Wirtschaft - Firma Müller Martini Buchtechnologie schließt ihr Werk in Bad Mergentheim / Stadt reagiert betroffen / IG Metall spricht von „Gier und Gewinnmaximierung“

Müller Martini: „Rund 100 Arbeitsplätze fallen weg“

Die Firma Müller Martini Buchtechnologie schließt ihr Werk im Bad Mergentheimer Gewerbegebiet „Ried“. Rund 100 Arbeitsplätze fallen weg. Die IG Metall ist empört.

Von 
Sascha Bickel
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Blick auf den Standort von Müller Martini im Bad Mergentheimer Gewerbegebiet und Mobilpark „Ried“, Richtung Edelfingen. © Sascha Bickel

Bad Mergentheim. „Im Rahmen der im vergangenen Jahr angekündigten gruppenweiten Strukturanpassungen schließt Müller Martini sein Werk in Bad Mergentheim per 30. September 2021.“ Diese traurige Nachricht erhielt die Redaktion aus der Schweizer Unternehmenszentrale. Die Stadtverwaltung reagiert in einer ersten Stellungnahme mit großem Bedauern, während die Gewerkschaft IG Metall „Gier und Gewinnmaximierung“ anprangert.

„Die Geschäftsleitung der Müller Martini Buchbindesysteme GmbH in Bad Mergentheim und der Betriebsrat einigten sich auf einen Interessenausgleich und einen Sozialplan, um die betroffenen Mitarbeiter für den Verlust des Arbeitsplatzes angemessen zu entschädigen. Insbesondere ist Müller Martini bestrebt, die Auszubildenden bei der Suche nach einem neuen Ausbildungsplatz in einem anderen Unternehmen zu unterstützen. Die bisher in Bad Mergentheim gefertigten Hardcover-Produkte für die grafische Industrie werden zukünftig in anderen Werken von Müller Martini montiert“, heißt es noch ergänzend in der Pressemitteilung der Müller Martini-Unternehmensführung.

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Das 1946 gegründete Familienunternehmen Müller Martini hat seinen Sitz in Zofingen im Kanton Aargau/Schweiz und ist mit weltweit 1500 Mitarbeitern (rund 600 in der Schweiz) in der Entwicklung und Produktion von industriellen Systemlösungen der Druckweiterverarbeitung tätig.

Jürgen Noll ist Standortleiter der Müller Martini Buchbindesysteme GmbH Bad Mergentheim und beantwortete der Redaktion noch einige Fragen zur Werkschließung: „Es entfallen rund 100 Arbeitsplätze“, so Noll. Beim betroffenen Werk handelt es sich um einen Neubau, der im Frühjahr 2001 – also vor 20 Jahren – bezogen wurde.

Zu den Gründen für die Aufgabe des Standorts nennt Noll weitere Details: „Die globale Nachfrage nach Neumaschinen hatte sich schon vor der Corona-Krise merklich abgekühlt. Die Pandemie akzentuierte jedoch den Rückgang bei Neuinvestitionen sowie im Service- und Ersatzteilgeschäft. Müller Martini sah sich deshalb gezwungen, seine Strukturen der veränderten Marktsituation anzupassen und die Weichen für die Zukunft neu zu stellen. Eine der Maßnahmen ist die Schließung des Werks in Bad Mergentheim.“

Nur noch Vertrieb vor Ort

Was passiert mit dem Betriebsgelände? Noll: „Ziel ist es, die Immobilie zu verkaufen.“

Bleibt Müller Martini noch mit Vertriebsleuten in der Region präsent oder zieht man sich hier komplett zurück? Dazu sagt Noll: „Müller Martini wird in der Region mit einem Team, welches überwiegend aus Verkaufs- und Servicemitarbeitern besteht, präsent bleiben.“

Bereits Mitte vergangenen Jahres war öffentlich bekannt geworden, dass Müller Martini rund 300 Arbeitsplätze weltweit reduzieren möchte. Schon damals hieß es (unsere Zeitung berichtete), dass der Standort Bad Mergentheim in Gefahr sei.

„Die Nachricht der Schließung von Müller Martini in Bad Mergentheim macht uns traurig und ist vor allem für die betroffenen Mitarbeiter enttäuschend, gerade aufgrund des aktuell schwierigen Arbeitsmarkts“, erklärt Giorgio Ebert, der stellvertretende Pressesprecher für die Stadtverwaltung.

Zwar habe sich der Strukturwandel in dieser Industriebranche bereits seit Jahren abgezeichnet, so die Stadt, jedoch gab es im Jahr 2019 hoffnungsvolle Gespräche zwischen der Stadtverwaltung und der Geschäftsleitung, um den Standort sogar zu stärken und auszubauen. „Die Abkühlung auf dem Weltmarkt und die Corona-Pandemie haben diese Hoffnungen leider zu Nichte gemacht“, sagt Ebert und teilt weiter mit: „Wir stehen mit der Geschäftsleitung und der Agentur für Arbeit im Kontakt und richten unseren Fokus nun auf die betroffenen Beschäftigten am Standort, mit dem Ziel, ihnen ein neues Beschäftigungsverhältnis in der Region zu ermöglichen.“

„Reine Gier“

Michael Perner ist Gewerkschaftssekretär bei der IG Metall Tauberbischofsheim und er bezeichnet den Verlust des Traditionsbetriebs als eine „Verlagerung aus reiner Gier“.

Perner: „Der Entschluss der Schweizer Konzernleitung den Standort dieses Jahr zu schließen war überraschend und für die Beschäftigten ein Schock. Im Betrieb in Bad Mergentheim sind viele Beschäftigte seit vielen Jahren beschäftigt und hatten sich mit dem Unternehmen identifiziert. Die Entscheidung den Standort zu schließen, ist für uns nicht nachvollziehbar. Eine solche Umstrukturierung bei einem einst gesunden Standort ist ganz klar von Gier und Gewinnmaximierung getrieben“, so Michael Perner.

Von zuletzt 130 Beschäftigten – Anfang 2020 – weiß die IG Metall. Nur einer kleinen Gruppe von Mitarbeitern sei eine Weiterbeschäftigung angeboten worden.

Michael Perner weiter: „Der Betriebsrat hat sich dazu entschieden den Kampf um den Standort in Bad Mergentheim und die Verhandlungen des Interessensausgleichs und Sozialplans in Eigenverantwortung zu führen. Natürlich stehen wir als IG Metall an der Seite unserer Mitglieder, wir beraten über die arbeits- und sozialrechtlichen Folgen und führen im Zweifel auch Klageverfahren durch. Vielen Kollegen nutzen dieses Angebot bereits.”

Redaktion Stellvertretender Reporter-Chef; hauptsächlich zuständig für die Große Kreisstadt Bad Mergentheim

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