Boxberg. Hiesige Einwohner stürmten vor 175 Jahren, im März 1848, das Boxberger Amtshaus. Sie zerschlugen die Einrichtung der leiningenschen Standesherrschaft und verbrannten Akten. Die Grundherrschaften in Angeltürn und Unterschüpf erlitten das gleiche Schicksal. In zahlreichen Rathäusern wurde die Gemeinderegistratur zerstört. Was als „Agrarrevolte“ begann, schlug binnen weniger Wochen in Revolutionsbereitschaft auch gegen das Großherzogtum Baden um.
Die Ursachen für den Unmut
Die Gründe für den Aufstand sind in der Vorgeschichte zu suchen. 1802/03 erhielt das Fürstentum Leiningen für verlorene linksrheinische Güter rechtsrheinische Besitzungen, darunter auch das Amt Boxberg. 1806 wird das Fürstentum dem Großherzogtum Baden unterstellt. Der neue Titel des Boxberger Amtes lautet: Großherzoglich-badisches und fürstlich-leiningensches Amt Boxberg. Vorstände sind ein badischer Amtmann und ein leiningenscher Rentamtmann.
Die hiesigen Bewohner müssen doppelt Leistungen erbringen. Zum einen Staatssteuern, zu zahlen an den badischen Staat beziehungsweise das Bezirksamt. Zum anderen Lasten und Pflichten, die aus dem Mittelalter herrühren, in Gestalt von Zehnten, Handlohn, Fronden und so weiter. Sie sind an den Standesherrn (das fürstlich-leiningensche Rentamt) oder an die örtlichen Grundherren (in Angeltürn: Freiherr von Fick; in Unterschüpf: Rentamt derer von Gemmingen und von Stetten) zu leisten. Diese alten Feudalabgaben im (neuen) badischen Hinterland sind in den übrigen badischen Gebieten meist längst aufgehoben.
Nach der Pariser Julirevolution 1830 kommt es endlich zu wirksamen Reformen. Im Dezember 1833 wird das „Zehntablösungsgesetz“ veröffentlicht. Es beinhaltet: Ablösung des Zehnten bis 1838 auf freiwilliger Basis, danach auf Verlangen der Zehntpflichtigen; Abgeltung des Zehnten mit dem 20-fachen Wert des Jahresmittels in Geld; Übernahme von einem Fünftel des Kapitals durch den Staat.
Ablösungsvertrag
Der Ablösungsvorgang dauert in den meisten Gemeinden eine ganze Generation, nämlich 25 Jahre. In einer Gemeinde des Amtsbezirks, dem Seehof, endet er im finanziellen Ruin. Dort gelingt zwar die Ablösung der Grundlasten, aber auf Kosten einer bald höheren Verpflichtung gegenüber zahlreichen Einzelgläubigern. Ab 1853 können nicht einmal mehr die Darlehenszinsen bezahlt werden. Schließlich kauft Leiningen den Besitz der überschuldeten Seehöfer auf und fasst die Güter in einer Domäne zusammen.
Boxberg und Wölchingen verlangen 1834 eine Berechnung des Zehnt-Ablösungskapitals. Wie andernorts sträubt sich die leiningensche Domänenverwaltung dagegen. Am 3. Januar 1838 werden die Boxberg-Wölchinger auf die Rathäuser gerufen. Alle anwesenden 93 Boxberger und 120 Wölchinger stimmen einmütig dafür, dass man die Ablösung gerichtlich erzwingen solle. Leiningen lenkt schließlich ein: am 12. Oktober 1838 wird der Zehnt-Ablösungsvertrag für Boxberg und Wölchingen unterzeichnet.
Als in den folgenden Jahren die Ablösungszinsen nicht ganz bezahlt werden (können), reagieren die fürstlich-leiningenschen Vertreter mit großer Härte. Die Domänenverwaltung erwirkt einen Pfändungsbefehl, der freilich weder vom Amtsvollstrecker noch von den großherzoglich-badischen Behörden vollzogen wird. Auch der leiningensche Antrag auf Zwangsversteigerung des Boxberger Gemeindewaldes Klinge (bei Windischbuch) stößt beim Bezirksamt auf Widerstreben.
