Das Wichtigste in Kürze
Weil Österreich um seine Neutralität fürchtete, baute die Republik Abwehranlagen. Ein kleines Museum auf dem Wurzenpass erinnert daran
Mannheim. Eine kleine Infotafel, ein kleiner Wegweiser am Straßenrand der B 109 auf dem Weg über den Wurzenpass von Villach in Kärnten nach Slowenien – mehr weist zunächst nicht hin auf die museale Besonderheit, die hier verortet ist: eine Bunkeranlage mit Geschützstellungen, die nicht während der Kriegsjahre, sondern erst in der Nachkriegszeit errichtet wurden. Genauer: Von 1962 bis 1995 wurde diese „Sperrstellung WURZEN/73“ ausgebaut, und sie war bis zum Jahr 2002 einsatzbereit.
Warum das? Nun, auf Neutralität als Status kann sich ein Staat in Europa kaum verlassen, das bewies der vorangegangene Zweite Weltkrieg. Das mit dem Staatsvertrag von Mai 1955 befreite und neutral gewordene Österreich bangte daher verständlicherweise um seinen Frieden und befolgte die berühmte lateinische Regel „si vis pacem para bellum“ – wenn du Frieden willst, bereite dich auf Krieg vor.
Die militärische Schwachstelle in den Karawanken
Allein auf dem Wurzenpass errichtete das Land sechs Sperren: zwei Sprengstoffladungen unter der B 109, wovon eine sogar bis 2006 funktionsfähig war, eine Panzerigel-Sperre und drei größere Sperren mit 64 Schachtanlagen und weiteren neun Panzerigel-Sperren.
Schließlich war der Wurzenpass derjenige Übergang über den Gebirgszug der Karawanken, der am leichtesten überwunden werden konnte, hätten Truppen des Warschauer Paktes während des Kalten Kriegs einen Angriff geplant. Erst 1991 wurde der Karawankentunnel eröffnet und legte die Touristenroute ins ehemalige Jugoslawien unter die Erde. Nachzulesen ist das alles in der opulenten wie kundigen Dissertation „Sperren, Bunker und Stellungen: Österreichs Landesbefestigung im Kalten Krieg (Fokus: Zone 73)“ von Andreas Scherer. Er ist der letzte Kommandant der „Sperrstellung WURZEN/73“ und Initiator und Betreiber des Bunkermuseums Wurzenpass/Kärnten.
Überlebenschance null – und zwar geplant
„Wanderer, kommst du nach Sparta, verkündige dort, du habest / Uns hier liegen gesehn, wie das Gesetz es befahl“. Friedrich Schillers Würdigung der 300 Männer, die einst am Thermopylen-Pass im antiken Griechenland dem Einfall der Perser zu trotzen versuchten und dabei ihr Leben opferten, hätte auch für die knapp 30 Männer gelten können, die am Wurzenpass stationiert waren. Überlebenschance: null, und zwar geplant. Ein etwaiger Vorstoß von Warschauer-Pakt-Soldaten hätte dort bestenfalls behindert werden können, um verbündeten Truppen Zeit zu verschaffen, aber aufzuhalten wäre er nicht gewesen.
Und weil die Geschützstellungen fest installiert und damit unschwer zu verorten sind, wären die österreichischen Soldaten am Wurzenpass ein heldenhaftes Todeskommando zugunsten der Freiheit des Westens geworden. Museumsleiter Scherer betont das mit Nachdruck, denn dem früheren Oberst des höheren militärfachlichen Dienstes geht es nicht um Militarismus und Waffenbegeisterung, sondern im Gegenteil um Mahnung: wahre den Frieden, meide den Krieg, schütze das Leben.
Jede Sekunde ist begleitet von Todesangst
Das ist auch das Motto für das besondere Angebot einer Fahrt im Schützenpanzer – bei geöffnet bleibenden Luken, um Panik im Dunkeln des Kriegsgefährts zu vermeiden. Während der ersten Runde lässt sich im Stehen noch die Strecke betrachten, doch während der zweiten Runde im Sitzen, bei Geruckel und Geschaukel und nicht erkennbarer Piste, wenn es plötzlich bergab und dann wieder bergan geht, versetzt man sich besser nicht allzu sehr in die Ängste der Soldaten, die nicht wissen, ob ihr Fahrzeug getroffen, ob sie beim Einsatz erschossen, ob und wer von ihnen lebend zurückkehrt. Ein Himmelfahrtskommando.
Friedensbemühungen im Bewusstsein der Kriegsgefahr
Es ist nicht sehr weitläufig, das 11 400 Quadratmeter Areal des Bunkermuseums. Mehrere Rundwege führen durch die Anlage, zu Schützengräben und Gefechtsstellungen, in einige der mehr oder weniger gut erhaltenen Mannschaftsunterkünfte. Klappbetten, Gewehrständer, Bollerofen, so etwas wie WCs – bis zur Freigabe durch das Militär Anfang der 2000er Jahre haben auf dem Gelände noch regelmäßig Reservisten trainiert.
