Konzert

Jazz ist tot – es lebe Black Music

Das Theo Croker Quartett beim Hafensommer in Würzburg

Von 
Ulrich Rüdenauer
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Mit dem Begriff Jazz kann Theo Croker nichts anfangen. Das teilt er mit einigen anderen Schwarzen Musikern. Der Saxophonist Archie Shepp sagte einmal, Jazz sei wie „Kleenex, Marlboro oder Coca Cola – meiner Einschätzung nach eine kommerzielle Idee. Ich rede nicht über Jazz, sondern über afroamerikanische Musik.“ Theo Croker empfindet die Genre-Bezeichnung Jazz als einengend; sie werde genutzt, wie er einmal in einem Interview ausführte, um Schwarze Musik und intellektuelle, kreative Schwarze Künstler kategorisieren und damit kontrollieren zu können: eine Form der Unterdrückung mit anderen Mitteln.

Was Louis Armstrong, Miles Davis oder John Coltrane hervorgebracht hätten, sei schlicht moderne Musik. „Jazz is Dead“ heißt dementsprechend eines von Crokers emblematischen Stücke, das er auch beim Würzburger Hafensommer spielte: Ein über einem schweren, treibenden Beat von seinem sanften, warmen Trompetenton eingeleiteter Song, der in eine Rap-Kaskade übergeht: „Jazz is dead / We don’t give a fuck what they said / For this music only our people bled / I’m owning all my masters, hear me Jazz is dead.“ Nur unsere Leute, insistiert Theo Croker, haben für diese Musik geblutet.

Der 1985 in Florida geborene Trompeter, Komponist und Sänger weiß, wovon er spricht. Sein Großvater war der legendäre Doc Cheatham, der als Trompeter an der Geschichte Schwarzer Musik mitgeschrieben hat. In den 1920er Jahren trat er mit Bessie Smith auf, später mit Cab Calloway, Teddy Wilson oder Benny Carter. Der kleine Theo lernte von ihm einiges. Und natürlich von seinem anderen Lehrer Donald Byrd sowie der Mentorin Dee Dee Bridgewater. In „Jazz is Dead“ zeigen sich die beiden Seiten von Croker: Da ist zum einen dieser wirklich an die großen Trompeter wie Miles Davis angelehnte, glasklare, eine riesige emotionale Skala aufreißende Ton, der auf große Traditionen verweist und das klassische Jazz-Idiom meisterlich gegenwärtig macht, zudem eine immense spirituelle Dimension aufweist.

Reizvolle Unbändigkeit

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Zum anderen ist da aber eine ästhetisch reizvolle Unbändigkeit, die Lust, alle möglichen Schwarzen Musikgenres ganz organisch in das eigene Repertoire einzubinden, von Hip-Hop über Funk, Soul bis zu aktuellem R&B. Was nicht nur eine sehr zeitgenössische, vibrierende Melange erzeugt – auch dank einer grandiosen und grandios-variablen Band mit Ashley Henry an den Keyboards, Eric Wheeler am Bass und Michael Shekwoaga Ode am Schlagzeug (Croker bedient zudem noch allerlei elektronische Apparaturen und singt und rappt).

Spätestens auf den zuletzt erschienenen Alben „BLK2LIFE // A Future Past“ und „Love Quantum“ offenbart sich vor allem auch eine politische Ebene, das wachsende Bewusstsein für Schwarze Geschichte, Fragen der Identität und des fortdauernden Rassismus, die Erinnerung an afrofuturistische Konzepte. Auch hier dockt er sich an afroamerikanische Positionen an, die spätestens Mitte der 1960er Jahre an Gewicht gewonnen haben. Das alles im Hinterkopf, fügen sich die verschiedenen Soundvisionen Theo Crokers auf fantastische Weise ineinander, auch live ist das ein mitreißendes Ereignis. Mit kleinen Einschränkungen: Das Quartett von Theo Croker übernahm den ersten Teil des Abends, als die Dämmerung noch gar nicht eingesetzt hatte. Man hatte das Gefühl, dass sich die dichten Sounds ein wenig im Würzburger Hafen verloren, dass die durch einen Wassergraben gezogene Grenze zwischen Publikum und Bühne nicht so recht aufgehoben wurde. Dazu funkten während des Auftritts dumpf die Beats einer in der Nähe stattfindenden Party dazwischen, sie mischten sich immer ein bisschen unter die elaborierte Musik Theo Crokers, was den Spaß ebenfalls minderte.

Es war auch nicht klug, die noch nicht lange existierende, aus gestandenen Musiker und Musikerinnen n bestehende Band „Black Lives“ als zweites, quasi als „Hauptact“ auftreten zu lassen – auch wenn inhaltlich die Zusammenstellung des Programms durchaus Sinn ergab. Der Name des Kollektivs, das sich während des Lockdowns in Brüssel als eine Art Selbsthilfe- und Aktivismus-Projekt zusammenschloss und bislang ein Album veröffentlichte, rekurriert natürlich auf die „Black Lives Matter“-Bewegung. Allerdings ist es musikalisch eher ein etwas zu bunter Gemischtwarenladen – gleich der Opener war eine Mischung aus politisch aufgeladenem Rap („We are Black survivors of white destruction“) und einer an die schlimmsten 70er-Jazz-Rock-Fusion-Experimente erinnernde Musik. Von karibischen Rhythmen über Soul und Afrobeat und Jazz und Rock und Funk ist bei Black Lives alles möglich, aber auch irgendwie willkürlich verknüpft.

Es war nicht verwunderlich, dass sich zum zweiten Teil des Abends die Sitzreihen schon merklich geleert hatten. Die meisten Zuhörerinnen und Zuhörer waren eben doch wegen Theo Croker gekommen, und das ganz zu recht.

Freier Autor

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