Bad Mergentheim. Einen faszinierenden Kammermusikabend für Violine und Klavier erlebten die Zuhörer des jüngsten Museumskonzerts zum Jahresabschluss im wieder gut besuchten Roten Saal des Deutschordensschlosses.
In Abänderung des ursprünglichen Programms war der junge Pianist Sergej Tanin für den krankheitshalber verhinderten Cellisten Christian Poltéra eingesprungen, an der Seite der international renommierten Schweizer Geigerin Esther Hoppe. Dank gebührt dabei nicht nur dem Pianisten, sondern auch dem langjährigen Programmmacher Christoph Böhmke, dem es immer wieder gelingt, in kritischen Lagen kurzfristig für hochkarätigen Ersatz zu sorgen, so Günter Dziallas, Vorsitzender des Museumsvereins, in seiner Begrüßungsansprache.
Mehr als nur hochkarätig war jedenfalls dieser Ersatz, denn Tanin (geb. 1995)zählt jetzt schon zu den vielversprechendsten Pianisten seiner Generation, versehen mit mehreren internationalen Auszeichnungen und auf dem besten Wege zum Publikumsliebling. An diesem Abend legte er an der Seite seiner Partnerin einen wahrhaft fulminanten Auftritt hin, bis zum Rand aufgeladen mit jugendlicher Impulsivität und einer unwiderstehlichen Dynamik.
Dies ergab eine sehr reizvolle Spannung zur eher strengen, kühl disziplinierten, bei aller Brillanz reifen und abgeklärten Spiel von Esther Hoppe (geb. 1978), die dem stürmischen Temperament ihres Partners mit dem wunderbar edlen, schlackenlosen Ton ihrer Stradivari ein wirkungsvolles Gegengewicht setzte.
Sergej Tanins explosive, vollblütige Musizierweise trat in dem Eingangssatz von Mozarts F-Dur Sonate KV 376 (entstanden 1781 und bei diesem Konzert an zweiter Stelle stehend) besonders auffallend zutage und lief dabei Gefahr, in seinem stürmischem Vorwärtsdrang ein gelindes dynamisches Ungleichgewicht zum hier vom Komponisten vergleichsweise sparsam bedachten Violinpart zu erzeugen.
Klanglich ausgewogener zeigten sich dann die folgenden Sätze, bei denen die Geigerin mit zwingender Eleganz und Noblesse mit dem immer noch munter genug aufspielenden Pianisten in einen geistreich-graziösen Dialog trat.
Den wohl interessantesten Programmpunkt des Abends setzte das Duo Hoppe-Tanin an die dritte Stelle in Form des „Themas mit Variationen“ von Olivier Messiaen(1908-1992), dessen Kammermusikwerk für Violine und Klavier aus dem Jahr 1932 (eines von insgesamt zweien) eher eine Ausnahme in seinem gewaltigen Werk darstellt, das vor allem in den Gattungen der Klavier- Orgel- und Orchestermusik Epoche machte.
Messiaen gilt heute als einer der wichtigsten Wegbereiter der musikalischen Moderne, er hat – vor allem in seiner Haupttätigkeit als Organist in Paris – eine neue Kompositionsweise mit eigener Harmonik und Rhythmik geschaffen, die seiner Musik ihr unverwechselbares Gepräge verleiht und eine Reihe von Größen der musikalischen Avantgarde wie Boulez, Stockhausen und sogar Mikis Theordorakis geprägt bzw. beeinflusst hat.
Das Frühwerk „Theme et variations“ steht zwar noch in der französischen Tradition des frühen 20. Jahrhunderts, wagt jedoch bereits kühne Experimente mit harmonischen Erweiterungen und unkonventionelle rhythmischen Varianten.
Faszinierend in diesem Werk, wie sich aus einem simplen meditativen Thema allmählich eine Art erhabener Klangarchitektur entwickelt, welche die Ausdrucksgrenzen der beiden Instrumente fast zu sprengen droht. Das Duo Hoppe-Tanin ging ebenfalls an die Grenzen, in der dynamischen Spannweite wie im Ausloten des expressiven Potentials von Violine und Klavier.
Den Schwerpunkt dieses Kammermusikabends bildeten zwei Beispiele aus dem Kammermusikwerk von Sergej Prokofjew (1891-1953). Prokofjew verband auf originäre Weise Weltläufigkeit (er verbrachte einen gut Teil seines Lebens im Exil, kehrte aber 1936 in die Sowjetunion zurück) und Aufgeschlossenheit für die stilistischen Errungenschaften seiner Epoche mit Verwurzelung in der russischen Musiktradition, einem Sinn für anspielungsreiche Ironie und der Gabe für eine populäre, zugängliche Tonsprache.
Das Letztere widerspricht freilich nicht dem hohen Niveau und der technischen Ausgefeiltheit seiner Kammermusik, wie sie sich beispielsweise in den zu Beginn gespielten „5 Melodien“ op. 35a (1925) zeigt, die ursprünglich für Singstimme gesetzt waren und deren stilistische Vielseitigkeit und Musizierlaune vom Duo Hoppe/Tanin mit bestechender Brillanz und elementarer Spielfreude vergegenwärtigt wurde. Gewichtiger nach Umfang und Inhalt war zum Abschluss Prokofjews Sonate D-Dur (1943 ursprünglich für die Besetzung Flöte und Klavier komponiert), die heute zu seinen viel aufgeführten Werken für diese Gattung gehört.
Die Komposition verbindet klassisch-romantische, lyrische und „motorische“ Stilmerkmale, die manchmal ironisch hinterfragt werden, mit sehr hohen technischen Anforderungen an das Soloinstrument (Flöte oder Violine). Diese Glanznummer, die den zweiten Konzertteil ausfüllte, schien für das Duo Esther Hoppe und Sergej Tanin wie eigens geschaffen mit seinen hinreißend eleganten, quasi romantischen Geigenkantilenen im klassisch geprägten ersten Satz, der fetzigen, hämmernden und turbulenten Motorik des Scherzo, dem Andante, das wie ein wehmütig-ironischer Abgesang auf die russische Salonmusik der Zarenzeit anmutet und dem mit Tanzrhythmen voll gepackten Allegro con brio-Finale, das als wildes, ekstatisch-virtuoses Feuerwerk voll ausgelassener Daseinsfreude endete.
Für den lang anhaltenden Beifall im Roten Saal bedankten sich Esther Hoppe und Sergej Tanin noch mit zwei Zugaben, darunter Fritz Kreislers „Liebesleid“.
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