Caro schwärmt. Das muss man erwähnen. Passiert nicht oft. Aber jetzt, – mitten im Tortellini-in-brodo-Rausch (sie schlürft, natürlich, wie soll man Brühe auch sonst konsumieren!) – jetzt redet sie sich in Ekstase. Schwärmt von ihrem Wochenende mit dieser ominösen Freundin aus Port Elizabeth, – Port Elizabeth! – die natürlich keiner von uns kennt. Bela, vielleicht nicht ewig, aber mal wieder auf Krawall gebürstet, wirft sofort den Anker: „Bitte keine Details.“ Das sitzt. Alte Wunden reißen auf, als hätte jemand mit Absicht am Schorf gekratzt.
Und ich: sofort zurückkatapultiert in den Spätsommer 2022. Drei Jahre jünger. Damals, am 19. September, als Bela Caro anfuhr. Diese ganze Öko-Nummer, die sie immer fahre – alles nur Fassade, höre ich Bela in meinem Kopf. CO₂-Bilanz im Keller, weil Madame mal eben nach Südafrika jette. „Was weiß ich, was ihr da macht“, raunzte er, mit diesem Unterton, der mehr meinte als sagte. Homosexualität? Das stand im Raum. Irgendwas zwischen Frage und Vorwurf. Caro? Hat dazu nie was gesagt. Muss sie auch nicht. Aber jetzt, im Hitzeflirren, schwärmt sie weiter.
„Blasen sind wie diese alten Telefonzellen“
Ich sitze, höre, denke: Blase, denke ich, leben wir alle in einer verdammten, hermetischen Blasenwirklichkeit? Man sitzt da, in seiner blasierten Selbstbestätigungszelle wie in einem dieser viel zu teuren Hipster-Cafés, in denen die Hafermilch-Latte das Ticket ist und die Gespräche wie ein ständiges Pingpong aus Referenzen, Witzen und Zitaten funktionieren. Man weiß, was die andere meint, noch bevor sie es sagt – und das ist ja auch das Problem. Ökos unter Ökos. Akademiker unter Akademikern. Komponisten unter Komponisten. Junge, Alte, Türken, Weiße – alle im eigenen, fein ziselierten Aquarium, die gleichen Witze, das gleiche Einkommen, die gleichen Sorgen, die gleiche Empörung, und alle nicken und nicken, als hätte man einen kollektiven Nackenschaden. Oder Parkinson.
Das gab auch früher, denke ich, lange vor Facebook. Drinnen – da sitzt das Gute, und draußen – da sind die anderen, die mit den fremden Meinungen, den unverständlichen Vorlieben, den falschen Fernsehsendern, Werten, Marken, Klamotten, Bekenntnissen und Zähnen. Das Außen ist nur Kulisse, ein Nebel, durch den gelegentlich ein irritierendes Geräusch dringt, das man nicht zuordnen kann. Und so bleibt man, wohlig eingekapselt, im inneren Monolog.
Was hat mich heute geritten, frage ich mich. Ich. Bin. Fatalistisch. Und plötzlich, ich höre gerade wieder das Schlürfen von Caros Tortellini-in-brodo-Rausch, trifft mich Glück. Es ist wie helles Licht. Ich denke: Wow, meine kleine Bande, Alya, Bela, Caro, ich, wir sind keine Blase, wir sind ein wilder Haufen an Meinung, Lebensstil und Bekenntnis. Und wir müssen, wollen wir die Welt retten, alle raus aus den Blasen, Blasen sind gefährlich fürs Land, das krank ist und auseinanderdriftet! Blasen sind wie diese alten Telefonzellen: Man hört nur, was drinnen gesprochen wird, draußen ist Rauschen. Und Alya, Bela und Caro. Sie streiten. Wie schön!
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Fränkische Nachrichten Plus-Artikel Kolumne #mahlzeit Geht raus aus euren Blasen!
Kolumnist Stefan M. Dettlinger driftet mitten in Caros Schwärmerei über ihr Liebeswochenende ab in ein fatalistisches Fantasieren über das Leben in Blasen.