Bad Mergentheim. Schon die bloße Verlesung der Anklage ließ deutlich werden, dass das Amtsgericht Bad Mergentheim im jüngsten Fall mit einer Intensivtäterin zu tun hatte. Rund 30 Minuten brauchte die Staatsanwaltschaft, die insgesamt 26 Anklagepunkte vorzutragen. Angeklagt war eine 32-Jährige aus Bad Mergentheim. Zwischen Mai und August 2024 soll sie die zahlreichen Taten begangen haben. Trunkenheit im Straßenverkehr, Sachbeschädigung, Beleidigung, Betrug, Hausfriedensbruch und insbesondere mehrfacher Diebstahl warf ihr die Anklage vor.
Die Angeklagte lauschte der schier endlosen Verlesung der Vorwürfe äußerlich regungslos und schien dennoch beeindruckt. Sie räumte die Vorwürfe danach auch weitgehend ein und sprach von einem „Festplattenfehler“, einer Psychose, die durch Drogenkonsum und Verlust von Arbeitsplatz und Wohnung ausgelöst wurde. Zuvor habe sie keine psychischen Probleme gehabt. „Ich kannte das selbst noch nicht“, beschrieb sie ihren Zustand zum Zeitpunkt der Taten.
Die Mehrheit der Taten waren Diebstähle. Ein Roller, eine Tortenform, Eier, Schuhe aus einem Hausflur, eine Hundeleine und Bademäntel aus einem Hotel – die Diebesbeute der Frau wirkte eher wahllos. Man gewann bei vielen der Taten den Eindruck, dass sie aus einem Impuls heraus ohne längere Planung handelte. Eine Art Gewinnabsicht bei den Diebstählen ließ sich ebenfalls nicht wirklich feststellen.
Noch skurriler waren andere Taten. Mit einem Auto (das nicht ihr gehörte) fuhr sie (ohne eine Fahrerlaubnis zu besitzen) nach Creglingen, um dort ein Wohnhaus auf besonders unappetitliche Weise zu beschmieren. Das ‚Material‘ hierfür waren zuvor in einem Eimer gesammelte Hinterlassenschaften ihres Hundes. Auslöser soll eine „Sache in der Jugend“ gewesen sein, die ihr „wieder in den Kopf kam“, wie es die Angeklagte formulierte. Aus ähnlichem Grund schüttete sie eine übelriechende Substanz an eine Tierarztpraxis in ihrer Nachbarschaft.
„Mit auffällig guter Laune“ auf ein Auto eingeschlagen
Doch nicht jede Tat war bloß skurril. Denn die 26 Anklagepunkte sind nur ein Teil der ihr vorgeworfenen Taten, laut einem Polizisten des Polizeireviers Bad Mergentheim sind über 50 Anzeigen gegen die Frau dokumentiert. Auch Richterin Susanne Friedl wies auf ein noch ausstehendes Verfahren hin, die Angeklagte soll auch einem Polizisten in strafbarer Weise nachgestellt haben. Da der Polizist aus gesundheitlichen Gründen derzeit nicht dienstfähig ist, wurde auch dieses Verfahren von den nun verhandelten Anklagen abgetrennt und soll zu einem späteren Zeitpunkt verhandelt werden.
Da die Angeklagte die Vorwürfe einräumte, lag der Fokus der Zeugenbefragungen auf dem Verhalten der Frau bei den Taten. Dass sie mit einem Pyjama, Plüschpantoffeln und einem Blumenreif im Haar bekleidet auf der Straße herumgelaufen sei, berichtete eine Zeugin. Dass man nicht mehr richtig mit ihr kommunizieren habe können, wusste eine ehemalige Nachbarin zu berichten. „Sehr verwirrt“ sei die Frau gewesen, schilderte eine weitere Zeugin. Ein Polizist erzählte, wie sie „mit auffällig guter Laune“ auf ein Auto eingeschlagen habe. „Die Taten waren für mich unverständlich, sie ist eigentlich kein schlechter Mensch“, ergänzte ein Ordnungshüter.
