FN-Gesundheitswoche Mitte November

Bad Mergentheim: „Alles allein schaffen zu müssen, ist Quatsch“

Samuel Koch ist seit einem Unfall in „Wetten, dass..?“ querschnittsgelähmt. Über seinen Lebensmut, Chancen und ein Umdenken spricht er am 16. November im Kursaal.

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Sascha Bickel
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Das Foto mit Samuel Koch entstand am Hockenheimring. © hochzwei

Bad Mergentheim. Samuel Koch (38) ist seit einem schweren Unfall in der ZDF-Fernsehshow „Wetten, dass..?“ querschnittsgelähmt. Über seinen Lebensmut, seine Erfahrungen und Einsichten sowie ein Umdenken spricht er am Sonntag, 16. November, um 14 Uhr im Kursaal im Rahmen der Gesundheitsmesse „FN vital“. Im Interview sagt er: „Wichtig ist, dass man auf die schönen Dinge schaut, die gut laufen und sich nicht nur auf die schlechten Sachen fokussiert.“

Samuel Koch ist Schauspieler und Autor. Seit der Spielzeit 2018/19 ist er festes Ensemblemitglied am Nationaltheater Mannheim. Das Unglück in der „Wetten, dass..?“-Sendung mit Thomas Gottschalk am 4. Dezember 2010 machte ihn einer breiten Öffentlichkeit bekannt, als er sich beim Versuch, mit speziellen Sprungstiefeln über ein fahrendes Auto zu springen, schwer verletzte. Erst ein Jahr später wurde er aus dem Krankenhaus entlassen. Seitdem ist er rund um die Uhr auf Hilfe angewiesen.

Herr Koch, bitte beschreiben Sie sich selbst. Was sind Sie für ein Mensch, welche Eigenschaften und Grundeinstellungen haben Sie?

Samuel Koch: Mich selbst zu beschreiben, fällt mir schwer. Trotzdem will ich es versuchen: Als ältestes von vier Kindern habe ich früh gelernt, dass Zusammenhalt etwas sehr Wertvolles ist. Wir Kinder sind mit unseren Eltern, den jeweiligen Partnern und allen Neffen und Nichten auch heute noch eine eingeschworene Gemeinschaft – an guten und an weniger guten Tagen. Für weniger gute habe ich ja reichlich gesorgt.

Unsere Eltern haben uns beigebracht, fröhlich und mit Gottvertrauen durchs Leben zu gehen. Außerdem hatten sie eine beeindruckende Fehlertoleranz. Wir wurde nie bestraft, sondern ganz im Gegenteil: Wenn mal etwas schiefgelaufen war, sagte mein Vater: „Eins plus!“ Damit wollte er zum Ausdruck bringen, dass wir Kinder für ihn immer das Größte sind und seine Zuneigung nicht davon abhängt, ob wir gut funktionieren. Das nennt man „bedingungslose Liebe“. Sie ist das größte Geschenk, das man im Leben bekommen kann. Das warmherzige Miteinander und der gegenseitige Respekt in unserer Familie haben mich geprägt und Maßstäbe für mein weiteres Leben gesetzt.

Meine Leidenschaft gilt seit meiner frühesten Kindheit dem Sport – auch wenn ich sie heute nicht mehr ausleben kann, so wie ich mir das vorgestellt habe. Aber im Herzen bin ich Sportler geblieben. Ich mag Herausforderungen und Nervenkitzel. Ich liebe es zu reisen, um andere Länder und Kulturen kennenzulernen und ich bin ein Weiterbildungsjunkie. In meiner Freizeit beschäftige ich mich mit Theologie und Philosophie.

Im Übrigen gebe ich mir Mühe, mich selbst nicht zu wichtig zu nehmen, denn in der Unendlichkeit der Schöpfung sind wir nur ein kleiner Funke, der eines Tages verglühen wird. Doch die Zeit bis dahin gilt es zu nutzen. Deshalb habe ich mir vorgenommen, so viel Himmel auf Erden zu feiern wie möglich.

Wie verlief Ihr Leben vor der „Wetten dass...?“-Sendung und was passierte dort? Wie kam es zu dem schweren Unfall?

