Adelsheim. Das Kulturzentrum Adelsheim wurde am Wochenende zum Schauplatz eines besonderen Filmereignisses. Die Landesfilmschau Baden-Württemberg, die ihr 30-jähriges Bestehen feiert, machte auf ihrer Tour durch das Land auch in Adelsheim Halt.
Gemeinsam mit dem Kinomobil Baden-Württemberg brachte sie fünf außergewöhnliche Kurzfilme in die ländliche Region und bot Filmfreunden sowie prominenten Gästen die spannende Möglichkeit, selbst über den Gewinner des ersten baden-württembergischen Publikumsfilmpreises in der Kategorie Kurzfilm abzustimmen.
Die präsentierten Filme stammen von jungen Filmschaffenden der Filmakademie Baden-Württemberg und der Hochschule der Medien, die mit ihren innovativen und kreativen Werken beeindruckten. Die Veranstaltung bot somit nicht nur cineastische Unterhaltung, sondern auch einen Einblick in die Talente der nächsten Generation des deutschen Filmschaffens.
Die Idee hinter der Kooperation mit dem Kinomobil ist so einfach wie wirkungsvoll. Denn Filmkultur ist nicht nur etwas für Großstädte, wie Oliver Mahn, Festivalleiter der Filmschau Baden-Württemberg, in seiner Eröffnungsrede deutlich machte. Auch in ländlichen Regionen gibt es ein Interesse an kulturellen Angeboten, doch die Möglichkeiten sind oft begrenzt.
In einem kurzen Gespräch mit Peter Hauk, Minister für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz, und Adelsheims Bürgermeister Wolfram Bernhardt wurde die Bedeutung solcher Projekte für die kulturelle Teilhabe in ländlichen Regionen hervorgehoben.
„Auf dem Land ist Kultur oft Selfmade – in Vereinen wie Musik- oder Theatergruppen“, betonte Hauk. Dabei sei es wichtig, dass auch Angebotskultur die Menschen auf dem Land erreicht. Projekte wie das Kinomobil Baden-Württemberg leisten hierbei einen wertvollen Beitrag, indem sie kulturelle Brücken baut – zwischen Stadt und Land. Aber auch zwischen den Filmemachern und einem Publikum, das vielleicht nicht regelmäßig die Gelegenheit hat, solch hochwertige Produktionen zu sehen.
Auf die Frage von Mahn, was der urbane Raum im kulturellen Bereich von der ländlichen Region lernen könnte, antwortete Hauk, dass es auf aktive Kultur ankomme: „Das bedeutet, selbst anzupacken, Eigeninitiative zu zeigen und Kultur nicht nur zu konsumieren, sondern aktiv zu schaffen.“
Dann erloschen die Lichter, und, „Nur wir zwei“ von Olga Alexandra Müller, ein deutsch-russischer Kurzfilm, startete. Er entführte das Publikum in die Welt der zehnjährigen Zoya, die erst seit wenigen Jahren mit ihrer Mutter in Deutschland lebt. Während diese ihre Leidenschaft für Basketball auslebt, fühlt sich ihre Tochter oft unzulänglich – auf dem Spielfeld und in ihrer Beziehung zur Mutter. Unterstützt von ihrer Plüschmaus Mischka, die mit der Stimme ihres Großvaters zu ihr spricht, findet Zoya ihren Weg zwischen familiären Konflikten und dem Wunsch nach Nähe. Müllers einfühlsame Inszenierung, geprägt von eigenen Erfahrungen als Einwanderin, verlieh dem Film eine Authentizität, die das Publikum in ihren Bann zog.
Weiter ging es mit „Ich bin der Architekt meines Lebens“ von Ares Ceylan. Der Kurzfilm erzählt die Geschichte von Aaron, einem Life-Coach, dessen perfekt inszeniertes Leben während eines Seminars ins Wanken gerät. Als ein Erdbeben seine scheinbar perfekte Welt erschüttert, sucht er Halt in einer Gruppe von Verschwörungstheoretikern, was ihn zunehmend in Konflikt mit seiner Schwester bringt. Der Film beleuchtet die Zerbrechlichkeit von Selbstinszenierung und die Dynamik von Radikalisierung, ergänzt durch visuell eindrucksvolle Musical-Elemente. Ceylan, dessen Werke bereits auf internationalen Festivals Anerkennung fanden, verbindet emotionale Tiefe mit gesellschaftlich relevanten Themen und beeindruckt mit seiner präzisen Erzählweise.
