Tauber-Odenwald/Würzburg. Menschen schätzen Ärzte negativer ein, wenn diese angeben, in ihrer Arbeit künstliche Intelligenz zu verwenden. Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Studie Würzburger Psychologen.
Von der Bildanalyse in der Radiologie bis hin zum Erstellen von Differentialdiagnosen: Künstliche Intelligenz (KI) gewinnt zunehmend an Bedeutung in der modernen Medizin. Während immer mehr Studien auf das Potential von KI zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung hierzulande hinweisen, haben viele Menschen Zweifel an der Kompetenz von KI, gerade hinsichtlich medizinischer Fragestellungen.
Diese Skepsis betrifft aber nicht nur die KI selbst, sondern kann sich auch auf Ärzte erstrecken, die KI verwenden. Das ist das Ergebnis einer neuen Studie, die jetzt in der Fachzeitschrift JAMA Network Open veröffentlicht wurde.
Die Studie zeigt, dass Ärzte, die angeben, KI in ihrer Arbeit zu verwenden, von anderen Personen als weniger kompetent, vertrauenswürdig und empathisch beurteilt werden. Solche Vorbehalte zeigten sich selbst dann, wenn die KI gar nicht für Diagnose- oder Therapiezwecke eingesetzt wird, sondern für administrative Aufgaben. Darüber hinaus waren die Befragten auch weniger bereit einen Termin mit einem Arzt zu vereinbaren, wenn dieser angeblich KI nutzt.
Verantwortlich für diese Studie sind Moritz Reis und Professor Wilfried Kunde vom Lehrstuhl für Psychologie III der Julius-Maximilians-Universität (JMU). Daran beteiligt war auch Florian Reis vom Institut für Medizinische Informatik an der Charité Berlin.
Mehr als 1200 Studienteilnehmer erhielten im Rahmen des Experiments Werbeanzeigen für Arztpraxen und sollten die dargestellten Mediziner hinsichtlich verschiedener Eigenschaften bewerten. Die Werbeanzeigen unterschieden sich nur in einem Punkt voneinander: So wurde eine einzelne Aussage ergänzt, die darauf hinwies, dass der dargestellte Arzt KI entweder zu administrativen, diagnostischen oder therapeutischen Zwecken nutzt. Eine Kontrollgruppe erhielt dieselbe Werbeanzeige, allerdings ohne eine derartige Aussage.
Es zeigte sich hierbei, dass die Teilnehmer die dargestellten Ärzte in jeder Beurteilungsdimension negativer einschätzen, also als weniger kompetent, vertrauenswürdig und empathisch, wenn diese angeblich KI innerhalb ihrer Arbeit verwenden.
„Ein möglicher Grund für diesen Befund könnte sein, dass Menschen die Sorge haben, dass Ärzte der KI blind folgen könnten“, vermuten die Autoren der Studie.
Die medizinische Forschung hat gezeigt, dass eine vertrauensvolle Patient-Arzt-Beziehung ein zentraler Faktor für den Behandlungserfolg ist. Angesichts der immer weiteren Verbreitung von KI in der Medizin können daher auch kleine Einschränkungen der wahrgenommenen Vertrauenswürdigkeit in der Summe zu erheblichen negativen Effekten führen.
„Wenn Ärzte ihre Patienten über den Einsatz von KI informieren, sollten sie darauf abzielen, potenzielle Bedenken auszuräumen und mögliche Vorteile hervorzuheben. Zum Beispiel könnte der Einsatz von KI für Verwaltungszwecke dazu beitragen, dass Ärzte mehr Zeit für die persönliche Betreuung ihrer Patienten haben. Trotz einer zunehmenden Technologisierung könnte auf diese Weise unsere Gesundheitsversorgung durch KI sogar menschlicher werden“, schlussfolgern die Autoren.