Koch: Vor dem Unfall habe ich ein sehr aktives Leben geführt. Die meisten Tätigkeiten, die ich mir für die Zukunft vorstellen konnte, waren an körperlicher Bewegung ausgerichtet: Studieren an der Illinois State University, Flugzeugführer bei der Bundeswehr, Akrobat beim Cirque de Soleil in Frankreich, Stuntman, Kunstturner oder der bereits eingeschlagene Weg als Student an der Hochschule für Musik, Theater und Medien in Hannover, um Schauspieler zu werden. Dort zählten Fechten, Tanzen und Reiten zu den wichtigen Fächern, also alles Disziplinen, die voraussetzen, dass der Körper intakt ist.

Dann kam die Einladung zur ZDF-Fernsehshow „Wetten, dass..?“. Ich sollte im Dezember 2010 dort zeigen, dass ich über ein fahrendes Auto springen kann – mit Sprungstiefeln, sogenannten „Powerjumpern“. Das hatte ich vorher schon oft gemacht. Aber an dem Abend ging es schief. Beim vierten Sprung bin ich gestürzt, habe mir die Halswirbelsäule verletzt und bin seitdem querschnittsgelähmt. Mein Leben hat sich von einer Sekunde auf die andere komplett verändert.

Mit der Frage, wie es genau zu dem Unfall kam, setzen sich sogar Gerichte bis heute auseinander. Ich selbst kann mich an den Sturz nicht erinnern.

Welche Lehren haben Sie aus dem Ereignis gezogen? Wie haben Sie sich - und wie hat sich Ihr Leben verändert?

Koch: Ich habe gelernt, dass man im Leben nichts als selbstverständlich nehmen darf – weder das Gehen, noch das Atmen, noch das Aufwachen am Morgen.

Anfangs habe ich mich natürlich gefragt: Was bin ich noch? Wer bin ich noch? Aber meine Mentalität war eigentlich immer: Ich gebe nicht auf. Nie. Nach meinem Unfall musste ich einsehen, dass ich das meiste nicht mehr allein schaffe. Doch in dieser Einsicht liegt auch Wertvolles: Die Menschen glauben heutzutage, alles allein schaffen zu müssen. Sie messen ihren Wert daran, wie gut sie ohne andere zurechtkommen. Das ist Quatsch. Jeder braucht andere Menschen. Das zu akzeptieren war sehr wichtig für mich, denn ich bin ja rund um die Uhr auf die Hilfe anderer angewiesen. Aber ich möchte auch Hilfe geben. Das kann ich beispielsweise durch Besuche in Krankenhäusern und Rehaeinrichtungen bei frisch Verunfallten.

Ich habe gelernt, Geduld zu haben – mit mir, mit anderen, mit dem Leben. Meine Einstellung ist, dass auch wenn 90 oder sogar 99 Prozent schlecht laufen, es immer noch ein bisschen gibt, das schön ist. Wichtig ist, dass man auf diese schönen Dinge schaut, die gut laufen und sich nicht nur auf die schlechten Sachen fokussiert.

Welche Botschaft möchten Sie auf der FN-Gesundheitsmesse Mitte November in Bad Mergentheim vermitteln? Warum lohnt es sich, Ihren Vortrag live mitzuerleben?

Koch: Ob es sich lohnt, den Vortrag zu erleben, müssen die Zuschauer entscheiden, und zwar jeder Einzelne für sich. Ich spreche über „Veränderung als Chance – Über die Kraft des Umdenkens“. Ich kann darin nur von mir erzählen und von den zahlreichen Begegnungen, die ich hatte, mit Menschen, die einen Weg gefunden haben, mit Rückschlägen, Krisen und krassen Änderungen in ihrem Leben umzugehen und daraus etwas Neues zu machen.

Resignation war und ist für mich keine Option, sie ist zu negativ. Um wieder nach vorne zu blicken zu können, musste ich alte Vorstellungen und Wünsche loslassen und nicht länger zu fragen: „Was wäre, wenn…?“

Wir können die Umstände oft nicht ändern, aber unsere Einstellung dazu. Das bedeutet auch, und ich weiß, wie schwer das ist, über den eigenen Horizont hinauszuschauen und zu fragen: Wo kann ich der Welt jetzt nützlich sein?

Ich bin noch lange nicht an dem Reifegrad angekommen, an dem ich sagen würde, der Unfall hatte einen bestimmten Sinn. Ich würde ihn sofort rückgängig machen, wenn ich könnte. Aber ich möchte mich an der Zukunft orientieren und dem Unfall in all seiner vermeintlichen Unsinnigkeit etwas von seinem Unsinn nehmen - um der Situation, in der ich bin, etwas Sinnvolles abzuringen.

