Adelsheim. „No cellphones allowed in jail – Keine Handys erlaubt“. Das Schild hängt präsent an der Glasscheibe, die mich vom Beamten dahinter trennt. Die Torwache der Justizvollzugsanstalt (JVA) Adelsheim kassiert meinen Personalausweis ein, im Gegenzug bekomme ich einen Besucherausweis. „Sie haben auch kein Handy dabei?“, fragt mich der Beamte mit leicht grimmigem Tonfall. Ich nehme es ihm nicht übel – um 5.40 Uhr muss man noch nicht super drauf sein. „Doch, zum Bilder machen. Ich bin von der Zeitung“, gebe ich zurück. Mein Gegenüber zieht die Augenbrauen hoch, sagt aber nichts mehr.
Telefon mit Alarmtaste
Dann ist Herr Becher, der Justizvollzugsbeamte, mit dem ich zwei Tage „im Knast“ verbringen werde, auch schon wieder da. Seinen Vornamen werde ich im Bericht nicht nennen, da alle Mitarbeiter der JVA sehr darauf bedacht sind, diesen außen vor zu lassen. Becher hat seinen Schlüssel geholt – das wohl wichtigste Utensil für den Tag. Außerdem trägt er sein Telefon, an dem sich auch eine Alarmtaste befindet, mit sich.
Gemeinsam machen wir uns auf den Weg zu Haus E1. Dort arbeitet er mit seinen Kollegen und betreut Häftlinge im Regelvollzug. Auf dem Weg kommen wir an der Torschleuse, dem Innenhof und den Werkstätten vorbei. Um ins Haus zu gelangen, müssen wir erneut eine Schleuse passieren. Auch die einzelnen Stockwerke im Haus sind durch Türen voneinander getrennt.
21 Insassen auf dem Stockwerk
„So, jetzt erstmal Kaffee. Willst du auch einen?“, fragt er mich, als wir im zweiten Stock angekommen sind. Das Büro für die Beamten liegt am Kopfende des Hauses. Durch eine Glasscheibe hat man einen guten Blick auf den Gang und die Zellentüren. Insgesamt 21 Insassen gibt es auf dem Stock. „Damit sind wir voll“, erklärt mir Becher. Es sind Einzelzellen. Lediglich zwei Häftlinge haben eine Doppelzelle.
„Die Wände haben hier Ohren“, meint Herr Mütsch, Bechers Kollege, zu mir. Alles klar, also bloß aufpassen, was ich hier von mir gebe. „Und wegen welcher Straftaten sitzen die hier ein?“, frage ich ihn. „Wir haben einen Totschläger. Der Rest wegen Drogen, Gewaltdelikten und auch Bandenkriminalität.“ Ich bin irgendwie erleichtert, dass er nicht gesagt hat: „Wegen Mordes.“ Und Mütsch gibt mir noch eine zweite, wichtige Warnung mit: „Du darfst nicht alles glauben. Die besten Schauspieler gibt es im Knast.“
Der Tag in der JVA Adelsheim, ist streng geregelt. Es gibt einen festen Tagesablauf für die Insassen – und dementsprechend auch für Becher. Es ist 6.15 Uhr, als er sagt: „Zuerst machen wir die Lebendkontrolle. Dazu schließen wir die Türen zu jeder Zelle auf und schauen nach einem Lebenszeichen der Insassen.“ Ich folge ihm also in den Gang, zu dessen linker und rechter Seite jeweils gelbe Metalltüren in die Wand gelassen sind. Jede einzelne wird aufgeschlossen. Ich folge Becher mit etwas Abstand und versuche einen Blick in die Zellen zu erhaschen. Das ist allerdings nicht so einfach, weil es drinnen noch dunkel ist.
