Zeitzeichen Verzerrte Wahrnehmung

Ungenaue Wahrnehmungen können mehr oder weniger segensreich wirken. Unser Kolumnist erläutert das mit wissenschaftlichen Beispielen.

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Thomas Groß
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Zu den kreativen Elementen im Wissenschaftsbetrieb zählt nicht zuletzt die sprachliche Erfindung, denn ein näher untersuchtes Phänomen gilt es auch mit einem griffigen Namen zu versehen. Haben Sie schon einmal von „altersbedingter positiver Verzerrung“ gehört? Das Gegenteil wäre vielleicht noch leichter zu verstehen, denn ganz gut könnte es als „altersbedingte negative Verzerrung“ bezeichnet werden, wenn viele junge Menschen sehr skeptisch in die Zukunft blicken (Stichwort „no future“) oder Ähnliches bei Älteren und Alten zu beobachten ist, die etwa meinen, dass früher ohnehin alles besser gewesen sei.

Tatsächlich ist dieser Ausdruck aber vor allem auf ältere Menschen gemünzt, die mit dem Altern verbundene Prozesse als sehr negativ bewerten. Bei diesen Zeitgenossen, so könnte man nun meinen, ist die Gelassenheit noch nicht groß genug, um auch dem Altern positiv gegenüberzustehen. Jene gute Sache also, die mit dem Alter (oft) zunimmt, ist hier anscheinend noch nicht ausgeprägt genug.

Hat die Gelassenheit womöglich auch negative Seiten?

Die „altersbedingte positive Verzerrung“ wirft hingegen auch ein negatives Licht auf die Gelassenheit. Gemeint ist mit dem von Wahrnehmungsforschern geprägten Ausdruck, wie wir einem der Wissenschaft verpflichteten Medium entnehmen, dies: Ältere Menschen unterschätzen leicht die Intensität der Gestimmtheit ihrer Mitwelt.

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Wenn jemand beispielsweise ausgesprochen ungünstig in der Gegend herumsteht oder in einer sich fortbewegenden Menge urplötzlich stoppt und dann fragt: Bin ich Ihnen im Weg? - dann hat dieser Jemand offensichtlich nicht nur das eigene Handeln nicht richtig eingeschätzt, sondern auch die Emotionen der Mitmenschen, die dann eher wortlos mit den Augen rollen, statt sich um noch einen Rest von Takt bezeugende Worte zu bemühen. Es kommt vor, dass Ältere die Wut ihres Gegenübers als kleine Gereiztheit abtun. Wenn man diesem Gegenüber nun etwas vom Wert und Nutzen der Gelassenheit erzählen wollte, so fährt die Person vielleicht endgültig aus der Haut.

Redaktion Kulturredakteur, zuständig für Literatur, Kunst und Film.

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