Im Kampf gegen das Übergewicht

Das sagen Experten aus der Region zu den Abnehmspritzen

Sie könnten der Durchbruch gegen überflüssige Kilos sein: Mit Abnehmpräparaten wie Wegovy scheint ein wirksames Mittel zur Verfügung zu stehen. Auch in der Region sind die Medikamente beliebt, mit unerwarteten Folgen.

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Simon Retzbach
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Mehrere Packungen des Abnehmpräparats Wegovy. Das Mittel des dänischen Pharmaherstellers Novo Nordisk erfreut sich auch in der Region Odenwald-Tauber großer Beliebtheit. © dpa

Tauber-Odenwald. Es ist wortwörtlich ein gewichtiges Thema in Deutschland: Adipositas, also die krankhafte Form des Übergewichts. Sie bildet die Basis für zahlreiche weitere Erkrankungen wie Bluthochdruck oder Diabetes Typ 2. Mit Präparaten wie Wegovy vom dänischen Pharmahersteller Novo Nordisk steht nun ein Mittel zur Verfügung, das wirksam zur Bekämpfung von Übergewicht eingesetzt werden kann.

Bezüglich der Mittel geistern viele unterschiedliche Namen durch die Debatte. Während das Präparat mit dem Namen Ozempic für Diabetes-patienten eingesetzt werden soll, ist Wegovy gezielt für die Gewichtsabnahme konzipiert und zugelassen. Auch andere Hersteller haben entsprechende Präparate auf den Markt gebracht, ein prominentes Beispiel ist Trulicity vom US-Hersteller Eli Lilly.

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Die Nachrichten zu den Mitteln lösten weltweit einen großen Hype aus, die Nachfrage nach dem Mittel war sofort groß. In Berichten zum Thema wird das Mittel wahlweise als „Gamechanger“ oder „Wundermittel“ bezeichnet. Werden die Medikamente auch in der Region Tauber-Odenwald nachgefragt und eingesetzt? Wie stehen Experten dazu? Die FN haben sich umgehört.

„Das ist absolut ein Thema. Ich habe selbst 15 bis 20 Patienten in meiner Praxis, die das Mittel nehmen und damit wunderbar abnehmen“, beschreibt Dr. Sebastian Gerstenkorn. Er ist als Allgemeinmediziner in einer Gemeinschaftspraxis in Tauberbischofsheim tätig. Er habe das Mittel seinen Patienten selbst angeboten und es „hilft echt gut“, beschreibt er. „Es ist ein Gamechanger, ich hatte in 30 Jahren noch keine Situation wie jetzt, wo so viele Patienten eine deutliche Gewichtsabnahme haben“, beschreibt er begeistert.

Sein Mosbacher Kollege Dr. Rainer Schöchlin findet ähnliche Worte. „Es ist ein tolles Medikament“, findet der Allgemeinmediziner. „Den unbequemen Weg des Abnehmens mit Ernährungsumstellung und Sport geht ja keiner und bevor die Leute dann Magenoperationen machen lassen, ist die Spritze der bessere Weg“, so sein Fazit. Ein Gewichtsverlust von fünf bis sechs Kilo binnen vier Wochen und eine anschließend einfachere Gewichtskontrolle sei mithilfe des Präparats möglich. Patienten mit großem Leidensdruck spreche er gezielt auf die Möglichkeit zur medikamentengestützten Gewichtsreduktion an.

Positives Fazit

Bedenken zu möglichen Nebenwirkungen haben die Mediziner nicht. Nur einen Fall von Übelkeit habe er erlebt, erzählt Dr. Gerstenkorn. Durch den bereits langjährigen Einsatz an Diabetespatienten habe man gute Erfahrungen hinsichtlich der Verträglichkeit gemacht. „Wenn es hilft, was ist dann verkehrt? Das wird ein Hype, die Leute sind erst skeptisch und wollen es dann immer wieder“, zieht Gerstenkorn ein äußerst positives Fazit.

