Bad Mergentheim. Der letzte Arbeitstag von Wolfgang Herz ist an diesem 31. Juli. 45 Jahre ist er für die Gesundheitskasse AOK tätig gewesen. Seiner Ausbildung zum Sozialversicherungsfachangestellten folgte 1988 zum ersten Mal eine Führungsverantwortung, ehe er 2001 Leiter des Kundencenters Bad Mergentheim (heute acht Mitarbeiter) wurde und damit in die Fußstapfen seines Vaters trat, der auch viele Jahre die Verantwortung in der Kurstadt hatte.
Die FN sprachen mit ihm über die Veränderungen in den vergangenen Jahrzehnten, über das was er gerne noch verändern würde und sein politisches Engagement sowie die fortan neu gewonnene Freizeit.
Was hat Ihnen an Ihrem Job immer am meisten Spaß gemacht und Freude bereitet? Wie schauen Sie auf die 45 Jahre zurück?
Wolfgang Herz: Ich blicke gerne auf diese Zeit zurück. Mir hat die abwechslungsreiche Arbeit mit Menschen sehr viel Freude gemacht. Ob in der Führung der Mitarbeiter oder in der Beratung der Versicherten.
Es kommen Menschen aus allen Schichten und Nationalitäten in ein AOK-Kundencenter. Sie kommen mit den unterschiedlichsten Anliegen. Keine Beratung ist gleich. Egal ob es um Versicherungsschutz, Leistungen bei Schwangerschaft und Entbindung, Fahrkosten, Kinderkrankengeld, Haushaltshilfe oder Zusatzleistungen der AOK geht, auf jeden Versicherten und jede Beratung stellt man sich individuell ein. Am meisten Freude hat mir gemacht, wenn ich den Menschen helfen konnte und sie dankbar für meine Hilfe waren.
Was hat sich am stärksten seit Ihren Anfängen verändert – am Gesundheitswesen, den Kunden und Ihrer Arbeit?
Herz: 1979 gab es noch weit über 1000 gesetzliche Krankenkassen. Heute gibt es noch 95. Auch wir im Main-Tauber-Kreis waren eine selbstständige AOK mit eigenem Beitragssatz, Geschäftsführung, Vorstand und Vertreterversammlung mit Hauptsitz in Tauberbischofsheim. Alle Bereiche wurden im Kreis bearbeitet. Nun haben wir eine leistungsstarke AOK Baden-Württemberg mit 14 Bezirksdirektionen. Unser Landkreis gehört zur Direktion Heilbronn-Franken.
Zu Beginn meiner Ausbildung gab es noch keine Computer. Für jeden Versicherten und die mitversicherten Familienangehörigen wurde eine Leistungskarte geführt. Jede Leistung und jede Arbeitsunfähigkeit wurde per Hand auf die Leistungskarte geschrieben. Wenn die Karte nicht richtig einsortiert war, ging das große Suchen los. Es gab noch keine Gesundheitskarte. Bei einem Arzt- oder Zahnarztbesuch musste ein Krankenschein in der Praxis vorgelegt werden.
Heute können Beratungen digital durchgeführt und Anträge per Smartphone unterschrieben werden. Überhaupt hat die Technisierung und Digitalisierung sowohl in der AOK als auch im gesamten Gesundheitswesen Einzug gehalten und schreitet weiter voran.
Unsere AOK-Versicherten sind internationaler geworden. Die Versicherten aus anderen Ländern haben häufig keine Kenntnisse, wie unser Gesundheitswesen funktioniert. Hier gibt es großen Beratungsbedarf.
Was ist schlechter als früher, was besser?
Herz: Früher gab es weniger Bürokratie. Sowohl bei unseren Vertragspartnern im Gesundheitswesen, als auch in der Verwaltung. Da ist der Gesetzgeber mit seinen Vorschriften sicher manchmal über das Ziel hinausgeschossen.
Der medizinische Fortschritt hat sich zum Wohl der Menschen weiterentwickelt. Heute können Krankheiten geheilt oder zumindest zum Stillstand gebracht werden, die früher ein Todesurteil waren. Der medizinische Fortschritt kostet Geld. Die gesetzliche Krankenversicherung bringt für die Behandlungen sehr viel Geld auf. Hier zeigt sich die Stärke der Solidargemeinschaft der gesetzlichen Krankenversicherung.
Ein Meilenstein in der Geschichte der Sozialversicherung war die Einführung der Pflegeversicherung im Jahr 1995. Hier wurde der immer älter werdenden Bevölkerung und der damit verbundenen wachsenden Pflegebedürftigkeit Rechnung getragen.
Wo würden Sie aus Ihrer langen Erfahrung heraus am ehesten etwas anders machen, wenn Sie die Macht dazu hätten? Wo bedarf es im Gesundheitsbereich dringender Reformen und welcher?
Herz: Die gesetzlichen Krankenkassen führen sogenannte „versicherungsfremde Leistungen“ im Auftrag des Staates durch, für deren Finanzierung eigentlich der Staat zuständig ist und nicht die Krankenkassen.
Die Kassen bekommen zwar dafür Zuschüsse vom Bund, diese decken aber bei weitem nicht die Kosten. Dazu gehören beispielsweise bestimmte Leistungen bei Schwangerschaft und Mutterschaft oder die beitragsfreie Mitversicherung von Familienangehörigen. Auch die Beiträge für Bürgergeldbezieher sind viel zu niedrig bemessen. Die Zuschüsse des Bundes müssen deshalb zur Deckung der Kosten zwingend erhöht werden.
Für mich hat die ärztliche Versorgung der Bevölkerung, gerade im ländlichen Raum, oberste Priorität. Die AOK hat mit eigenen Programmen schon einiges in die Wege geleitet. Doch ohne den Gesetzgeber kann dies alleine nicht gelingen. Hier muss der Gesetzgeber alles daransetzen, jungen Ärztinnen und Ärzten die Übernahme oder Eröffnung einer Praxis so leicht wie möglich zu machen, finanziell zu fördern und von Bürokratie zu entlasten.
Auf was freuen Sie sich im Ruhestand – was werden Sie vermissen?
Herz: Ich freue mich darauf, über meine Zeit jetzt frei verfügen und auch spontan Dinge unternehmen zu können, und viel mehr Zeit mit meiner Familie verbringen zu dürfen. Außerdem habe ich nun mehr Zeit zu lesen, was ich sehr gerne tue. Sicher werde ich auch die eine oder andere Reise unternehmen.
Bestimmt werde ich mein Team und viele langjährige Kollegen vermissen.
Wo sind Sie aktuell noch engagiert und bleiben es auch?
Herz: Die Bürger von Bad Mergentheim haben mich wieder in den Gemeinderat gewählt. Hier werde ich mich selbstverständlich weiter kommunalpolitisch engagieren. Außerdem bin ich CDU-Ortsverbandsvorsitzender und im CDU-Stadtverband.
Seit vielen Jahren bin ich im Beirat des VfB Bad Mergentheim und im Vorstand der Katholischen Erwachsenenbildung. Diese ehrenamtlichen Tätigkeiten werde ich weiter ausüben. Was sonst noch kommt, lasse ich auf mich zukommen. Wichtig ist, dass ich gesund bleibe.
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