Prozess am Amtsgericht

Bad Mergentheim: Nur Widerstand gegen Polizei – oder doch häusliche Gewalt?

Man ahnt: Hier geht es um mehr, als offiziell in der Anklageschrift steht. So wirkt das milde Urteil mehr wie die Spitze eines Eisbergs.

Von 
Simon Retzbach
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Eine kleinere Menge Kokain (Symbolbild). Genau diese wurde einem Bad Mergentheimer (erneut) zum Verhängnis. © picture alliance/dpa

Bad Mergentheim. Susanne Friedl und ihre „Stammkundschaft“: Die Direktorin des Amtsgerichts ist seit 30 Jahren in Bad Mergentheim tätig und kennt die Leute, die sie einfach immer wieder vor sich hat. Es ist ein kleiner, aber beharrlicher Kreis an Menschen, die sich von bisherigen Urteilen einfach nicht beeindrucken zu lassen scheinen und immer wieder mit dem Gesetz in Konflikt geraten.

Ein solcher ist der A. Ein körperlich eher unscheinbarer Mittzwanziger, der allerdings eine schillernde Vergangenheit aufweist – und anscheinend auch in der Gegenwart nicht so richtig im Einklang mit dem Gesetz lebt. Dieses Mal geht es offiziell ‚nur‘ um Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Beleidigung. Doch die Darstellung der Taten in der Hauptverhandlung lässt vermuten, dass dahinter noch mehr stecken könnte.

Was ist konkret geschehen? Im Februar soll es zu einem heftigen Streit zwischen dem Angeklagten A. und seiner Ehefrau gekommen sein. Sie schließt sich im Bad ein und ruft eine Verwandte an, erzählt ihr, sie werde geschlagen und dass der A. „die Wohnung auseinandernimmt“. Mit dieser Schilderung fährt eine alarmierte Polizeistreife zum Wohnort der Familie am Stadtrand.

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Dort angekommen, finden sie einen „sehr aggressiven“ A. vor, der die Polizisten beschimpft und ohne einen Durchsuchungsbefehl nicht in seine Wohnung lassen will. Im Zuge einer kurzen Auseinandersetzung kommt es dann zu den Angeklagten Widerstandshandlungen und Beleidigungen gegenüber den Polizisten. Doch man ahnt beim Zuhören: An diesem Februartag ist mehr passiert, als die Anklageschrift offiziell erfasst. Und auch mehr, als der Angeklagte selbst einräumt, als er davon spricht, dass die Situation „ein bisschen eskaliert“ sei.

Es bleibt das Gefühl: Hier geht es um mehr

Das Thema häusliche Gewalt wird im Prozess nur in Ansätzen thematisiert, es steht gewissermaßen als bedrohliche Kulisse hinter den an sich weniger schweren Widerstandstaten und Beleidigungen gegenüber den Polizisten, über die das Gericht letztlich urteilen muss. Die Ehefrau des Angeklagten selbst sagt vor Gericht nicht aus, ist auch nicht anwesend. „Ich kann sie aber herbestellen, wenn Sie möchten“, versichert der Angeklagte mit etwas eigenwilliger Formulierung. Dass es Bilder von ihr mit Rötungen und einem Hämatom gibt, hält Friedl dem Mann weiter vor. Die Frau selbst habe gesagt, so Anwalt Frank Gangl, dass es „zu keinen strafbaren Handlungen gekommen ist“.

Ein Polizist beschreibt eine sichtlich verängstigte Frau und weinende Kinder, als sie an besagtem Tag vor Ort ankommen. A. wiederum sei beim Anblick der Polizisten „hoch aggressiv“ gewesen. „Wir hatten Schwierigkeiten, ihn unter Kontrolle zu bringen“, beschreibt er. Viele Gegenstände auf dem Boden scheinen die Meldung, wonach der A. „die Wohnung kurz und klein“ schlage, zu bestätigen. Das Gefühl, dass hinter der Anklageschrift noch etwas weitaus bedeutsameres steht, bleibt im Prozess hartnäckig präsent.