Tatsächlich ist das Prinzip, auf dem die aktuellen Mittel zur Gewichtsabnahme beruhen, nicht neu. Es handelt sich hierbei um GLP1-Analoga. Das sind gewissermaßen Nachbauten des körpereigenen GLP1-Hormons. Dieses Hormon wird im Darm produziert und verzögert die Entleerung des Mageninhaltes, fördert zudem die Sättigung durch eine Bindung an entsprechende Rezeptoren im Gehirn. Da bei Diabetikern die körpereigene Produktion dieses Enzyms gestört ist, wird es mittels Medikation zugeführt.

Keine bequeme Alternative

Professor Dr. Thomas Haak ist Chefarzt der Diabetes-Klinik Bad Mergentheim. Als Diabetologe und Facharzt für innere Medizin ist er mit dem Thema bestens vertraut. Er sieht die Abnehmpräparate als „hilfreiches Mittel“. Eine bequeme Alternative zur Ernährungsumstellung ist das Mittel laut ihm aber nicht: „Die Leute nehmen nicht vom Medikament selbst ab, sondern von weniger Energie, die sie dann bei der Nahrungsaufnahme zu sich nehmen.“

Man müsse das Medikament nutzen, um das richtige Essen wieder zu lernen. „Essen ist ja heute institutionalisiert“, so sein Befund. Nicht einfach zu essen, weil es die Situation gerade ergibt, ist laut ihm entscheidend. „Wer nicht wirklich abnehmen will, nimmt auch mit dem Medikament nicht ab“, macht er klar. Eine Einschätzung, die auch die Bad Mergentheimer Ernährungsberaterin Sabine Wecker teilt. Sie ist bezüglich des möglichen „Wundermittels“ skeptisch: „Die Ernährung ist entscheidend, da muss man etwas verändern.“

Es bestehen Versorgungsengpäse 

Doch trotz mahnender Töne ist die Nachfrage nach dem Mittel groß. Und da diese Nachfrage sowohl von Diabetikern als auch von Übergewichtigen kommt, besteht ein Engpass nach dem Mittel. „Patienten berichten mir von Lieferengpässen“, schildert Professor Haak Erfahrungen aus der Diabetes-Klinik. Dass Ärzte laut ihm auch das Diabetes-Präparat an Nicht-Diabetiker verschreiben, verschärft die Situation.

Werden die Abnehmspritzen zukünftig ein Alltagsbegleiter für die „breite Masse“? „Ich denke, die Präparate werden weitere Verbreitung finden und auch noch neue Mittel mit stärkerer Wirkung hinzukommen“, prognostiziert der Chefarzt.

Doch aktuell ist an einen Einsatz im größeren Stil nicht zu denken. Denn das Mittel ist auch in der Region momentan kaum zu bekommen. Ulrich Doerner, der die Ratsapotheke in Bad Mergentheim leitet, hat „tagtäglich“ mit Anfragen und entsprechenden Rezepten zu tun. „Es bestehen Versorgungsengpässe. Ich habe ein Rezept für Ozempic in einer bestimmten Stärke seit 1. August hier liegen“, erzählt er. Es gebe zwar vom Bundesgesundheitsministerium die Maßgabe, Diabetiker zu bevorzugen, aber Kunden mit Privatrezepten frage er bezüglich einer möglichen Diabeteserkrankung ab.

Fälschungen in Umlauf

Und auch für die nahe Zukunft ist er eher pessimistisch: „Der Mangel kann sich im Winter noch intensivieren und wird sich frühestens im Frühjahr entspannen.“ Thomas Haak sieht ein weiteres großes Problem im Zusammenhang mit den knappen Medikamenten. „Das Hauptproblem ist der Wildwuchs“, beschreibt er aktuelle Entwicklungen mit gefälschten Abnehmspritzen. „Die Leute gehen über Leichen, es wurden schon Insulinspritzen umetikettiert. Das ist lebensgefährlich“, warnt er vor illegalen Auswüchsen. Auch gefälschte Arztrezepte würden in Apotheken auftauchen.

Die Mehrheit der Befragten stimmte der Einschätzung zu, dass die Abnehmpräparate ein „Gamechanger“ sind. Gut möglich also, dass Übergewicht und Adipositas bald flächendeckend bekämpft werden.

Redaktion

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