Neckar-Odenwald-Kreis. Die Bilder aus Berlin sorgten bundesweit für entsetzen: Einsatzkräfte werden bei der Arbeit behindert, mit Feuerwerkskörpern beschossen und Einsatzfahrzeuge geplündert. Die Gewalt gegen Polizei und Rettungskräfte beherrschte aber nicht nur die Silvesternacht in der Hauptstadt. Auch andernorts kam es zu Krawallen. Die Fränkischen Nachrichten sprachen mit Michael Genzwürker, dem Vorsitzenden des Kreisfeuerwehrverbandes des Neckar-Odenwald-Kreises und gleichzeitigem Leiter und Fachberater der Psychosozialen Notfallversorgung (PSNV) des Kreises sowie mit Kreisbrandmeister Jörg Kirschenlohr über diese Entwicklung.
Herr Genzwürker, Herr Kirschenlohr, was ging Ihnen beiden durch den Kopf, als Sie die Bilder der Silvesternacht aus Berlin gesehen haben?
Michael Genzwürker: Das ärgert einen natürlich. Es geht gar nicht, dass Einsatzkräfte mit Böllern und Steinen beworfen werden, weil keine Akzeptanz mehr für die Menschen da ist, die anderen helfen möchten.
Jörg Kirschenlohr: Mir ging es auch so. Wir hatten im Neckar-Odenwald-Kreis eine ruhige Silvesternacht. Die Leute haben nach zwei Jahren Pandemie harmonisch gefeiert. Deshalb war es umso bedauerlicher, dass solche Ereignisse in Deutschland stattfanden.
Zu wie vielen Einsätzen mussten die Wehren im Neckar-Odenwald-Kreis an Silvester ausrücken?
Kirschenlohr: Der letzte Einsatz in dieser Nacht war in Walldürn, wo wir einer Person helfen mussten. Es gab noch zwei weitere Einsätze, bei denen die Wehren aus Aglasterhausen und Mosbach ausgerückt sind. Von diesen drei Wehren hat aber keine berichtet, dass etwas vorgefallen sei.
Ist die Aggressivität gegen Rettungskräfte dann ein städtisches Problem?
Kirschenlohr: Nein, das glaube ich nicht. Auch in der Vergangenheit hat es Gewalt gegen Rettungskräfte gegeben – auch bei uns. Allerdings bewegen wir uns hier noch im Bereich verbaler Angriffe. Die Leute haben teilweise kein Verständnis, dass beispielsweise wegen eines Einsatzes die Straße gesperrt werden muss und werden dann wütend. Körperliche Gewalt habe ich hier aber noch nicht erlebt.
Genzwürker: Das ist richtig. Auch für mich liegt die Gewalt darin, dass ein Bürger nicht akzeptiert, dass er aufgrund einer Einsatzstelle zurückstecken muss und sein Recht dann eben nicht ausüben kann.
Bereiten Sie sich dennoch darauf vor, dass es solche Szenen bald auch im Neckar-Odenwald-Kreis geben kann?
Kirschenlohr: Wir rechnen jeder Zeit damit, dass so etwas auch bei uns passieren kann. Darauf bereiten wir uns vor. In bestimmten Konstellationen kann das Problem auch im Neckar-Odenwald-Kreis auftreten, beispielsweise wenn Menschen zu viel Alkohol trinken. Deshalb versuchen wir, die Leute zu sensibilisieren.
In Berlin wurden vor allem junge Menschen und jene mit Migrationshintergrund verantwortlich gemacht. Wie sieht das hier im Kreis aus?
Kirschenlohr: Ich kenne den genauen Stand der Ermittlungen nicht, bin mir aber sicher, dass allein Migrationshintergrund keine treffende Charakterisierung der Tätergruppe ist. Da kommen viele Faktoren zusammen. Und wenn wir über die geringe Akzeptanz gegenüber Einsatzkräften im Neckar-Odenwald-Kreis sprechen, ist da absolut jeder dabei.
Wie werden Einsatzkräfte auf mögliche Angriffe am Einsatzort vorbereitet? Wie sollen sie sich verhalten?
Genzwürker: Die PSNV ist ein Fachgebiet, bei dem der Feuerwehrverband mit vertreten ist. Wir gehen auf Präventionsschulungen und versuchen Einsatzkräfte schon ab der Grundausbildung abzuholen und sie auf mögliche belastende Situationen während eines Einsatzes vorzubereiten. Gaffer und das Unverständnis der Bevölkerung sind dabei unter anderem Themen.
In Berlin wurden Einsatzfahrzeuge ausgeräumt. Müssen Sie in Zukunft Einsatzkräfte abstellen, die auf die Ausrüstung aufpassen?
Genzwürker: Dieses Problem gibt es nicht nur in Bezug auf Feuerwehrfahrzeuge. In manchen Orten werden auch Gerätehäuser geplündert, sobald die Wehr ausgerückt ist. In Buchen gibt es deshalb Kameras, die den Hof filmen. Zusätzlich ist die Funkzentrale besetzt und die Feuerwehrleute darauf sensibilisiert, die Tore zu schließen und alles im Blick zu behalten. Bei kleineren Abteilungswehren ist das womöglich nicht der Fall.
