Vor 150 Jahren führte Baden die Zivilehe ein: Eheschließungen zuerst bürgerlich (auf dem Standesamt), danach kirchlich. Eine Neuerung, die auf Zustimmung und Ablehnung stieß.
Boxberg. Das badische Gesetz über die Zivilehe regelte auch das Personenstands-Register neu. Geburten, Ehen, Sterbefälle waren nun zuerst auf dem Standesamt anzuzeigen. Seither haben die Standesregister (Standesbücher) Vorrang von den Kirchenregistern (Kirchenbüchern). Linksrheinisch hatte Frankreich die Zivilehe schon früher eingeführt, aber rechtsrheinisch war das liberale Großherzogtum Baden Vorreiter. Preußen, Württemberg und Bayern führten die Reform erst 1874/1876 ein.
„Die Tauber“, in Tauberbischofsheim gedruckte Tageszeitung und Amtsverkündigungsblatt für die Ämter und Gerichtsbezirke von Adelsheim und Boxberg bis Tauberbischofsheim und Walldürn, lobte in der Neujahrsausgabe:
„Regierung und Landtag haben . . . die erfreulichsten Gesetze teils schon beendet, teils in Angriff genommen, und wenn wir nur an die Standesbuchführung und die Zivilehe . . . denken, so bilden diese schöne Denkmale des rastlosen freiheitlichen Schaffens für unsere Enkel, welche mit Dank auf dieses Jahr zurücksehen werden“.
Erste bürgerliche Ehen
Die Neuerungen, am 21. Dezember 1869 beschlossen, traten zum 1. Februar 1870 in Kraft. Die Amtszeitung wies darauf hin, „dass Diener der Kirche, welche nach dem 31. d. Mts. bei einem kirchlichen Eheabschluss mitwirken, ohne dass die bürgerliche Trauung vorausgegangen und die vorgeschriebene Heiratsurkunde von dem Bürgermeister als Standesbeamter aufgenommen worden wäre, polizeilich mit einer Geldstrafe von 100 bis 300 fl bestraft werden“. Verlobte hatten eine polizeiliche Geldstrafe bis zu 100 Gulden zu befürchten (29.01.70).
Uiffingen meldete in der Zeitung die erste Zivilehe: Am 3. Februar 1870 „wurde dahier die erste bürgerliche Ehe vor dem Standesbeamten geschlossen. Damit wird in dem Amtsbezirk Boxberg Uiffingen wohl den Anfang gemacht haben. Überhaupt ist hier, Dank der Belehrung unseres verständigen Geistlichen, von einer Abneigung gegen das neue Eheschließungsverfahren nie etwas zu bemerken gewesen.“ Dittigheim schreibt an zweiter Stelle: Am 9.02.1870 „fand die erste bürgerliche Trauung dahier statt, wo zwei Brautpaare getraut wurden. Dieselben wurden am gleichen Tage auch kirchlich eingesegnet.“
Großeicholzheim informiert über die erste jüdische Hochzeit: Am 16. Februar „vormittags halb elf Uhr fand dahier die erste Ziviltrauung in dem mit Fahnen geschmückten Rathause statt. Der Standesbeamte, Herr Bürgermeister Bachert, mit der Auszeichnung seiner Amtswürde geschmückt, hielt an das israelitische Brautpaar eine längere treffende Ansprache und vollzog sodann vorschriftsgemäß die Trauung unter allgemein freudiger Anerkennung vor einer zahlreichen Versammlung, die aus allen Konfessionen vertreten war, worauf dann später das Brautpaar in der Synagoge durch Hrn. Bezirks=Rabbiner Weil von Mosbach die Einsegnung empfing.“ Positive Berichte über die Zivilehe melden im Februar noch Hohenstadt (6.02.), Buch am Ahorn (22.02.), Gissigheim (23.02.) und Niklashausen (24.02.).
Braut in gewöhnlichen Kleidern
Hohe Wogen schlug dagegen ein Wölchinger Artikel (22.02.): „Heute fand auf dem hiesigen Gemeindehause der erste Eheabschluss vor dem Bürgermeister statt. Zu bedauern ist, dass die Braut . . . in ihren gewöhnlichen Kleidern zu dem Akte erschien, was allgemein missbilligt wird. Wir nehmen an, dass die Braut der einzige Fall dieser Art im Amtsbezirke bilden wird, da bisher in allen Orten desselben, in welchen Eheabschlüsse vor den neuen Standesbeamten stattfanden, dem Gesetze die gebührende Achtung gezollt wurde, und setzen voraus, dass die Bürgermeister auch jedesmal den Vollzug des Eheabschlusses verweigern werden, wenn wieder Jemand sich nicht entblöden sollte, in gleich unanständiger Weise zu erscheinen“.