Hohe Abgabenlast
Die Last der Abgaben wird durch die miserable Witterung 1842/43 verschärft. 1847 alarmieren Bittschriften, vor allem aus dem Odenwald, wiederholt die badische Regierung. Auch der Boxberger Amtsrevisor berichtet nach Karlsruhe: „Die Bürger unseres Bezirks müssen mit Ausnahme der wenigen Wohlhabenden fast alle Mittel, die sie aufzubringen vermögen, zur Deckung der Staats-, standes- und grundherrlichen Abgaben verwenden, ja sie könnten diese Abgaben nicht einmal bestreiten, wenn sie nicht aufs kümmerlichste und erbärmlichste lebten.“ Die sozialen Verhältnisse sind also reif für einen Aufstand. Als im Februar 1848 in Paris die Revolution aufflammt, steckt sie viele Länder an, besonders das angrenzende Baden. Am 27. Februar bildet sich in Mannheim eine spontane Volksversammlung. Eine Adresse fordert das Recht des deutschen Volkes – ohne Unterschied der Geburt und des Standes – auf Wohlstand, Bildung und Freiheit. Man erwartet Pressefreiheit, Volksbewaffnung, Schwurgerichte, die Berufung eines allgemeinen deutschen Parlaments. Die großherzogliche Regierung gibt vor den Forderungen halb(herzig) nach. Auf dem Land ist es scheinbar ruhig. Doch in diesem Augenblick brechen Unruhen gerade in den Landesteilen aus, in denen es die badische Regierung am wenigsten erwartet hat: im Schwarzwald, Kraichgau, Odenwald und Bauland.
Die Chronologie der Ereignisse
Die Boxberger Ereignisse vom 5. bis 9. März 1848 in Stichworten:
Sonntag, 5. März: In Schweigern im Gasthaus „Krone“ treffen sich Leute aus mehreren Ortschaften, um das Vorgehen gegen das Rentamt der Standesherrschaft Leiningen in Boxberg zu beraten.
Dienstag, 7. März: Beim üblichen Amtstag in Boxberg sind auffällig viele Auswärtige im Städtchen. Sämtliche sieben Wirtschaften sind dicht besetzt. Abends gegen 7.30 Uhr nähert sich ein 600 bis 800 Mann starker Zug von Schweigern. Männer, bewaffnet mit Werkzeug, Beilen und Gewehren, mit Fackeln und Trommeln. Sie tragen, wohl in Erinnerung an die „hellen lichten Haufen“ des Bauernkrieges von 1525, helle, über die Hosen fallende Hemden. Auch Schüpfer, Wölchinger, Epplinger, Bobstadter und Vertreter weiterer Orte sind im Zug.
Der badische Amtsvorstand Kirchgeßner und Boxbergs Bürgermeister Wissinger versuchen, den Zug aufzuhalten – vergebens. Die zu Hilfe gerufene Bürgerwehr schließt sich den Aufständischen an. Die Rädelsführer – vermutlich Zimmermann Adam König und Seiler Michel Rödel von Schweigern – erklären, vom großherzoglichen Bezirksamt nichts zu wollen. Aus der Menge ruft es: „Vivat Großherzog! Freiheit soll leben!“
Die Tür des Amtshauses (heutiges Rathaus) wird aufgebrochen. Die badische Verwaltung im Erdgeschoss bleibt verschont. Die leiningensche Verwaltung (Rentamt) im Oberstock wird dagegen gründlich verwüstet. Zimmer und Registratur werden zertrümmert, Akten und Gültbücher fliegen aus den aufgebrochenen Fenstern. Auch die Privatwohnung des verhassten Rentamtmanns Herrmann wird geplündert und zerstört; er kann mit seiner Familie über die Hintertreppe flüchten.
Aus Mobiliar und Aktenbündeln errichtet man Scheiterhaufen. VivatRufe und Juhe-Schreie begleiten das Prasseln der Flammen auf der Schafswiese. Zur Krönung formiert sich die Boxberger „Liedertafel“ mit weiteren Sängern vor dem Amtsgebäude und singt „So leb denn wohl, du stilles Haus!“ Gegen 2 Uhr morgens rückt die Menge nach Unterschüpf ab.