Kirschenlohr: Das hängt nicht zwingend von großen und kleinen Abteilungen ab. Die Wehren achten schon darauf, dass das Gerätehaus besetzt ist, Wertsachen in Spinte gelegt und Tore geschlossen werden. Aber auch bei einem Einsatz sollte das Fahrzeug immer von einem Fahrzeugführer besetzt sein, weil die Leitstelle einen Ansprechpartner braucht. Daher liegt das Problem hier eher beim Rettungsdienst. Dort sind mitunter alle Einsatzkräfte beim Patienten.
Schrecken Angriffe gegen Feuerwehrleute junge Menschen davon ab, der Wehr beizutreten?
Genzwürker: Ich glaube nicht. Wir haben heute eine andere Gesprächskultur, die Probleme zulässt. Man spricht darüber, sie werden nicht verschwiegen. Das gilt auch für die Jugendfeuerwehr. Das kommt uns in solchen Situationen zu Gute.
Kirschenlohr: Momentan herrscht kein Flächenbrand. Das Problem ist zunächst in einzelnen Städten und Gemeinden aufgetreten – beispielsweise in Berlin. Jetzt gilt es, die Täter ausfindig zu machen und angemessen zu bestrafen. Ich glaube nicht, dass wir uns daher schon Sorgen machen müssen, dass die Jugend nicht mehr zur Feuerwehr geht.
Sollte das Strafmaß bei Menschen, die Einsatzkräfte angreifen, höher liegen, um so noch besser als Abschreckung zu dienen?
Genzwürker: Gerade bei jungen Erwachsenen müsste die Strafe deutlich schneller kommen. Es muss ein direkter Bezug da sein. Wenn die Strafe erst ein dreiviertel Jahr später verhängt wird, hat man nicht den gewünschten erzieherischen Effekt. Aber leider sind unsere Gerichte überlastet, weshalb es Zeit braucht.
Kirschenlohr: Ich glaube nicht, dass wir strengere Gesetze brauchen. Die aktuell geltenden Gesetzte müssen angewandt und umgesetzt werden. Die Schwierigkeit mag eher darin liegen, dass Gerichte überlastet sind und es auch im Bereich der Strafverfolgung an Personal fehlt.
Wie stehen Sie zu einem Böllerverbot?
Genzwürker: Als Hundebesitzer fände ich das natürlich schon toll (lacht). Es gibt viele Gründe, keine Raketen mehr zu verkaufen: Umweltschutz zum Beispiel. Es grundsätzlich zu verbieten, halte ich aber für den falschen Weg. Stattdessen wäre eine Alternative ein gemeinsames, professionell organisiertes und abgesichertes Feuerwerk, von dem alle etwas haben.
Kirschenlohr: Das muss jeder für sich entscheiden. Gerade in Innenstädten mit Fachwerk sind wir Feuerwehrleute froh, wenn nicht mit Feuerwerksraketen geschossen wird. Das Problem ist immer, wenn einige wenige Menschen mit den Feuerwerkskörpern etwas Unerlaubtes macht, beispielsweise auf Einsatzkräfte schießen. Das Böllern deshalb für alle zu verbieten, finde ich nicht richtig.
Könnten nicht Body-Cams für Feuerwehrleute dazu beitragen, dass es weniger tätliche Angriffe gibt?
Genzwürker: Es gibt bereits Feuerwehrleute, die das testen. Für einen Fehler halte ich es nicht. Es könnte förderlich sein, dass weniger passiert oder dass man die Täter im Nachgang identifizieren kann.
Kirschenlohr: Das ist ein zweischneidiges Schwert. Es gibt sicher Einsätze, bei denen solche Kameras Täter davor abschrecken, auf Einsatzkräfte loszugehen. Allerdings bewegen wir uns im Bereich der Gefahrenabwehr, da kann ich nicht abschätzen, ob es sinnvoll ist. Man würde damit schlussendlich jeden Bürger unter Generalverdacht stellen, etwas Schlechtes im Sinn zu führt. Für eine großstädtische Feuerwehr sieht das schon anders aus, da kann ich den Einsatz von Body-Cams verstehen. Pauschal kann man das also nicht sagen.
Welche Veränderungen wünschen Sie sich für die Zukunft?
Genzwürker: Ich fände es schön, wenn die Leute selbst wieder mehr aktiv werden und die Feuerwehr nicht als Dienstleister verstehen. Natürlich kommen wir, wenn die Not groß ist. Aber früher hätte man vielleicht auch einfach mal den Wassereimer genommen und das Feuer selbst gelöscht. Die Resilienz müsste man wieder stärken. Dann würde auch die Akzeptanz gegenüber den verschiedenen Rettungskräften wieder stärker.
Kirschenlohr: Wenn wir uns die vergangenen Jahre mit all ihren Krisen ansehen, dann hat sich doch eines gezeigt: Wenn es gilt, dann ist die Hilfsbereitschaft sehr groß. Deshalb mache ich mir nicht allzu große Sorgen (lächelt).
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