Wenn heute Menschen aus meiner Geschichte etwas für ihr eigenes Leben mitnehmen können, dann freut mich das sehr. Diesen Menschen möchte ich auf Augenhöhe begegnen.

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Wie ging Ihr Weg in den vergangenen Jahren weiter und was haben Sie noch vor?

Koch: In den letzten Jahren ist viel passiert – mehr, als ich mir direkt nach dem Unfall je hätte vorstellen können. Ich bin glücklich darüber, dass ich inzwischen mehrere Bücher schreiben, über 2000 Bühnenauftritte absolvieren und in mehreren Filmen mitspielen durfte. Außerdem engagiere mich in dem Verein „Samuel Koch und Freunde e.V.“ für pflegende Angehörige von Menschen mit Behinderung.

Gleichzeitig ist mir bewusst, dass mir dabei ganz viele Menschen geholfen haben – allein wäre ich niemals so weit gekommen. Ich habe dank ihrer Unterstützung erfahren, dass auch mit einem unbeweglichen Körper ein erfülltes Leben möglich ist. Natürlich gibt es Tage, die schwerer sind – aber ich versuche, mich nicht von dem leiten zu lassen, was nicht geht, sondern von dem, was geht. Mein Leben ist immer noch unfassbar reich, wenngleich zuweilen reichlich beschwerlich.

Für die nächsten Jahre habe ich einige Pläne: Film-Serie-Theater-Buch-Welt-Reise-Fernsehdreh-Projekte... Aber bei Plänen bin ich aus Erfahrung auch etwas vorsichtig geworden, da sich die Umstände schnell ändern können und ein Vorhaben hinfällig wird. Ich versuche deshalb, so gut es geht, in der Gegenwart zu leben.

Blicken wir abschließend auf überraschende Erkenntnisse, tolle Momente und kuriose Situationen in den vergangenen Jahren. Was haben Sie da erlebt?

Koch: Es gab viele Momente, mit denen ich nie gerechnet hätte. Eines Tages erhielt ich eine E-Mail vom Reiseanbieter „Elangeni“. Mit mir als „Härtefall“ wollten sie gern die Möglichkeiten und Grenzen einer Reise durch das Okavango-Delta in Botswana ausloten. Ich sagte sofort zu. Wir machten alles, was zu einer „normalen“ Safari dazugehört: Bootsfahrten auf dem Delta, Übernachten in Zelten, Duschen unter Eimern, Erkundungstouren bei Tag und bei Nacht, Flussdurchquerungen mit dem Jeep, Tiere gucken, Musik am Lagerfeuer und so weiter.

Insgesamt legten wir viele Hundert Kilometer in einem Jeep zurück, und da es keine befestigten Straßen gab, wurden wir ganz schön herumgeschüttelt. Meine Begleiter hatten große Mühe, mich in meinem Sitz in dem zu allen Seiten offenen Fahrzeug zu halten.

Einer der schönsten Momente seit dem Unfall war, dass ich wieder auf der Bühne stehen konnte – und das meine ich durchaus wörtlich. In einer Theaterproduktion wurde ich mit reichlich Gaffa Tape an einen Kollegen und guten Freund festgeklebt, also mein Oberkörper an seinem, meine Beine an seinen, meine Arme an seinen Armen. Dadurch stand ich auf, wenn er aufstand. Das ist für jemanden, der sich sitzend durchs Leben bewegt, ein großartiger Perspektivwechsel.

Natürlich gibt es auch kuriose Momente. Zum Beispiel, wenn ich meine kleinen Neffen beaufsichtige. Die finden meinen Rollstuhl super und reißen sich förmlich darum, mitzufahren.

Info: Die FN-Gesundheitswoche startet bereits am Donnerstag, 13. November, in der Weikersheimer Tauberphilharmonie mit einem inspirierenden Vortrag der renommierten Moderatorin und Autorin Nina Ruge. Kostenfreie Karten hierzu gibt es unter FN vital. Am Wochenende, 15. und 16. November, findet dann im Kursaal die Messe „FN vital“ statt. Samuel Koch ist am Sonntag, 16. November, um 14 Uhr zu Gast. Auch hierzu gibt es Eintrittskarten unter https://fnvital.de/ oder in den FN-Kundenforen.

Redaktion Stellvertretender Reporter-Chef; hauptsächlich zuständig für die Große Kreisstadt Bad Mergentheim

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