Aus Boxberg erscheinen dazu gleich zwei Artikel. Am 23.2. mehr ironisch: „Die Braut, einer Frau Wirtin liebreizendes Töchterlein und sonst gar wohl bewandert in des Putzes und der Mode Künsten, war diesmal die Bescheidenheit selber: im alltäglichen Wirtschaftsanzuge ging sie, eine schlanke Hebe, zum frisch geschmückten Rathaussaal; in Tüll und Seide rauschte sie eine Stunde später als demütige Magd des Herrn zur Kirche. O weh, der arme Schleier!“
Am 24.2. steht im Bericht aus Boxberg: „Heute erfolgte auf dem hiesigen Rathause die erste bürgerliche Eheschließung, welche von dem Standesbeamten in durchaus würdiger Weise vorgenommen wurde; ihr folgte eine Stunde später die Einsegnung durch den katholischen Geistlichen nach. Nicht ganz das Gleiche lässt sich von einer vorgestern in Wölchingen stattgehabten Trauung berichten, indem die Braut sich nicht entblödete, in ihrer Alltagskleidung vor dem Standesbeamten zu erscheinen. Es muss lebhaft bedauert werden, dass derselbe gerade hier der ihm sonst so reichlich zu Gebote stehenden Entschiedenheit ermangelte, denn es wäre unstreitig seine Pflicht gewesen, die Braut zum Anlegen einer passenden Kleidung zu veranlassen und bis dahin zurückzuweisen.“
Ein „Jemand von der Tauber“ schreibt am 6.3.: Es sei kein Einzelfall, dass „eine Braut im gewöhnlichen Kleide zum Rathause kam, um sich trauen zu lassen, während sie, um den Segen der Kirche zu holen, im Kranz und Schleier mit Glanz aufzog. Dagegen gibt es nur ein Mittel, das von allen Standesbeamten angewendet werden sollte. Sobald ein Paar im gewöhnlichen Anzuge vor dem Standesbeamten erscheint, so erkläre er einfach, dass er den andern Tag wieder zu sprechen sei . . . Ein weiteres Mittel, dieser Missachtung des Gesetzes zu steuern, wäre die Presse. In jedem Falle, wo das Ehepaar weniger Wert auf den Abschluss der Ehe, als den Segen des Pfarrers legt, wo es in anderem Anzuge zum Rathause geht, als zur Kirche: dessen Namen sollte in der Presse veröffentlicht werden.“ Worauf die Zeitungsredaktion anmerkt: „Wir sind bereit, jeweils die Namen der widerspenstigen Paare zu veröffentlichen.“
Meist überwiegen aber positive Berichte, so auch aus Schwarzenbrunn: „Am 28. April wurde dahier die erste bürgerliche Ziviltrauung durch den hiesigen Standesbeamten Bürgermeister Beck vorgenommen. Derselbe hielt … eine wohldurchdachte Rede, dass jeder Anwesende sichtlich gerührt den Trauungssaal verließ und auf dem Wege zur Kirche nach Buch, wo auch die kirchliche Einsegnung der Brautleute geschehen sollte, nur mit Ehrfurcht von der neuen Gesetzgebung und der Ziviltrauung redete.“
Kirchlicher Widerstand
Freilich ist auch kirchlicher Widerstand dokumentiert, so in Boxberg. „Von der Umpfer“ schreibt ein Leser am 3. Mai 1870: „Beklagenswerter Weise gibt es immer noch kurzsichtige protestantische Geistliche, welche zu keiner ehrlichen Aussöhnung mit der nun einmal getroffenen Einrichtung der bürgerlichen Eheschließung zu gelangen vermögen. So kam in den jüngsten Tagen der Fall vor, dass Pfarrer Stocker in Boxberg einem dortigen jungen Manne . . . erklärte, er werde bei seiner kirchlichen Trauung sich auf einfache Verlesung der Trauungsformel beschränken, den Gesang aber, sowie die sonst übliche Rede wegfallen lassen, wenn seine Braut sich im vollen hochzeitlichen Schmucke und mit dem Brautkranz zur bürgerlichen Trauung vor den Standesbeamten begebe.“ Der Autor hoffte auf eine Zurechtweisung des Pfarrers durch die kirchliche Aufsichtsbehörde.
Die Fortsetzung der Geschichte kommt am 18. Mai: „Zum Glücke gehörten die Verlobten Familien an, welche, gänzlich unabhängig gestellt, in der Lage waren, dieses lächerliche Ansinnen mit Entschiedenheit zurückzuweisen, und denen auch der Mut nicht abging, dem Pfarrer mit Bestimmtheit zu erklären, dass die kirchliche Trauung anderwärts stattfinden werde, wenn er nicht die bindende Zusage einer regelrechten, ortsüblichen Trauung gebe, ganz ohne Rücksicht auf die Art des Erscheinens vor dem bürgerlichen Standesbeamten. Das wirkte; so wurde nun gestern in dem mit Grün geschmückten Rathause die bürgerliche Ehe im Beisein sämtlicher Hochzeitsgäste geschlossen, worauf sich der Zug unmittelbar nach der Kirche in Bewegung setzte, wo denn die kirchliche Einsegnung ganz in der herkömmlichen Weise stattfand.“
Zum Abschluss der Halbjahres-Revue noch ein Bericht aus Epplingen. Hier verweigerte der Pfarrer die kirchliche Trauung ganz. Am 26. Juni 1870 um 9 Uhr fand in Epplingen „die erste Civiltrauung in dem mit Fahnen und Kränzen geschmückten Rathause statt. Der Bürgermeister nahm die Handlung nach kurzer Ansprache an die Brautleute in Gegenwart einer zahlreichen Versammlung in feierlicher Weise unter Böllerschüssen vor. Nach vollzogener Eheschließung begab man sich in den vom Lehrer abzuhaltenden Gottesdienst. Eine kirchliche Einsegnung folgte nicht nach. Es wollte das Ehepaar sich sofort nach vollzogener Civiltrauung auch kirchlich einsegnen lassen, was jedoch der Geistliche ablehnte.“
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