Zum Thema der Überschrift kommen wir noch. Aber wie jede philosophische Schrift, so braucht auch mein Elaborat eine Einleitung. Also: Ich lese manchmal in Philosophie-Büchern rum. Ich sage das so, weil ich in meinem Leben tatsächlich keinen Kant, Schopenhauer, Heidegger (igitt) oder Adorno von vorn bis hinten durchgelesen habe. Bei Kant hatte ich fast immer nach dem Vorwort schon Lust, in den Garten zu gehen und eine deutsche Eiche oder sonst was zu zerkleinern. Neulich habe ich mal wieder die „Kritik der reinen Vernunft“ aus dem Regal gezogen (keine Angst: Meine Familie hat das überlebt). Auf Seite 1 steht: „Stefan Dettlinger, 30.12.87.“
Sicherlich war ich damals, vor 34 Jahren, stolz, Kant zu lesen. Ich war 22 (Achtung: Das heißt nicht, dass ich jetzt 56 bin)! Der Text startet mit einem Lateinzitat: „De nobis ipsis silemus“, was so viel heißt wie: Was uns selbst angeht, so schweigen wir. Natürlich: Kant schweigt dann nicht. Die ersten 60 der 725 Seiten sind Vorreden und Einleitung. Über die Hälfte des Textes habe ich damals akribisch unterstrichen. Ich habe sichtlich mit Kant gekämpft, aber dann verstanden: Er, der große Vernunftspropagandist, ahnt, dass es etwas jenseits der Ratio geben muss, das alles Vermögen menschlicher Vernunft übersteigt, etwas Metaphysisches, das die Frage nach dem Grund der Welt, des Seins und Endes beantworten kann.
Natur? Gott? Göttinnen? Okay, das ist jetzt sehr verkürzt, aber bringen Sie mal 725 Philosophie-Seiten ins geistige Nano-Format.
In Schriften von Philosophen gehe ich auf Spurensuche nach Deutungsansätzen, um die Welt besser zu verstehen, oder um meinen beschränkten geistigen Horizont zu erweitern, oder um das, was ich schon denke, treffsicherer in Wörter packen zu können. Kant war mir dabei nicht behilflich. Etwas, was mir vor Kant klar war, war nach Kant unklar. So einfach ist das. Der Typ konnte einfach nicht schreiben. Punkt.
Ja, das ist respektlos. Aber ich bin ja bekanntlich der Meinung, dass man sich über alles und jede auch lustig machen darf, außer Allah und Mohamed (und mich selbst). Auch Philosophen.
Was Werktitel von Philosophen angeht, finde ich das jüngste Werk des Hegelianers Slavoj Zizek unschlagbar: „Sex und das verfehlte Absolute“. Darin geht es natürlich auch um „Verkehr“ und so Sachen. Es ist ein „Exkurs über den dialektischen Materialismus“ und liefert „eine Ontologie (also Lehre vom Sein) der Gegenwart“. Auch Philosophen können an Gott glauben. Und so, wie Kant durch das Phänomen des Nicht-Erklärbaren metaphysische Ahnungen hatte, zitiert Zizek Peter Sloterdijk, der die orgiastische Erfahrung in der Rolle sieht, uns „einen ontologischen Gottesbeweis“ zu liefern: „Im Erleben des Orgasmus kommen wir Menschen mit dem Absoluten in Berührung.“ Gott! Zizek tut das aber als „obskurantistische New-Age-Spekulation“ ab. Es ist lustig, wenn Philosophen streiten.
Ich finde, wir sollten mehr in philosophischen Bücher rumlesen. Philosophen sollten besser schreiben. Und Zizek ist auf einem guten Weg. Sein Buch hat fast 200 Seiten weniger als das von Kant …
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