Zugegeben, ich war in Dubai. Ich bin 4850 Kilometer hin- und 4850 Kilometer zurückgeflogen, habe von rund 111 Stunden dort gefühlt 100 in klimatisierten Räumen und Autos verbracht und habe mich also unmoralisch verhalten. Es war egoistisch, die Einladung einer Kulturstiftung aus der insularen Geldwaschanlage Malta anzunehmen. Aus Sensations- und Abenteuerlust. Auch aus journalistischer Neugier.
Je nach Rechenmethode habe ich dafür per A-380 drei bis vier Tausend Kilogramm CO2 in die Luft geblasen. Ich erröte. Um das auszugleichen, wird das Jüngste Gericht nach meinem Ableben entscheiden, dass ich über meinen Tod hinaus in der Hölle Rad fahren muss. Immer die 4850 Kilometer nach Dubai. Und zurück. 9700 Jahre lang. Die Aussichten im Jenseits sind verführerisch.
Alles sprach gegen diese Reise. Neben der CO2-Bilanz von Flug und Kühlanlagen die monarchische Struktur, die religiöse Praxis, die Menschen- und Frauenrechte, die fast sklavenhalterartigen Zustände für miserabel bezahlte Arbeitsmigranten, die in der Gluthitze nach wie vor die Wolkenkratzer in die Höhe stemmen … Ich könnte hier schon den Punkt machen und sagen: No!
„Warum hast du’s gemacht?“ fragt Caro kauend, während Bela am Fred-Perry-Zeichen seines neuen Polos zupft. Journalisten sind Meister im Zurechtlegen. „Schau Caro“, fange ich an, „die Staatsphilharmonie wäre auch ohne mich hingereist …“ (da fängt das Problem an, sagt Caro), „nur mit dem Unterschied, dass uns das allenfalls eine Randnotiz wert gewesen wäre.“ Tatsächlich merkt Caro nicht, dass sie unfreiwillig nickt. „So habe ich das Thema aber ausführlich beleuchtet, mich mit den Emiraten beschäftigt, mit den Menschen dort gesprochen, alles gesehen und zu einem Paket geschnürt, mit dem Leserinnen sich ein Bild machen können, das ihnen hilft zu entscheiden, ob es gut ist, nach Dubai zu reisen.“
„Bla. Bla. Bla.“, sagt sie, während Bela weiter zupft und dabei in etwa so blöd glotzt wie die Scheinwerfer seines Porsche. Ich gebe zu: Die Vorteile einer Reise nach Dubai sind exklusiv egoistischer Natur: Man erlebt Optimismus, Aufbruchstimmung, Leichtigkeit des Seins, alles also, was uns im Bedenkenträgerdeutschland abgeht: Darf ich das? Kann ich das? Was bedeutet das? Bin ich blöd?
Ja, ich bin. Ich bin in ein Land gereist, in dem Homosexualität hart bestraft wird, in dem vergewaltigte Frauen im Gefängnis eingesperrt oder genötigt werden, ihre Peiniger zu heiraten, in dem seit 1833 die Familie Maktum herrscht, in dem es kein Parlament gibt … Ich habe mir das von einer Stiftung in Malta bezahlen lassen, die keine Auskunft über die Finanzen ihres Festivals in Dubai gibt. Die Financial Action Task Force zur Bekämpfung von Geldwäsche und Finanzierung von Terrorismus und Massenvernichtungswaffen hat Malta der „Times of Malta“ zufolge auf die graue Liste für Finanzstraftaten gesetzt. Ich bekenne mich für schuldig. Ich kaufe mir eine Peitsche. Ich werde mich selbst kasteien. Das mit dem ewigen Radeln kommt noch früh genug. Vielleicht treffen wir uns dann. Tretend. Endlos tretend.
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