Bad Mergentheim/Tauber-Odenwald. Vor Beginn der Qualifikationsrunden des 12. Debut Klassik-Gesangswettbewerbs mit 41 Talenten am 23. September im Gewehrhaus Schloss Weikersheim findet bereits am 15. September die erste öffentliche Veranstaltung des diesjährigen Wettbewerbs um 11 Uhr im Großen Kursaal Bad Mergentheim statt (wir berichteten). Unter dem Titel „Gesang! Gestern – Heute – Morgen: Die Stimme als die menschlichste aller Kunstformen im Kontext unserer Zeit“ findet dort mit Moderatorin Clarry Bartha eine offene Gesprächsrunde statt. Dazu eingeladen sind Bernd Loebe (Intendant der Oper Frankfurt am Main), Enrico Calesso (Generalmusikdirektor des Mainfranken Theaters und Musikdirektor des Teatro Giuseppe Verdi in Triest), Uwe Friedrich (Musikjournalist), Bernd Künzig (Opernredakteur bei SWR Kultur), Paul McNamara (Tenor und Künstlerischer Leiter der Dutch National Opera Academy) und Adrian Mocanu (Komponist der Debut Auftragskomposition 2024).
„Sänger des Jahres 2024“
Ganz gewiss mehr als nur eine musikalische Umrahmung sind die Auftritte des Pianisten Daniel Heide mit dem renommierten Bariton Konstantin Krimmel, der seit dem Gewinn des Liedpreises bei Debut 2018 ungewöhnlich rasch eine internationale Karriere starten konnte und mit Preisen geradezu überhäuft wurde. 2023 wurde er von der „Opernwelt“ als „Nachwuchssänger des Jahres“ ausgezeichnet; aktuell zeichnete ihn „Opus Klassik“ als „Sänger des Jahres 2024“ aus.
Geboren 1993 in Ulm, beeindruckt der Bariton Kritiker und das Publikum durch seine vielseitige Stimme und Bühnenpräsenz. Schon vor seinem 30. Geburtstag wurde er festes Ensemblemitglied der Bayerischen Staatsoper. Krimmel arbeitet mit namhaften Orchestern zusammen und hat bedeutende Rollen in Opernproduktionen interpretiert. Seine besondere Passion gilt dem Liedrepertoire von Schubert bis hin zu modernen Komponisten, wie er im exklusiven Interview den Fränkischen Nachrichten darlegte. Neben seiner Bühnentätigkeit engagiert sich Krimmel auch in der Lehre und gibt Meisterkurse für angehende Sänger.
Ist der Abstecher ins Taubertal zu einer Matinée am Samstag in Bad Mergentheim für einen Sänger, der inzwischen weltweit unterwegs ist, eine willkommene Abwechslung?
Konstantin Krimmel: Weil meine Frau aus Franken kommt, kann ich diesen Abstecher gleich nutzen. Als mich Clarry Bartha mehrfach gefragt hat, ob ich zum Galakonzert kommen kann, habe ich es bei den beiden letzten Terminen aufgrund von zeitlichen Überschneidungen mit anderen Projekten immer nicht geschafft. Jetzt hat es dann funktioniert. Ich denke sehr gerne an die Zeit bei Debut zurück. Es war einer meiner ersten Wettbewerbe und eine sehr, sehr schöne Erfahrung dort. Wir wurden sehr gut umsorgt. Ich habe darum gerne zugesagt.
Was bedeutet eigentlich für Sie der klassische Gesang, und hat sich Ihre Sichtweise im Laufe der letzten Jahre verändert?
Krimmel: Für mich persönlich ist es ein Beruf geworden, obwohl ich dies nicht so empfinde, weil ich mittlerweile so wundervolle Projekte machen und mit ganz tollen Musikern an außergewöhnlichen Orten singen darf. Ich komme gerade aus Paris zurück, wo ich im Pantheon, dem hochheiligen Ort, an dem normalerweise keine Konzerte stattfinden, im Rahmen der Paralympischen Spiele mit dem „Orchestre de Chambre de Paris“ unter der Leitung von Thomas Hengelbrock und der Sopranistin Katharina Konradi auftreten durfte. Auf dem Programm standen Beethovens Streichquartett Nr.15 in a-Moll und Faurés Requiem. Es war eine ganz wundervolle Erfahrung in dieser besonderen Atmosphäre.
Und kein Einzelfall?
Krimmel: Solche Projekte häufen sich Gott sei Dank immer mehr. Ich darf einfach an tolle Orte reisen und mit großartigen Künstlern auftreten. Insofern fühlt es sich sehr, sehr selten für mich wie ein richtiger Beruf an. Vom Gesang her hat es sich doch ein bisschen geändert, weil der Druck natürlich höher geworden ist, man in einer Art Spotlight steht, viel beobachtet wird und dann die Qualität mehr als vor zehn, 15 Jahren liefern muss. Es ist schön zu erleben, wie viele Leute sich von dieser Musik begeistern lassen, die international geworden ist. Dabei ist es egal, wo man in Frankreich, Spanien, Italien und anderen Ländern in Europa auftritt. Nächstes Jahr ist Übersee an der Reihe.
