Ludwigshafen. Wie viel Kunst und Kultur braucht eine Gesellschaft? Und was passiert mit uns, unseren Umgangsformen und unserer Debattenkultur, wenn wir Kulturräume schließen? Diese Frage hat uns in den Hochzeiten der Corona-Pandemie um- und teilweise sogar auf die Straßen getrieben. Wir haben für den Erhalt von Kulturstätten demonstriert, für arbeitslose Musiker Geld gesammelt und unsere Filmabende ins Freie verlegt.
Nach der Pandemie haben wir die großen Festivals wieder zu schätzen gewusst. Gleichzeitig mussten wir zusehen, wie es viele kleine Betriebe, Programmkinos und Theatervereine nicht geschafft haben, mit ihrer Kunst zu überleben.
In unserer Redaktion diskutieren wir täglich darüber, welche Kulturveranstaltungen wir begleiten. Unsere Reporter können nicht überall gleichzeitig sein – beim Unfall, bei der Demo, im Theater. Die Menschen wünschen sich Kulturberichterstattung, gleichzeitig nehmen sie sich selbst immer weniger Zeit zum Lesen ausgeruhter Berichte. Manchmal fehlt auch einfach das Geld für Kunst und Journalismus.
Dabei ist es gerade in diesen Zeiten wichtig, sich nicht nur dann zu versammeln, wenn man gemeinsam gegen eine Sache sein kann. Wenn die Wut tief und die Zunge locker sitzt.
Viel schöner ist es doch, nach den Gemeinsamkeiten zu suchen und nach der Haltung in der Unterhaltung. Wie das gehen kann, macht das Festival des deutschen Films vor. Mit einer kleinen Panne beim Ticketsystem, die die Menschen aber dazu zwingt, mit bis dato fremden Nachbarn ins Gespräch zu kommen, vor allem aber mit gleich mehreren Eröffnungsreden. „Egal, wo wir politisch stehen, was nicht geht in einer Gesellschaft ist, dass eine Oberbürgermeisterin persönlich angegriffen wird und mit übelsten Bedrohungen zu kämpfen hat.“ Für diesen Satz erhielt der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Alexander Schweitzer mehr Applaus, als die Hauptdarstellerin des Eröffnungsfilms.
Wenn wir uns auch nach dem Abspann eines Films häufiger daran erinnern, dass unser Zuhause mehr ist, als das eigene Wohnzimmer und dass wir auch auf unserem Sofa keine Beleidigungen und Hassparolen dulden würden, ja dann haben Kunst, Kultur und unsere Demokratie vielleicht noch eine echte Zukunft.
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Fränkische Nachrichten Plus-Artikel Kommentar Kultur ist immer politisch – auch beim Filmfest in Ludwigshafen
Das Festival des deutschen Films in Ludwigshafen ist in diesem Jahr besonders politisch. Miriam Scharlibbe sagt, warum wir alle nach mehr Haltung in der Unterhaltung suchen sollten.