In der Stadtkirche

Prostitution macht Frauen oft körperlich und seelisch krank

Beim Treffen mit dem Titel „Hoffnungsmenschen“ erzählte Wilbirg Rossrucker von ihrer Arbeit im Stuttgarter Rotlichtviertel

Lesedauer: 
Wunderbare Klänge aus der Welt des Tangos, Klezmers und Jazz gab das Musiktrio mit Bernhard und Laura von der Golz sowie Uwe Schachner zu Gehör. © Matthias Haas

Weikersheim. Zu einem außergewöhnlichen Zusammentreffen unter dem Titel „Hoffnungsmenschen“ kam es kürzlich in der Evangelischen Stadtkirche Weikersheim. Zum einen erfüllte das Musiktrio mit Bernhard von der Goltz (Gitarre), Uwe Schachner (Violoncello) und Laura von der Goltz (Violine) den Kirchenraum mit wunderbaren Klängen aus der Welt des Tangos, Klezmers und des Jazz.

Zum anderen berichtete Wilbirg Rossrucker von ihrer Arbeit im Rotlichtviertel Stuttgarts. Sie ist Leiterin des „Hoffnungshauses“, das Prostituieren in einem „Café und erweiterten Wohnzimmer“ Räume öffnet, in denen sie sich sicher fühlen können und Raum haben für Ruhe, Gespräche und Gemeinschaft. Der Kirchenbezirk Weikersheim hatte zu dieser Begegnung eingeladen.

Das eingespielte Musiktrio konzertierte teilweise auch als Duo. Die Gäste in der Stadtkirche genossen es, wie die unterschiedlichen Instrumente sich ergänzten und Melodien zum Leben erweckten, die das Herz berührten.

Mehr zum Thema

Evangelisches Jugendwerk

Schon viele Kontakte geknüpft

Veröffentlicht
Von
peka
Mehr erfahren

„Harte Kost“ dagegen brachte Wilbirg Rossrucker mit den Inhalten ihres Vortrags zum Ausdruck. Im ersten Abschnitt informierte sie über Prostitution in Deutschland. Es sind viele junge Frauen aus Osteuropa, vor allem aus Rumänien und Bulgarien, die mit Prostitution ihren Lebensunterhalt verdienen. 95 bis 97 Prozent entscheiden sich nicht freiwillig zu dieser Arbeit, sondern geraten durch Zwang dort hinein, etwa aufgrund einer existentiellen Notlage oder durch körperlichen Zwang. Andere werden unter falschen Versprechungen mit der Aussicht auf einen gut bezahlten Job, zum Beispiel in der Gastronomie, nach Deutschland „gelockt“. Doch diesen Job gab es dann nie.

Die Reisekosten müssen aber sofort bezahlt werden und dazu wird oft der Pass abgenommen. So werden die Frauen und Mädchen unter Druck gesetzt und zur Prostitution gedrängt. Die gesetzlichen Regelungen zur Prostitution existieren in Deutschland, doch sind sie nach den Erfahrungen von Wilbirg Rossrucker größtenteils realitätsfern. So braucht eine Prostituierte laut Gesetz zwei Zimmer: eines zum Wohnen und eines zum Arbeiten. Doch ein Zimmer in Stuttgart kostet so viel, dass eine Frau pro Tag im Schnitt sieben Freier bedienen muss, um sich überhaupt ein Zimmer leisten zu können.

Gewalt an der Tagesordnung

In gutbürgerlichem Milieu ist Prostitution oft gesellschaftsfähig: so manche jungem Männer bekommen den Bordell-Besuch zum 18. Geburtstag geschenkt oder zum Abitur; Junggesellenabschiede werden im Rotlichtviertel gefeiert. Von den körperlichen und seelischen Erkrankungen, unter denen die Frauen leiden, wüssten die meisten Menschen nichts: Depressionen, dissoziative Störungen und Essstörungen sind an der Tagesordnung. Körperliche und psychische Gewalt gehören zu den alltäglichen Erfahrungen von Prostituierten.

Nach diesen Ausführungen konnten die Zuhörer nachvollziehen, warum Wilbirg Rossrucker die Prostitution als moderne Form der Sklaverei bezeichnet.

Im zweiten Teil erzählte sie sehr anschaulich von ihrer Arbeit im „Hoffnungshaus“: seit 2016 bestehend, öffne es an drei Tagen in der Woche seine Türen, nur für Frauen und Transfrauen; Freier, Zuhälter und Männer insgesamt hätten keinen Zutritt.

Nur so könnten die Frauen einen „sicheren Hafen“ erleben in den Räumen; sich zurückziehen und ausruhen. Es gebe Kaffee, Kuchen, Massage und Gesellschaftsspiele. Motivation und Ziel der zwei hauptamtlichen, 15 ehrenamtlichen Mitarbeitenden und einer Mini-Jobberin sei es, den Frauen zu vermitteln, dass es Menschen gibt, denen sie vertrauen können. Menschen, die ihnen so begegneten, dass sie sich wertgeschätzt und gewürdigt fühlen. Die meisten von ihnen müssten dies langsam (wieder) lernen.

Woher sie denn die Kraft nehme und die Hoffnung, diese Arbeit zu tun, schon zehn Jahre lang? „Ohne meinen christlichen Glauben könnte ich das nicht!“, meinte Wilbirg Rossrucker. Ein wichtiger Grundsatz für sie lautet: „Rede ständig von deinem Glauben, wenn nötig, auch mit Worten. Aber rede nur, wenn du gefragt wirst.“ Einmal im Monat feierten sie im „Hoffnungshaus“ Gottesdienst. Er sei gut besucht und auch Gebetsangebote nähmen die Frauen sehr gerne wahr. Dekanin Renate Meixner sagte nach dem aufrüttelnden und bewegenden Vortrag, dass dies Reformation ausmache: die Hoffnung am Leben zu erhalten. Manchmal gelänge das durch Kleinigkeiten im Alltag. Durch Musik oder auch nur durch Dasein und Zuhören. Jeder könne an seinem Ort ein Hoffnungsmensch sein.

Wer Näheres wissen möchte zum Engagement von Wilbirg Rossrucker und weiteren „Hoffnungsmenschen“ kann sich den hörenswerten Podcast unter www.hoffnungsmensch.de anhören.

Copyright © 2025 Fränkische Nachrichten