Ist es nach Ihren Eindrücken ein eher älteres Publikum, das sich angesprochen fühlt?
Krimmel: Gerade in Frankreich, aber auch in England oder Spanien, gibt es diese Altersgrenze gar nicht; dort sitzen ganz viele junge Leute im Publikum.
Was machen sie dort besser als bei uns?
Krimmel: Ich weiß es nicht. Dort ist einfach die Nachfrage höher, nicht nur zum Zuhören, sondern auch zum Musizieren. Aber ich denke, wir sind jetzt auch in Deutschland auf einem guten Weg.
Aus Ihren Worten vorhin hörte man eine gewisse Demut heraus. Fühlen Sie sich schon ein wenig privilegiert?
Krimmel: Ich sehe die Entwicklung alles andere als selbstverständlich an. Da draußen gibt es so viele Künstler, denen Corona alle Möglichkeiten verbaut hat. Ich kenne viele Kollegen aus meinem oder dem Musical-Bereich, die beruflich gewechselt haben, weil sie einfach keine Perspektive mehr sahen. Ich bin da sehr, sehr glücklich davongekommen und war froh und dankbar, dass es mit Konzerten und Live-Streamen immer wieder Ankerpunkte mit Perspektiven gab, auf die ich zuarbeiten konnte. Deshalb versuche ich, immer so dankbar und demütig wie möglich zu sein.
Haben nach Ihren Erfahrungen die neuen Aufnahmetechniken, Streaming-Dienste oder soziale Medien inzwischen größeren Einfluss auf den klassischen Gesang?
Krimmel: Speziell beim Gesang ist die Bedeutung essenziell geworden. Wenn man zum Beispiel Wettbewerbe wie Debut nimmt, werden diese anderswo mittlerweile komplett live gestreamt. So können Leute den Wettbewerb als Zuschauer aus ganz anderen Ländern miterleben. Tatsächlich habe ich so meinen allerersten Liederabend in Spanien bekommen. Solche offenen Bühnen können aber auch den Druck sehr erhöhen, wenn viele Menschen zuschauen. Die Kehrseite der Medaille ist die Reizüberflutung in den sozialen Medien. Früher musste man ins Live-Konzert gehen, um einen Künstler zu hören. Jetzt kann man vorher Videoaufnahmen studieren und dann entscheiden, ob man ins Konzert geht. Weil unglaublich viele Aufnahmen von völlig unterschiedlicher Qualität ins Internet gestellt werden, sind diese neuen Technologien Segen und Fluch zugleich. Für mich persönlich und viele andere, die ich gesprochen habe, ersetzen sie nicht Live-Momente. Das Spüren der Energie im Konzertsaal kann keine Kamera ersetzen; das schafft auch keine Kamera oder CD.
Sind Sie vor Live-Auftritten heute nicht mehr nervös?
Krimmer: So eine gesunde Portion Adrenalin, die den Körper pusht, ist schon immer am Anfang da. Es hängt auch etwas davon ab, ob es etwa bei einem Liederabend Werke sind, die ich schon oft gesungen habe. Beim ersten Mal ist die Empfindung natürlich etwas ausgeprägter.
Beim Debut Klassik-Gesangswettbewerb haben Sie 2018 den Liedpreis gewonnen. Hat sich seitdem Ihre besondere Neigung zum Liedgesang entwickelt?
Krimmer: Lieder sind inzwischen meine Nummer eins. Auch wenn ich Opern und Konzerte sehr gerne mache, präferiere ich das Lied, weil es für mich die größte Freiheit in der künstlerischen Entfaltung bedeutet. Im Lied bin ich mein eigener Regisseur, Dramaturg und Dirigent und kann – in Absprache mit dem Pianisten – machen, was ich will und auch spontan Sachen verändern. Zum Glück hatte ich immer Pianisten, die dafür offen sind und sehr flexibel reagieren. Für mich ist diese Flexibilität von zwei Interpreten unschlagbar.
Gibt es ein aktuelles Projekt, das Ihnen besonders am Herzen liegt?
Krimmer: Wir haben aktuell einen Heinrich Heine-Liederabend mit Rezitationen konzipiert, in dem es um verschiedene Lebensphasen von Heine mit Gedicht-Vertonungen von vier Komponisten geht. Am 2. Oktober gibt es dieses Programm bei der Schubertiade in Hohenems und am 5. Oktober in Ulm.
Auf welche musikalischen Beiträge von Ihnen und dem Pianisten Daniel Heide darf man sich bei der Matinée am Sonntag um 11 Uhr im Großen Kursaal von Bad Mergentheim freuen?
Krimmer: Wir sind uns noch nicht zu 100 Prozent sicher und waren froh, dass uns Clarry Bartha eine „Carte Blanche“ gegeben hat. Auf jeden Fall werden wir eine oder zwei schöne Balladen, möglicherweise auch etwas von Loewe und Schumann vortragen.
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