Romina Küpers Kurzfilm „Das ist keine Figur, das ist Verrat“ erzählt von der Friseurin Melanie, die ihren Sohn Stefan zu seiner ersten Lesung begleitet. Während der Fahrt geraten die beiden in ein Spannungsfeld aus Klassenscham, familiären Konflikten und der Suche nach Identität. Während Stefan mit den Themen seines autobiografischen Romans hadert, fühlt sich Melanie zunehmend fremd in der Welt ihres Sohnes. Mit einer eindringlichen Inszenierung zeigt Küper, wie Herkunft und soziale Unterschiede Beziehungen prägen und belasten - bis hin zur Eskalation im Literaturhaus. Die Geschichte vereint persönliche Konflikte mit gesellschaftlicher Relevanz und zeigt die doppelte Scham über die eigene Herkunft und deren Abgrenzung.
Nach einer Pause, in der der Verein „Adelsheim Leuchtet“ für die Bewirtung sorgte, kehrte das Publikum gespannt auf seine Plätze zurück. Der nächste Film – „Deutsche Sprache, schwere Sprache“ – von Sejad Ademaj erzählt mit schwarzem Humor die Geschichte von Theo, dem Leadsänger einer Nazi-Band, der nach einem Unfall nur noch Arabisch sprechen kann. Um beim wichtigsten Konzert seines Lebens wieder auf Deutsch singen zu können, zwingt er den Unfallverursacher und Arzt Mahmoud, ihm die Sprache „zurückzugeben“. Der Film bricht bewusst mit Erwartungen und wirft einen provokanten Blick auf Themen wie Vorurteile, Sprache und Identität. Ademaj inszeniert die skurrile Handlung mit bissiger Schärfe und regt dabei gleichzeitig zum Lachen und Nachdenken an.
Den Abschluss bildete „Ausgeliefert“ von Mauriz Thabo Röckle, eine Geschichte von Schempp, einem arbeitslosen Hobbymaler, der seinen Alltag allein mit einem Pflanzensprössling als einzigem Vertrauten bewältigt. Als ehemaliger Postbote hegt er einen tiefen Groll gegen seinen Nachfolger, einen effizienten Postroboter, und beschließt, diesen zur Rede zu stellen. Was als Konfrontation beginnt, entwickelt sich zu einer unerwartet emotionalen Begegnung, die zeigt, wie Mensch und Maschine mehr verbindet, als sie trennt. Röckle inszeniert mit einem feinen Gespür für komödiantische und ernste Momente zugleich eine berührende Geschichte, die die Grenzen zwischen Technologie und Menschlichkeit hinterfragt und gleichzeitig zum Schmunzeln anregt.
Dann war es so weit: Alle fünf Kurzfilme hatten das Publikum auf ihre ganz eigene Weise beeindruckt – sei es durch berührende Geschichten, nachdenkliche Botschaften oder überraschende Wendungen. Mit Themen wie Familie, Identität, Digitalisierung und gesellschaftlichen Umbrüchen spiegelten die Filme den Puls der Zeit wider. „Die Filme waren so vielfältig, dass es gar nicht leicht war, einen Favoriten zu wählen“, brachte eine Zuschauerin die Herausforderung auf den Punkt. Dennoch lag die Wahl in den Händen des Publikums, das jeden Kurzfilm mit einer Schulnote bewertete. Die Stimmen aus Adelsheim fließen nun in die landesweite Wertung ein, deren Sieger bei der feierlichen Preisverleihung am 8. Dezember in Stuttgart bekannt gegeben wird.
Nach der Abstimmung standen Oliver Mahn, Bürgermeister Wolfram Bernhardt und Yannick Tessenow, Geschäftsführer des Kinomobil, für Fragen und Gespräche rund um Filmkultur zur Verfügung. Dabei wurde deutlich, wie wichtig Veranstaltungen wie die Landesfilmschau für den ländlichen Raum sind – und gleichzeitig, welche Herausforderungen sie mit sich bringen.
„Was ist uns Kultur noch wert?“, fragte Bernhardt und lenkte den Blick auf die schwierige Finanzierung, die gerade im Kulturbereich oft von knappen Budgets geprägt ist. Dennoch herrschte Optimismus: Solche Initiativen sollen auch in Zukunft unterstützt und weiter ausgebaut werden, um kulturelle Teilhabe flächendeckend zu ermöglichen.
Großartiges Erlebnis
Das Publikum zeigte sich begeistert. „Solche Filme sieht man eigentlich nie. Es war ein großartiges Erlebnis, direkt vor der Haustür hochwertige Produktionen zu erleben und selbst Teil der Jury zu sein“, resümierte ein Besucher. Die Landesfilmschau Baden-Württemberg bewies an diesem Abend eindrucksvoll, wie viel kreatives Potenzial im Land steckt und wie wichtig es ist, dieses sichtbar zu machen – auch abseits der großen Städte.
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