Gläubige abweisen muss, weil sie keines dieser Kriterien erfüllen. Deshalb gilt bei uns der Grundsatz: Prinzipiell Mundschutz und Abstand. Diese Regelung werden wir auch über Weihnachten beibehalten.

Das erinnert an den Satz: Vor Gott sind alle Menschen gleich.

Balbach: Ja, unter dem Gesichtspunkt kann man es auch sehen.

Kommen die Menschen mit anderen Problemen zu Ihnen als vor der Corona-Zeit?

Balbach: Viele Menschen spüren aufgrund der Lockdowns und aufgrund der Ausgangsbeschränkungen Einsamkeit. Für Jüngere äußert sich die Corona-Krise vermehrt in psychischen Problemen. Was auch viele betroffen gemacht hat: Wenn Familien einen Todesfall hatten, durften nur wenige Angehörige an der Trauerfeier teilnehmen, und wenn dann auch nur mit Maske. Hier waren oft intensivere Gespräche und mehr Begleitung nötig.

Haben Sie das Gefühl, dass Sie als Seelsorger noch mehr gefordert sind als vor Corona?

Balbach: Gefordert ist vielleicht das falsche Wort. Ich würde sagen, ich bin mehr „angefragt“. Für mich sind Begleitung, Gespräche oder Mut machen keine Herausforderungen.

Zu Beginn der Pandemie in Deutschland im März 2020 machten viel solche Begriffe die Runde wie „Nächstenliebe“, „Solidarität“, „man achtet wieder mehr auf seine Mitmenschen“ und so weiter. Gut anderthalb Jahre später kann man das Gefühl gewinnen, dass genau das Gegenteil eingetreten ist: Ellenbogen raus, erst Ich, Missmut, teils sogar Hass. Sehen Sie das auch so?

Balbach: Ich gebe Ihnen Recht: Am Anfang war das so. Die Menschen haben viele Ideen entwickelt, wie man den Anderen nahe sein kann, wie man Leuten eine Freude machen und helfen kann. Die Situation hat sich dahingehend geändert, dass viele Menschen Corona-müde sind. Alle wünschen sich die Freiheit, die vor Corona war. Damals war das neu und jeder dachte, es ist bald wieder vorbei. Was ich damit sagen will: Es ist nicht so, dass es 2020 mehr Hilfsbereitschaft gab und heute keine mehr. Die Menschen waren schon immer hilfsbereit. Zu Beginn war der Ansporn zur Hilfsbereitschaft größer als jetzt. Dieses Phänomen sieht man auch bei Katastrophen wie jetzt zum Beispiel im Ahrtal: Am Anfang helfen alle, dann wird es immer weniger.

Aber die „Aktionen“ drehen sich doch jetzt sogar um: Wir haben Fackelaufmärsche und rechtsradikalen Widerstand bei Corona-Demonstrationen …

Balbach: Da darf man das Eine nicht mit dem Anderen vergleichen. Diese Aufmärsche geschehen nicht mehr auf der Basis der Demokratie. Da muss man hart dagegen vorgehen, weil solch einen Staat, der da gefordert wird, keiner von uns will.

Die Gottesdienste an Weihnachten sind die, die am meisten besucht werden. Im vorigen Jahr und auch 2021 müssen diese Messen mit weniger Gläubigen stattfinden; zwischendurch waren gar keine Menschen mehr in Kirchen zugelassen und Sie mussten „online predigen“. Kommen Sie unter diesen Umständen überhaupt nach so an die Christen ran, wie Sie sich das wünschen und vorstellen?

Balbach: Die Gottesdienste, die wir jetzt über Weihnachten feiern, werden, soweit es die Corona-Beschränkungen zulassen, gut besucht sein und deshalb auch feierlich gestaltet. Deshalb kommen wir auch an die Gläubigen ran. Ich habe das Gefühl, dass die Menschen in dieser Zeit noch ein viel tieferes Empfinden für die Weihnachtsbotschaft entwickeln. Bei den reinen Online-Gottesdiensten war es anders: Eucharistie lebt von der Gemeinschaft, der Gemeinschaft vor Ort. Es war irgendwie so wie: Die Familie kommt zum Essen zusammen, aber sitzt nicht am Tisch, sondern jeder vor seinem Bildschirm. Da entsteht keine echte Gemeinschaft. Online-Gottesdienste hatten aber einen schönen Nebeneffekt: Viele Ex-Buchener, die weggezogen sind und sich noch mit der Heimat verbunden fühlen, haben unsere Gottesdienste angeschaut. Da habe ich einige schöne Reaktionen bekommen.

Wie äußert sich dieses tiefere Empfinden der Menschen für die Weihnachtsbotschaft? Wie kann die Botschaft der Geburt Jesu den Menschen in dieser Krise helfen?

Balbach: Weihnachten ist das Fest des Lichtes. Es werden, schon im Advent, viele Kerzen angezündet. In Fenstern und Gärten leuchten die Lämpchen. Wir sind Menschen des Lichts; Dunkelheit bedrückt uns. Die weihnachtliche Botschaft ist die Botschaft der Hoffnung, der Freude und eben des Lichts. „Licht, das uns erschien…“, heißt es in einem Lied. Und deshalb ist diese Botschaft genau jetzt die, welche die Menschen brauchen. Wir verkünden: „Ihr seid nicht alleine. Gott steht an eurer Seite. Gottes Sohn kommt in eure Welt.“ An Weihnachten geht es auch um Frieden. Und Frieden heißt nicht nur, dass die Waffen schweigen. Es geht auch um einen gesellschaftlichen Frieden. Der ist ja durch eine gewisse Radikalisierung auch bedroht. Es gibt zudem oft einen „Unfrieden mit mir selbst“. Wenn ich unzufrieden bin, kann ich oft andere Menschen nicht annehmen.

Welchen Weihnachtswunsch haben Sie für sich?

Balbach: Ich wünsche mir, dass meine Familie, meine Freunde und die Menschen um mich herum gesund bleiben. Für uns alle wünsche ich mir, dass wir diese Pandemie und die uns auferlegte Krankheit gut bestehen. Und ich wünsche mir, dass die Friedensbotschaft, die von Weihnachten ausgeht, endlich einmal weltweit greift. Kein Volk soll in Angst und Unterdrückung leben.

Muss man sich nicht genau diesen Aspekt immer wieder vor Augen führen: Wir durchleben eine Krise, ja, aber es gibt so viele Menschen auf dieser Welt, denen geht es noch viel, viel schlechter?

Balbach: Ja, ganz genau. Dafür ist Weihnachten auch da: Dankbar sein für das, was man hat und auch für das, was man geschenkt bekommt.

Ressortleitung Reporterchef und Leiter der Sportredaktion

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