Gefangene in der Überzahl
Um kurz vor sieben Uhr geht es mit den Schülern und Arbeitern ins Erdgeschoss zum Hauseingang. Handschellen tragen sie dabei keine. Das ist so üblich. Zum ersten Mal sehe ich rund 15 Insassen, die mich neugierig mustern, während ich versuche, Sicherheitsabstand zu wahren. Schließlich weiß man nie, was in den Köpfen von Straftätern vor sich geht – mögen sie noch so schmächtig aussehen. Hoffentlich passiert nichts, schließlich sind sie klar in der Überzahl, fällt mir sehr deutlich auf. Während ich also aufmerksam alles beobachte und aufpasse, dass sich niemand in meinem Rücken befindet, geht Becher voran. Ich rechne fest damit, dass mich gleich jemand dumm von der Seite anmacht, aber es passiert nichts. Stattdessen unterhalten sich die Gefangenen mit Becher, bevor zuerst die Schüler und dann die Arbeiter abrücken. Er und ich warten derweil am Haus und beobachten die Gefangenen auf ihrem Weg.
Der Weg zum Justizvollzugsbeamten
- Ein Beamter des mittleren Vollzugsdienstes ist Bezugsperson für die Gefangenen und kümmert sich in enger Zusammenarbeit mit den anderen Diensten im Justizvollzug um deren Betreuung, Beaufsichtigung und Versorgung.
- Die Ausbildung im Justizvollzug dauert zwei Jahre. Sie ist in einen dreimonatigen Einführungs- und einen fünfmonatigen Abschlusslehrgang am Bildungszentrum Justizvollzug gegliedert. Die übrigen 16 Monate werden die Auszubildenden in den Justizvollzugseinrichtungen praxisnah ausgebildet.
- Um eine Ausbildung zum Justizvollzugsbeamten zu beginnen, müssen Bewerber mindestens 18 Jahre alt sein und einen Hauptschulabschluss mit abgeschlossener Berufsausbildung oder Realschulabschluss vorweisen. Sie müssen deutsche Staatsangehörige sein und dürfen keine Vorstrafen haben.
- Das Gehalt als Justizvollzugsbeamter im mittleren Dienst erfolgt entsprechend der Beamtenbesoldung. Das Einstiegsgehalt liegt durchschnittlich bei 3000 Euro brutto monatlich. Nach erfolgreicher dreijähriger Probezeit werden die Justizvollzugsbeamten zu Beamten auf Lebenszeit ernannt. nb
Zurück im zweiten Stock geht es weiter mit der Sicherheitskontrolle der Zellen. „Die machen wir jeden Tag. Wir kontrollieren die Zellen und prüfen, ob die Einrichtung oder die Außenfassade beschädigt wurden. Außerdem suchen wir nach Waffen, beispielsweise angespitzte Zahnbürsten.“ Ich bin gespannt, schließlich kann ich mir eine Zelle nun von innen ansehen. Andererseits ist es mir auch etwas unangenehm in die Privatsphäre Fremder einzudringen.
Die Vorfreude – wenn man es so nennen kann – verfliegt allerdings, als die erste Tür aufgeht. Warme, abgestandene, stinkende Luft kommt mir entgegen. Ich sehe Essensreste auf dem Tisch, ein ungemachtes Bett, herumfliegende Klamotten und Unmengen an Tabak im gesamten Raum verteilt. Eklig.
Hier gehört auf jeden Fall mal gelüftet – und ordentlich sauber gemacht. „Das ist kein Einzelfall“, meint Becher zu mir, als der meinen Gesichtsausdruck sieht. Und er hat Recht, auch mehrere andere neun Quadratmeter großen Zellen sehen ähnlich aus. „Und dann siehst du so ein Zimmer und weißt, dass der Insasse in der Küche für alle das Essen zubereitet. Also ich würde da nichts essen“, sagt er. Ich stimme ihm gedanklich zu.
Briefe werden kontrolliert
Während die Gefangenen Großteils in der Schule und im Betrieb sind, laufen Becher und ich mit Post und Anträgen zum Verwaltungsgebäude und verteilen die einzelnen Dokumente in Fächer für die Abteilungen, für die sie bestimmt sind. Dabei sind unter anderem Anträge für Gespräche mit der Suchtberatung oder zum Geldauszahlen.