Mittwoch, 8. März: Morgens plündern fast 700 Mann (aus Schweigern, Bobstadt, Boxberg und Wölchingen) den leiningischen Fruchtspeicher auf dem Schlossberg. Nur mit größter Mühe kann Kirchgeßner das Abbrennen des Gebäudes verhindern. Die Menge zieht nach Wölchingen vor das Haus des auch verhassten Aktuars Kurz. Sie verlangt Akten, die Rückgabe von Bürgereinzugsgeldern, die Zahlung ausstehender Holzmacherlöhne. Die Gemeinderegistratur von Wölchingen wird erpresst und verbrannt.
Das gleiche Schicksal erleiden an diesem 8. März noch die Gemeinderegistraturen von Bobstadt, Schwabhausen und Windischbuch. Teilweise sind dabei auch Bürgermeister und Gemeinderäte aktiv beteiligt (vor allem in Schwabhausen, wo Akten und Gültbücher auf der Thomaswiese angezündet werden). Die Aufständischen erhoffen, sich durch die Verbrennung von ihren Lasten und Abgaben zu befreien.
Am Mittag des 8. März zerstören andere Gruppen aus Schwabhausen und Schillingstadt doch noch das Gebäude des geplünderten Fruchtspeichers in Boxberg. Dann ziehen sie nach Angeltürn. Dort werden zwei Judenhäuser geplündert. Vom Freiherrn von Fick erpresst man Akten und Gültbücher, die verbrannt werden. An den folgenden Tagen verschwindet das im Ahornwald geschlagenen Holz der Standesherrschaft. Fluchtartig verlässt der leiningische Gutspächter von Gräffingen den Hof mit aller Habe.
Empörung auch gegen Juden
In Unterschüpf kommt es am 7./8. März ebenfalls zu Ausschreitungen. Die Empörung richtet sich auch stark gegen hier lebende Juden. Um die Feudallasten ablösen zu können, mussten viele Haushalte Gelder aufnehmen, und wohlhabende Juden dienten als Kreditgeber. Die Schüpfer Juden flüchten um 4 Uhr nachmittags nach Mergentheim.
Nach Mitternacht bricht eine von Boxberg anrückende Menge in die verlassenen Judenhäuser ein, plündert und verwüstet sie. Beim Rentamtmann Bächler werden die Gültbücher der verhassten Grundherrschaften derer von Gemmingen und von Stetten erzwungen und beim Friedhof verbrannt. Am Morgen kommt auch die Unterschüpfer Gemeinderegistratur an die Reihe.
Zahlreiche Aufstände in der Region
In diesen Märztagen 1848 ist das ganze nordöstliche Neckargebiet Schauplatz zahlreicher Aufstände. Der leiningische Hof Marienhöhe bei Osterburken wird niedergebrannt. In Adelsheim stürmt man das dortige grundherrschaftliche Rentamt. Über 2000 Menschen ziehen nach Buchen, um dort leiningische Gültbücher und Rentamtsbücher zu vernichten. Die Aufständischen planen einen grundsätzlichen Schlag gegen die doppelte Abgabenbelastung. Man zielt auf einen Gesamtverzicht bei der fürstlich leiningischen Hauptverwaltung in Amorbach. Fast gleichzeitig fasst im selben Gebiet eine Bewegung Fuß, die eine politische Neuordnung des Großherzogtums Baden und ganz Deutschlands im Sinn hat.
Regierung setzt Militär ein
Die badische Regierung setzt Militär ein. Infanterie und Dragonerschwadrone ziehen in viele Amtsstädtchen ein, darunter Adelsheim, Buchen und Krautheim. Am 12. März bittet der Boxberger Amtsvorstand das Krautheimer Bezirksamt eilends um Entsendung von 40 Dragonern, „da das hiesige Amtsgebäude . . . mit Plünderung und Brandstiftung für den heutigen Abend bedroht ist“. Noch am gleichen Tag erhält er eine Schwadron.
In den Dörfern beginnt eine Verhaftungswelle. Unter Militärbewachung werden die Arrestierten abgeholt und ins Gefängnis nach Lauda gebracht.
Verhaftungswelle
Der staatliche Militäreinsatz und die Verhaftungen beginnen, die bisherige Solidarität zwischen Bevölkerung und Monarchie (Großherzotum) zu zerbrechen. Die Landbevölkerung öffnet sich zum Anschluss an das demokratisch-republikanische Lager, wie die weitere Entwicklung 1848/49 zeigen wird.