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„Hirschbräu“: Wie aus einer Schnapsidee eine Biermarke wurde

Das Hirschlandener Rathaus ist heute Brauerei und Gaststätte, wo „Hirschbräu“ reift und das Ehrenamt eine Marke geschaffen hat.

Von 
Michael Fürst
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Martin Herrmann, Ortsvorsteher in Hirschlanden, freut sich über den Erfolg von „Hirschbräu“ - einer ehrenamtlichen Initiative, die eine Marke kreierte. © Ute Grabowsky / photothek.net

Wenn Ortsvorsteher Martin Herrmann in seinem Rathaus in Hirschlanden sitzt, ist er in seinem Element. Nein, damit ist nicht gemeint, dass der „erste Mann im Ort“ hier exzessiv seinen kommunalpolitischen Aufgaben nachgeht; die erledigt er entspannt zuhause. Das Rathaus heißt nur noch so. Es ist keines mehr im herkömmlichen Sinne. Vielmehr beherbergt es seit mehreren Jahren eine Gaststube und eine Brauerei. Hier, im Herzen von Hirschlanden, reift „Hirschbräu“. „In der Zwischenzeit haben wir schon 52 Sorten gebraut“, erzählt Herrmann. Der Stolz auf diese Zahl ist ihm im Gesicht abzulesen. Er ist eben in seinem Element: Seit seiner Jugendzeit ist er Bierliebhaber. Mit der Brauerei, dessen Braumeister er auch ist, hat er sich einen Traum verwirklicht.

Natürlich hat er das alles nicht alleine auf die Beine gestellt. Der Museumsverein ist Betreiber der Brauerei und der Gaststätte. Das Hirschlandener Projekt ist ein Vorzeigebeispiel dafür, was das Ehrenamt alles leisten kann – und wie solch ein Projekt wachsen kann: Mittlerweile ist „Hirschbräu“ mit der angeschlossenen Gaststätte ein kleines Unternehmen geworden. Der Gewinn fließt zu 100 Prozent in das 430-Einwohner-Dorf Hirschlanden. „Wir unterstützen unseren tiertherapeutischen Kindergarten, haben das ,Heimatbuch Hirschlanden‘ mitfinanziert und helfen bei Dorfprojekten“, zählt Martin Herrmann nur einige Beispiele auf. Aber natürlich musste der Verein auch seine Schulden abbezahlen. 128.000 Euro hat alleine die Brauanlage gekostet. „Dazu müssen wir immer 30.000 Euro als Reserve zurückhalten.“ Auch die umfangreiche Sanierung des Gebäudes hat viel Geld gekostet.

Bis zu 8.000 Liter Jahresausstoß

Begonnen hat das mannigfaltig ausgezeichnete Projekt (siehe Infobox) 2006 mit dem Umbau des Rathauses. „Wir wollten wieder eine Dorfgaststätte haben“, berichtet Martin Herrmann. Doch dazu, so war man sich einig, müsse man etwas Besonderes bieten. „Schnaps war die erste Idee.“ Doch daraus wurde unter anderem wegen Zollauflagen nichts. Dann kam die Bieridee. 2008 erhielt Martin Herrmann sein Brauerzertifikat und legte los. Jürgen Arnold, Wolfram Lauer und Lothar Beck unterstützen ihn als Brauer bis heute.

Der Erfolg war umwerfend. Die Leute rannten den Hirschlandenern im wahrsten Sinne des Wortes die Bude ein. Schnell musste der Ausstoß erhöht werden, erst recht nachdem ein SWR-Fernsehteam da war. Aktuell stellt „Hirschbräu“ im Jahr zwischen 3.000 und 8.000 Liter Bier her. „Das hängt vom Bedarf ab. Zwei bis vier Sorten sind auf jeden Fall immer verfügbar.“ In diesem Jahr wurde wieder mehr gebraut, denn am Sonntag, 27. Juli, findet im Ort wieder das große Brauerei- und Straßenfest statt.

Als die Bierabsätze stiegen und man zwischenzeitlich Bierliebhaber aus ganz Deutschland im alten Rathaus begrüßen durfte, „haben einige von uns gesehen, dass man aus dem Projekt mehr herausholen könnte“. Mittlerweile war „Hirschbräu“ eine eingetragene Brauerei. Sollte man wirklich durchstarten und als Wirtschaftsunternehmen agieren – in Konkurrenz zu den anderen regionalen Brauereien wie „Distelhäuser“, „Herbsthäuser“ oder „Faust“? „Wir haben diesen Gedanken dann aber schnell wieder verworfen“, informiert Martin Herrmann. Schuster bleib bei deinen Leisten. Somit gibt es „Hirschbräu“ weiter nur in Hirschlanden – im Rathaus. Das Bier kommt nicht zu den Menschen. Die Menschen kommen zum Bier.