Die Justizvollzugsbeamten sind verpflichtet, die Briefe zu kontrollieren, die die Insassen versenden. Aber auch Schreiben, die ankommen, werden nach Schlüsselwörtern gescannt. „Drogen“ oder „Schnee“ sind Begriffe, die beispielsweise nicht vorkommen sollten. Nur wenn keine kritischen Inhalte im Schreiben zu finden sind, bekommen die Gefangenen eine Kopie des Briefs ausgehändigt. Eine Kopie deshalb, weil so keine synthetischen Drogen zusammen mit dem Original den Weg in die Zelle finden. Ich bin verblüfft, auf welche Gedanken manche Straftäter kommen. Außerdem würde es mir schwerfallen, in persönlichen Nachrichten von Freunden oder Familienmitgliedern zu lesen – auch wenn die Beamten das natürlich dürfen.
Es komme auch mal vor, dass ehemalige Mitarbeiter der JVA den Insassen schrieben, ergänzt Becher.
Zum Mittagessen kommen die Gefangenen wieder ins Haus. Nach dem Essen geht es für manche wieder in die Schule oder zur Arbeit. Der Rest bleibt eingeschlossen. Dann wartet auch die Mittagspause für die Justizvollzugsbeamten und mich, ehe die Schicht um 14 Uhr endet.
Ausgang ins Café
Eine Woche später treffen Becher und ich uns erneut auf dem Parkplatz der JVA. Diesmal zur Spätschicht, die bis 22 Uhr geht. „Heute haben wir einen Ausgang“, sagt er. Ich bringe die Prozedur mit Besucherausweis und Handy erneut hinter mich, bevor wir rund eine Stunde später mit einem Gefangenen zur Schleuse am Ausgang laufen. Der Insasse wird vor Verlassen des Gefängnisses kontrolliert.
Wenig später laufen wir den Weg nach Adelsheim hinunter und setzten uns beim Rewe in ein Café. Während er etwas isst, erklärt mir Becher, wie der Ausgang funktioniert: „Der erste Ausgang ist immer mit einem Justizvollzugsbeamten und dauert drei Stunden. Beim zweiten darf ein Familienangehöriger dabei sein. Dieser geht fünf Stunden. Beim dritten darf der Insasse dann acht Stunden weg.“ Wohin es dabei geht, dürfe sich der Gefangene aussuchen. „Ich war schon mal mit einem im Schwimmbad“, erinnert sich Becher.
Freizeit für 90 Minuten
Zurück in der JVA steht um 18 Uhr die Freizeit an. Dabei dürfen jeweils die Häftlinge einer Gangseite 90 Minuten aus ihren Zellen. „Sie können kochen, duschen oder gemeinsam Tischkicker oder Tischtennis spielen und sich frei auf dem Stockwerk bewegen“, erklärt mir Becher. Anschließend ist die andere Gangseite dran. Während Becher, Mütsch und ich also im Büro Platz nehmen, hört man aus der Küche immer wieder Geklapper von Geschirr, Pfannen und Töpfen. Später stehen wir mit auf dem Gang und unterhalten uns mit den jungen Männern. Selbst ich werde mit Sie und in gebrochenem Deutsch angesprochen und gefragt, was ich eigentlich genau mache.
In solchen Momenten könnte ich fast meinen, ich unterhalte mich mit „ganz normalen Leuten“. Aber nein, keiner von ihnen sitzt ohne Grund im Gefängnis, erinnere ich mich.
Als um 21 Uhr auch die zweite Freizeit vorbei ist, werden die Gefangenen in ihren Zellen eingeschlossen. Die zwei Kollegen verteilt noch Medikamente, ehe es für uns um 22 Uhr zur Pforte und raus aus dem Gefängnis geht. Nachts sind in den Häusern keine Beamten. Die drehen auf dem Außengelände ihre Runden.
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