Das Taubertal wurde im Zweiten Weltkrieg lange von Kampfhandlungen verschont. Erst im März 1945 zogen dunkle Kriegswolken über dem Hohenloher Land auf.
Bad Mergentheim. Den Verfassern der Ortschroniken aus dem Kreis Mergentheim, die sich auch mit der Zeit von 1933 bis 1945 beschäftigten, waren vor allem die Ereignisse bei Kriegsende wichtig, also die Tage von Ende März bis Mitte April 1945. Diese Phase nahm in den Werken den meisten Platz für jene zwölf Jahre der NS-Zeit ein. Möglicherweise lag es aber daran, dass die Gemeinden nach dem Krieg aufgefordert wurden, von Bürgern Berichte über die letzten Kriegstage erstellen zu lassen. Die Menschen konnten in der Zeit nach 1945 ja wieder relativ frei schreiben, was in den Jahren zuvor unmöglich war.
Propaganda beschwört „Endsieg“
Je unwahrscheinlicher der Sieg der Deutschen nach der Schlacht um Stalingrad wurde, desto mehr beschworen die NS-Propagandisten den „Endsieg“. Wer über das Wort und seinen ausufernden Gebrauch nachdenkt, in dem kann der Verdacht aufkommen, dass den Sprechern Niederlagen in den kommenden Kämpfen sehr wahrscheinlich erscheinen mussten und dass sie diesen Gedanken abwehren oder verdecken wollten. Ein „endgültiger Sieg“ über die Gegner an den Fronten im Osten, Süden und Westen war eher unwahrscheinlich – auf keinen Fall gewiss, wie es immer wieder behauptet wurde. Der Kernsatz von Hitlers Neujahrsansprache 1945 hieß: „Deutschland kapituliert niemals.“
Er kapitulierte aber auf andere Weise, als man es zu verstehen gewohnt war, er wählte den Freitod, um sich nicht verantworten zu müssen.
Das Taubertal war während der Zeit des Zweiten Weltkriegs lange ein geradezu behütetes Gebiet, in das man sich anscheinend zurückziehen konnte, um Gefahren zu entgehen – Gefahren durch die Zerstörung und damit den Verlust der Wohnungen und die Vernichtung der Lebensgrundlagen.
Vorerst verschont
Schon im Herbst 1939 wurden viele Menschen, die an der Westgrenze des Reiches wohnten, zeitweise in das Hinterland – auch in den Kreis Mergentheim – „umquartiert“. Davon las man im September nichts in der Tauber-Zeitung.
Allerdings ist im Oktober von „Rückkehrern“ die Rede. Die Menschen konnten in ihre Wohnungen zurückkehren, denn die Franzosen griffen Deutschland nicht an und die Gebiete um Karlsruhe und Mannheim blieben deshalb vorerst von Kampfhandlungen verschont.
Als aber der Bombenkrieg in vollem Gange war und Großstädte und Industriereviere zerstört zu werden drohten, kamen aus dem Ruhrgebiet vor allem Kinder, aber auch ganze Familie in Orte an der Tauber. In einigen Gemeinden, zum Beispiel Markelsheim, sind Zuzugslisten erhalten geblieben, die zeigen, dass Menschen aus Oberhausen und Essen hierher evakuiert wurden.
Das gilt ebenso für alle anderen Orte des Kreises. Klassen der Steinbart-Schule aus Duisburg wurden im August 1943 in die Badestadt verlegt.
In der Mergentheimer Oberschule musste man deshalb Schichtunterricht einführen. Angeblich langweilten sich die Großstadtschüler in der Provinz. Sie wollten für Deutschlands Rettung kämpfen, wie der damals 15-jährige Schüler Horst Gerbig 50 Jahre später bekannte.
Zwei Jungen tödlich getroffen
Er und seine Kameraden ahnten nicht, was dies 1944 und 1945 tatsächlich bedeutete: Gerbig musste beim Rückzug mit den SS-Soldaten erfahren, dass dieser Krieg nicht das Abenteuer war, das er sich gewünscht hatte.