Wohl auch bei Susanne Friedl, die den Mann deshalb eindringlich ermahnt. „Bei Ihnen kracht es wiederholt, die Polizei war nicht zum ersten Mal da. Sie müssen Ihre Probleme ohne Geschrei lösen, so ein permanenter Streit ist auch für Kinder grausam und richtet großen Schaden an“, versucht sie A. ins Gewissen zu reden. Ob er seine Frau wirklich, wie von der Tochter in einem Gespräch mit Angehörigen geschildert, mit einer Säge bedroht habe? „Ich schlage meine Frau nicht. Wenn ich jemanden schlage, dann irgendjemand Fremden, aber nicht sie“, formuliert der Angeklagte erneut recht eigenwillig.

Bereits in der Vergangenheit mit Drogen zu tun – und jetzt wieder?

Er selbst beschreibt sich als eine Person, die ihr Leben „im Griff hat“. Er arbeite jetzt und nehme keine Drogen mehr, wird nach eigener Aussage bald zum dritten Mal Vater. Für den eskalierten Streit „schäme ich mich“, erklärt der 25-Jährige. Streit mit seiner Frau gebe es eigentlich „immer nur, wenn sie schwanger ist. Die Hormone...“ Die eigenwilligen Formulierungen ziehen sich gewissermaßen wie ein roter Faden durch die Verhandlung am Amtsgericht.

Insbesondere an die Darstellung, dass er sein Leben im Griff habe, glaubt die Richterin nicht so recht. Denn der Auslöser des Streits war ein Kokainfund durch die Ehefrau des Angeklagten. Und das, nachdem der Mann bereits eine Therapie gemacht hat, um den Drogenkonsum zu beenden. Diese Therapie war wiederum der Grund, weshalb er vorzeitig aus der Haft kam.

Für ein Drogendelikt wurde er bereits 2023 zu einer Haftstrafe von knapp drei Jahren verurteilt. Zwischen Oktober 2022 und Mai 2023 betrieb der 25-Jährige regen Handel mit Cannabis und Kokain in Bad Mergentheim. Zum Verhängnis wurde ihm dabei, dass er in diesem Zeitraum gleich acht Mal Drogen an verdeckte Ermittler verkaufte. Bis zu 200 Gramm Kokain soll der Mann zum Verkauf angeboten haben, ehe die Handschellen klickten.

Akte: „Aggressives und unbeherrschtes Verhalten“

Mit der Therapie sollte damals alles besser werden, nach deren Ende wurde der Rest seiner Haftzeit zur Bewährung ausgesetzt. Da war der erneute Kokainfund in der Wohnung natürlich ein Alarmzeichen für die Ehefrau, die schon zur Zeit der letzten Verurteilung mit ihm zusammen war und auf ein endgültiges Ende des Drogenkonsums hoffte.

Schon damals fiel der Familienvater mit enormem Temperament auf. „Ein aggressives und unbeherrschtes Verhalten“ ist über ihn in der Akte notiert. Eine Beschreibung, die vor allem dadurch zustande kommt, dass er damals kaum zu beruhigen war und Richterin Friedl mehrfach lautstark unterbrach. Gericht und Anklage warfen ihm bereits damals vor, die Schuld für eigenes Fehlverhalten stets bei anderen zu suchen.

Für die Widerstandshandlungen und Beleidigung wurde er im erneuten Prozess nun zu sechs Monaten Freiheitsstrafe zur Bewährung verurteilt. Durch einen etwas besseren Eindruck bei Gericht und ein geregeltes Arbeitsverhältnis „bin ich verhalten positiv“, begründet Friedl die Aussetzung zur Bewährung. Die Bewährungszeit beträgt fünf Jahre und ist damit deutlich länger als die sonst üblichen drei Jahre. „Ich werde nicht viel Geduld mit Ihnen haben“, kündigt sie an. Und weiter: „Ich will Sie hier nicht mehr wiedersehen, sonst kommen Sie in den Knast“. Manchmal seien Kinder ohne ihren Vater besser dran. Der andauernde Streit „verursacht großen Schaden“.

Das Urteil ist rechtskräftig.

Redaktion

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