„Distelhäuser“: Partner statt Konkurrent

Das mit der Konkurrenz hat sich übrigens gegenteilig entwickelt. Vor allem von „Distelhäuser“ erfährt „Hirschbräu“ große Unterstützung – von Geschmacks- und Brau-Tipps bis zur Hefe. „Distel“ ist Patenbrauerei. Mitarbeiter von „Faust“ aus Miltenberg haben in Hirschlanden schon einmal den Abschluss ihres Betriebsausflugs gemacht. 2014 fand bei „Hirschbräu“ ein Brauertreffen statt. „Hier wurden unsere Biere durchweg gelobt. Das hat uns alle stolz gemacht“, sagt Martin Herrmann. Die Biere sind alle ungefiltert und daher trüb. Doch bei jedem Konsumenten hellt sich die Stimmung auf, wenn er sie trinkt – und das vor allem bei einem Fachpublikum.

Was einen geschmacklich erwartet, kann man erst nur erahnen. Die Flaschen sind alle eintönig braun mit langem Hals und sind nicht mit einem Etikett beklebt. „Das würde einen erheblichen Mehraufwand bei der Reinigung bedeuten“, erklärt Herrmann. Auf den Bügelverschlüssen stehen Buchstaben, damit man die Sorten unterscheiden kann. Das Marketing endete also beim Bierdeckel, bei den Gläsern und dem schwarzen, Selbstvertrauen ausstrahlenden Wappenhirsch auf gelbem Grund.

Damit die Wirtschaft so richtig wirtschaften kann, sind die beiden Gasträume, die rund 70 Besuchern Platz bieten, jeden Samstag für jedermann geöffnet. Es gibt selbstgemachtes Essen, „nur aus regionalen Produkten, wie beim Bier“, informiert Martin Herrmann. Deshalb sind die Rohstoffe ein bisschen teurer: Die Hirschlandener brauen den Liter Bier für etwa 1,50 Euro, in den Großbrauereien gehen diese Kosten runter bis auf 50 Cent. Aber: Regionale Erzeuger profitieren vom Engagement in Hirschlanden.

Der ehrenamtliche Aufwand für den Betrieb der Gaststätte hierfür ist enorm. Sieben Teams aus je vier oder fünf Personen planen die Bewirtung immer vierteljährlich im Voraus. Gaumenfreuden in flüssig und fest lassen den Besuch zu einem Erlebnis werden. Wer sich in den Räumlichkeiten der Gaststätte dann noch von Herrmanns Biersammlung an Emailleschildern, Krügen, Gläsern, Flaschen und sonstigen Utensilien von noch aktiven und längst verschwundenen Brauereien aus etwa 50 Kilometer und um Hirschlanden inspirieren lässt, der muss sich für die Zeit des Aufenthaltes vorkommen wie im Himmel…

Und so ist aus einer ehrenamtlichen Schnapsidee ein riesiger Biererfolg geworden. Die Hirschlandener haben eine echte Marke entwickelt, eine Marke mit viel Geschmack. Übrigens: „Hopfi“ ist Martin Herrmanns Favorit, gleich darauf folgt der „Rothirsch“…

Das ist „Hirschbräu“



Start des Projekts: 2008 mit 150 Litern.

  • Sorten: bis heute 52 gebraut, zwei bis vier sind immer vorrätig und werden ausgeschenkt. Ein alkoholfreies Bier gibt es von „Hirschbräu“ nicht – in der Gaststätte wird alkoholfreies von „Distelhäuser“ ausgeschenkt.
  • Brauort: Rathaus Hirschlanden. Das Bier wird nur in der dort beheimateten Gaststätte ausgeschenkt und auf Braufesten.
  • Alkoholgehalt: Zwischen 5,5 und 6 Prozent, bei Starkbieren bis zu 9 Prozent.
  • Preise und Auszeichnungen: Landespreis für vorbildliche kommunale Bürgeraktionen (2010), überreicht vom damaligen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Stefan Mappus. „Leuchtturm-Ehrenamtsprojekt des Landes für Europa (2011 in Brüssel). Beste Dorfgaststätte in Baden-Württemberg“ – ein Wettbewerb des SWR (2013). Der aktuelle Ministerpäsident Winfried Kretschmann war auch schon bei „Hirschbräu“ in Hirschlanden.
  • Nächste Veranstaltung: Brauerei- und Straßenfest am 27. Juli
  • Gaststätte: Immer samstags oder zu speziellen Anlässen geöffnet. Platzreservierung unter: www.hirschbraeu-hirschlanden.de.

Ressortleitung Reporterchef und Leiter der Sportredaktion

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