Auch verglichen mit der Landeshauptstadt Stuttgart erschienen die Orte im und um das Taubertal jahrelang wie eine Idylle. Nur einmal geschah bis zum Ende des Jahres 1944 Gravierendes. Am 13. Oktober 1943 stürzte ein in Brand geschossener amerikanischer Bomber über Niederstetten ab.
Die Trümmer trafen beim „Tempele“ zwei Jungen tödlich. Erst nach dem Krieg gedachte man der Opfer Kurt Wetzel aus Niederstetten und Willi Koll aus Essen öffentlich, und zwar auf einem Steinkreuz, das auf dem Niederstettener Friedhof errichtet wurde.
Man erfuhr zwar im hiesigen Bezirk, dass die beiden Jungen gestorben waren, weil die Eltern eine kleine Dankanzeige in die Tauber-Zeitung setzen ließen, allerdings wurde die Ursache des Todes der Jungen 1943 nicht genannt.
Der Kreis Mergentheim war in den Jahren vor 1945 von Kampfhandlungen nicht betroffen. Aber die vielen verletzten Soldaten in den Mergentheimer Lazaretten, von denen auch etliche starben, hätten die Einwohnern erkennen lassen können, dass nur noch ein Wunder die Niederlage abwenden könnte. So beschwor Propagandaminister Goebbels zum Beispiel das „Wunder des Hauses Brandenburg“. Der Preußenkönig Friedrich II. hatte 1759 die Schlacht bei Kunersdorf verloren, aber die Feinde der Preußen nutzten dessen Schwäche nicht aus. Friedrich konnte die preußische Armee wieder aufbauen.
Zum Kampfgebiet geworden
Zudem hoffte man 1945 noch auf die „Wunderwaffe“, die „V2“. Doch solche Erinnerungen und Hoffnungen konnten die Niederlage nicht verhindern. Im Januar 1945 standen die Sowjets und Amerikaner auf deutschem Boden. Nachdem die US-Soldaten am 22. März den Rhein bei Oppenheim überschritten hatten, war es nur eine Frage von Tagen, dass auch das Gebiet um Mergentheim zum Kampfgebiet wurde.
Heilbronn brennt
Die Bombenflugzeuge der Alliierten hatten – entgegen Verlautbarungen in der gleichgeschalteten deutschen Presse – die Lufthoheit erobert. Fielen 1940 auf Großbritannien 37 000 Tonnen Bomben und nur 10 000 auf Deutschland, so waren die Zahlen im folgenden Jahr 22 000 gegenüber 30 000 Tonnen. 1944 standen 9200 Tonnen 650 000 gegenüber, was etwa 1,4 Prozent entspricht.
In der Nacht des 4. Dezembers 1944 sahen die Mergentheimer einen erleuchteten Himmel: Heilbronn brannte. Dort starben 6500 Menschen.
5000 Menschen starben
Der Historiker Jörg Friedrich nannte diesen Angriff ein „Zivilmassaker“, da er keinem militärischen oder industriellen Ziel galt. Am 16. März 1945 traf Würzburg ein Luftbombardement, bei dem 5000 Menschen starben.
Amerikanische Flieger beschossen am 25. März 1945 auf dem Bad Mergentheimer Bahnhof einen Zug; dabei kamen zwölf ungarische, einer anderen Quelle zufolge 18 slowakische Soldaten ums Leben.
Das war der Anfang eines verlustreichen Kampfes deutscher Soldaten auf dem Gebiet der Region um Bad Mergentheim (Fortsetzung folgt)
Hartwig Behr bringt Buch heraus
Der Historiker Hartwig Behr aus Markelsheim befasst sich seit Jahrzehnten intensiv mit der Geschichte des Nationalsozialismus.
Zurzeit arbeitet Hartwig Behr an einen Buch über den Nationalsozialismus im Kreis Mergentheim. Das Werk soll demnächst vorgestellt werden soll.
Hartwig Behr hat den Fränkischen Nachrichten ein Kapitel aus dem Buch zum Vorabdruck zur Verfügung gestellt. Dieser wird in der nächsten Zeit in vier Teilen veröffentlicht.
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