Und den Ernstfall gab es auch mehrmals: 1967, als sich Österreich verpflichtete, im damaligen Südtiroler Freiheitskampf den Mitgliedern des als terroristisch eingestuften Befreiungsausschusses Südtirol (BAS) den Rückzugsweg zu verwehren. 1968, als der Einmarsch des sowjetischen Militärs den Prager Frühling beendete; 1991, bis nach dem Zehn-Tage-Krieg die jugoslawischen Truppen abrückten und sich Slowenien im Juni des Jahres für unabhängig erklärte.
Anreise und Informationen
- Lage: Das Bunkermuseum liegt unmittelbar an der B 109, die von Villach in Kärnten zur österreichisch-slowenischen Grenze führt.
- Zugang: Von dem kleinen Parkplatz an der B109 sind es keine zehn Minuten zu Fuß zur Bunkeranlage. Von einem entfernteren Parkplatz gibt es einen kostenlosen Shuttle (+43-681-84 46 59 67).
- Öffnungszeiten: Von Mai bis Oktober an Wochenenden, im Juli/August auch unter der Woche. Jeweils 10 bis 18 Uhr, am besten unter www.bunkermuseum.at überprüfen.
- Eintritt: 9 Euro, ermäßigt 7,50 Euro; Auszubildende und Rentner 6,60 (5,50), Schüler 3,50 (3 Euro). Freier Eintritt mit dem Kärntner KulturPass.
- Extra: Angeboten wird überdies eine kurze Fahrt in einem Schützenpanzer (10 Euro) sowie unter anderem schmackhaftes Kanonengulasch aus einer mobilen Militärfeldküche.
- Anschrift: Bunkermuseum Wurzenpass in Kärnten, Krainberg 73, 9587 Riegersdorf, Österreich.
Unter der Oberfläche des Friedens war die Abwehr der Kriegsgefahr immer präsent. Und Museumseigentümer Scherer betont auch, dass noch immer nicht alle Dokumente des österreichischen Militärs zu den damaligen Abwehrplänen freigegeben sind.
Konnte er mit Sondergenehmigung über die Bunkerstellungen forschen, gibt es noch allerlei Mutmaßungen, wie sich die Republik gegen den Ernstfall hätte wappnen wollen – gegen einen Einmarsch aus Tschechien südlich des Böhmerwaldes – in Deutschland Bayerischer Wald genannt – möglicherweise durch die großflächige Flutung von Oberösterreich und Niederösterreich mit Hilfe der Donau.
Sammlung militärischen Geräts aus Ost und West
Der Mensch ist schon ein komisches Wesen. Wie viel besser könnten Kraft und Wissen eingesetzt werden, müssten sie nicht auf Kriegsgüter verwendet werden?
Hier stehen sie herum, auf dem Areal des Bunkermuseums, die Zeugen der menschlichen Unfähigkeit zu einem friedlichen Zusammenleben: Panzertürme, Infanterie-Stellungen, Flieger- und Abwehrbunker, Panzerkuppeln mit Maschinengewehr, Kommandobunker, Aggregatbunker, Unterstände.
Und weil der Wurzenpass im Dreiländereck Österreich, Italien und Slowenien liegt und damit an der Schnittstelle auch zwischen slawischer, germanischer und romanischer Kultur, und weil seinerzeit die vier Besatzungsmächte USA, Frankreich, Großbritannien und Sowjetunion in Österreich präsent waren, finden sich Waffensysteme aus mehreren politischen Systemen und Kulturen: der russische T-34-Kampfpanzer genauso wie Granatwerfer, Feldhaubitzen, Feldkanonen, Maschinenkanonen, Panzerkanonen, Fliegerabwehrkanonen, Infanterie- und Panzersperren, sieben Bunker, Tarnhütten, Latrine, Scheinanlagen. Die Geschützstellungen zum Beispiel waren einst unter Almhütten verborgen – auch eine solche Tarnhütte ist dort zu sehen.
Was bis 2002 bestand, steht unter Denkmalschutz
Der Bestand bis 2002 steht unter Denkmalschutz, ab 2005 kamen weitere Sammlungsbestände hinzu, nicht zu vergessen Militärfahrzeuge, Panzerhaubitzen, Panzerjäger, Jagdpanzer und schließlich der besagte Schützenpanzer. Wie selig die Menschen, denen dieses Arsenal an Waffentypen unbekannt ist und die keine Vorstellung von den Grauen des Krieges haben.
Es ist ein kleines, übersichtliches Areal, auf dem sich aber die Schrecken des Krieges und der Finsternis konzentrieren. Es ist, wie Scherer in seiner Dissertation schreibt, „die österreichweit einzigartige, umfangreichste und räumlich dichteste, im Kernareal durch Kampf- und (teils tunnelartige) Verbindungsgräben mit integrierten Kampfstellungen vernetzte Sperrstellung (samt vorbereiteten Sperren), in der fast alle verschiedenen Bunkertypen Österreichs errichtet wurden.“ Und als solches ist es ein Mahnmal gegen Krieg und eine wertvolle Station auf dem Weg der Urlauber aus Deutschland an die Ostküste der Adria.
URL dieses Artikels:
https://www.fnweb.de/leben_artikel,-zeitreise-ueberlebenschance-null-oesterreichs-vergessene-bunker-in-den-bergen-_arid,2310295.html