Stellvertretend für die Ärzteschaft in der Region Tauber-Odenwald haben die Fränkischen Nachrichten Dr. Jochen Selbach, Vorsitzender der Kreisärzteschaft Mergentheim und Ärztlicher Direktor des Caritas-Krankenhauses zu seinen Einschätzungen befragt.
„KI bringt eine Reihe von Chancen, aber auch Risiken für die ärztliche Tätigkeit mit sich. In vielen Bereichen – etwa Radiologie, Pathologie oder bei der Mustererkennung in komplexen Datensätzen – kann KI wertvolle Unterstützung leisten. Zugleich darf sie nicht als Ersatz für die ärztliche Verantwortung verstanden werden. Skepsis seitens der Patienten ist nachvollziehbar und verdient es, ernstgenommen zu werden. Für das Arzt Patient Verhältnis bleibt entscheidend, dass jede Entscheidung am Ende von einem Arzt verantwortet und nachvollziehbar begründet wird“, betont Dr. Jochen Selbach.
Chancen der KI in der Medizin sieht Selbach in folgenden Bereichen: Diagnostische Unterstützung: Besonders in der Bildgebung (Radiologie, Dermatologie, Histopathologie) könnten Algorithmen Auffälligkeiten schnell und zuverlässig markieren. Dies steigere die Effizienz und könne zu frühzeitigerer Erkennung von Erkrankungen beitragen. Risikovorhersage: KI könne aus großen Datenmengen Wahrscheinlichkeiten für Krankheitsverläufe berechnen, was präventive Maßnahmen ermögliche. Entlastung im Alltag: Zeitaufwendige Routineaufgaben wie Dokumentation oder Datenverwaltung ließen sich automatisieren; diese Zeit könne für die direkte Patientenversorgung genutzt werden.
Demgegenüber stünden diese Risiken und Grenzen: Transparenz der Entscheidungen: Ärzte müssten die Ergebnisse nachvollziehen und erklären können. Ein „Black Box“-Algorithmus ohne Einsicht in Entscheidungswege mindere das Vertrauen. Datenqualität: KI sei nur so gut wie ihre Trainingsdaten. Verzerrte Daten bergen die Gefahr fehlerhafter Vorschläge. Rechtliche Verantwortung: Auch wenn KI beteiligt war, liege die Letztverantwortung für eine Therapieentscheidung stets beim Arzt.
„Aktuelle Studien, auch aus Würzburg, zeigen, dass Menschen KI gestützten Entscheidungen skeptischer gegenüberstehen – selbst wenn diese objektiv vergleichbar oder in manchen Fällen sogar treffsicherer sind als ärztliche Urteile ohne KI. Die Sorge betrifft dabei weniger die Technik an sich, sondern das Vertrauen: Patienten möchten, dass ihr behandelnder Arzt ,wirklich selbst‘ die Entscheidung verantwortet -¬ und nicht eine Maschine.
„Aus Sicht der Kreisärzteschaft begrüßen wir die technische Unterstützung durch KI, sofern: Ärztliche Verantwortung klar bleibt. KI liefert Entscheidungshilfen, keine endgültigen Urteile. Patiententransparenz gesichert ist. Betroffene müssen wissen, ob und wie KI in ihre Behandlung einbezogen wird. Aus und Weiterbildung erfolgt. Ärzte müssen im Umgang mit KI geschult werden, um Chancen zu nutzen, ohne Abhängigkeiten oder Fehlanwendungen zu riskieren“, schlussfolgert Dr. Jochen Selbach – und kommt zu folgendem Fazit: Künstliche Intelligenz sei ein wertvolles Werkzeug, aber kein Ersatz für ärztliches Handeln. „Gerade weil Patienten ein hohes Maß an Vertrauen in ihre Ärzte setzen, ist es unsere Aufgabe, KI mit Augenmaß einzusetzen – als Hilfsmittel, nicht als Entscheidungsträger. Die ärztliche Kompetenz, Erfahrung und Empathie bleiben unersetzlich.“
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