Für die Angeklagte waren die Taten offenbar ebenfalls nur schwer erklärlich – und sichtlich unangenehm. „Scheiße, ist das peinlich!“, entfuhr es ihr beim Anblick mehrerer Bilder in der Ermittlungsakte. Als Versuch einer Erklärung brachte sie einen massiven Cannabis-Konsum seit nunmehr knapp 20 Jahren vor. „Das sind Mengen, da staunt selbst der Strafrichter“, meinte Richterin Friedl mit Blick auf die Ergebnisse mehrerer Bluttests.
Ein Gutachter stuft die Angeklagte ein – und kommt zu klarem Ergebnis
Dass eine Angeklagte derart positiv von einem Polizisten beschrieben wurde, hört man selten vor Gericht. Wie lassen sich mehr als 50 Anzeigen damit in Verbindung bringen? Die Antwort lieferte Dr. Matthias Michel. Er ist Ärztlicher Direktor des Klinikums am Weissenhof in Weinsberg und häufig als Gutachter vor Gericht aktiv. Nach mehrstündiger Verhandlung gab er eine Stellungnahme ein, die sich mit dem psychischen Zustand der Angeklagten (und damit verbunden auch der Schuldfähigkeit) befasste. Er sah zum Zeitpunkt der Taten einen „deutlich maniformen Zustand“, also eine Krankheitsphase der bipolaren Störung.
Es seien typische Delikte und auch die Zeugenschilderungen über das Verhalten seien passend. „Das Getriebensein, das Umherstreifen und das Nehmen unnötiger Dinge ist typisch für die übersteigerte Selbsteinschätzung, die in einer solchen Phase auftritt“, erklärte er. Ein Nachdenken über mögliche Folgen finde nicht statt. Auch die unpassende gute Laune, die mehrfach beobachtet wurde, passe zum Bild der emotionalen Störung, die im Rahmen der bipolaren Störung zu beobachten sei.
Für Dr. Michel war klar: Bei quasi allen Taten habe mindestens „eine erhebliche Einschränkung der Steuerungsfähigkeit“ vorgelegen, lediglich bei zwei der 26 Taten sah er eine volle Schuldfähigkeit gegeben. „Aktuell sehe ich keine Gefahr für weitere Straftaten“, schloss er seine Einschätzung ab.
Angeklagte war „für ein paar Monate nicht Herrin ihrer Sinne“
So wurde mit wenigen Sätzen klar: Von der ursprünglich umfangreichen Anklage blieb nur ein Bruchteil übrig. Da beide Taten zudem nicht besonders schwerwiegend waren, sahen sowohl Anklage als auch Verteidiger Falk-Gerrit Nolte eine Geldstrafe als ausreichend an. Dem folgte das Gericht: 40 Tagessätze zu je 25 Euro, also 1.000 Euro, müsse die Frau „unter Vorbehalt“ wegen Betrugs und Diebstahls zahlen. Eine Art „Geldstrafe auf Bewährung“, die vom Erfüllen der Auflagen abhängt. Denn das Gericht möchte sehen, dass sich die Frau „ernsthaft und intensiv“ um eine neue Arbeitsstelle bemüht und eine fachpsychiatrische Behandlung beginnt.
„Eine bipolare Störung ist fies. Es passieren unerklärliche und bizarre Dinge. Sie waren für ein paar Monate ihres Lebens nicht Herrin Ihrer Sinne. So etwas ist von außen nur schwer nachvollziehbar“, begründete Susanne Friedl ihr Urteil. Die 32-Jährige müsse sich unbedingt behandeln lassen, damit sich die emotionalen Schwankungen „abflachen“ können. Auch deshalb gab es trotz umfangreicher Akte – untypisch für ein Schöffengericht, das normalerweise in Verfahren mit einer Straferwartung zwischen zwei und vier Jahren Freiheitsstrafe tätig wird – lediglich eine Geldstrafe unter Vorbehalt. Das Urteil ist rechtskräftig. Das Verfahren zu möglichem Stalking eines Polizeibeamten durch die Frau steht noch aus.
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