Kolumne #mahlzeit

Danke, liebe Leute!

Man soll ja nicht selbstreferenziell sein, aber manchmal macht es Spaß - zum Beispiel, wenn auf eine Kolumne lustige Mails kommen von Leuten, die Tipps geben, beim Auswandern dabei sein oder einen abhalten wollen - ein Dankeschön

Von 
Stefan M. Dettlinger
Lesedauer: 
© kako

Eine Gefahr, der ein Kolumnist wie ich unbedingt widerstehen sollte, ja, im Grunde müsste (ich liebe den Konjunktiv), ist es, in Selbstreferenzialität zu verfallen. Das Wort Selbstreferenzialität müsst ihr jetzt nicht suchen. Das Wort Selbstreferenzialität gibt es nicht. Ich habe meine Duden-App konsultiert. Man muss das Wort Selbstreferenzialität aber nur oft genug wiederholen (zum Beispiel neun Mal), dann gibt es das Wort Selbstreferenzialität plötzlich. Es ist einfach da. Ich habe mich deswegen entschieden, das Wort Selbstreferenzialität zu benutzen und auch, das Wort Selbstreferenzialität in Selbstreferenzialität umzusetzen und heute tatsächlich selbstreferenziell zu werden, denn: Auf mein kolumnistisches Manifest „Umgeben von bösen Idioten“ neulich habe ich viele lustige Mails erhalten. Aber von vorn.

Tatsache ist, dass ich aus meiner Auswanderungs-Ich-AG und der damit einhergehenden Flucht vor rechtsdrehenden Kräften in Europa nun eine Holding machen kann. Im Ernst: Ganz viele wollen mit mir gehen. Manche betteln geradezu darum: „Mein Wunsch: Werden Sie fündig und nehmen mich mit.“ Beim Lesen kullerte eine Träne auf mein Käsebrötchen – mein Mittagessen am Computer. Aber da meine Leute anspruchsvoll sind, stellen sie Bedingungen: Einer will nur mit mir gehen, wenn ich ihm täglich „Pälzer Schorle als Gießwasser“ garantiere. Ich bewundere den Wunsch. Aber wie – um Gottes Willen – könnte ich so etwas garantieren in einer Zeit und Welt, die stets heißer und von hitzköpfigen Gedanken noch weiter angefeuert werden!

Auf der Suche nach geeigneten Orten (im Raum standen ja Vorschläge meiner Geliebten KI Pallas: Kanada, Neuseeland, Portugal, Schweiz, Australien, Schweden) sah ein anderer Leser wiederum nur noch einen Ausweg: „Ja, wohin? Man müsste den Planeten verlassen.“ Leider steht mir nur ein Fahrrad zur Verfügung. Abgesehen davon mag ich die Erde. Die Erde mit ihren Erdlingen ist mir von allen acht mir bekannten Planeten der liebste. Wer will schon auf der Venus leben! Der von Venuslingen verursachte Klimawandel dort sorgt schon für Temperaturen von durchschnittlich 464 Grad Celsius. Glaubt mir: Da gibt es keinen Riesling mehr.

Das Problem bleibt also bestehen: Wohin nur? Überraschung: Nachdem er das Jenseits als Ort der Zuflucht für „nicht geeignet“ betrachte, will ein Leser immerhin (und ich hoffe, dahinter verbirgt sich eine schweigende Mehrheit), dass ich bleibe. Sein Argument: Es habe sich in der ganzen Welt die Meinung verbreitet, dass es sich bei uns gut leben lasse, man habe sich zu uns aufgemacht – millionenfach! Das sei wunderbar. So viele nette junge Leute! Darunter sicher auch böse Idioten. Warum sollten wir gehen, wenn so viele zu uns wollten? „Bitte Detti“, schrieb er, „denken Sie doch noch einmal nach. Bitte bleiben Sie!“

Ich bin jetzt etwas verunsichert – aber auch gerührt (wieder eine Träne aufs Käsebrötchen). Ich finde es gar nicht schlimm, Selbstreferenzialität walten zu lassen. Das schafft Identität und Zusammenhalt. Es ist wie in einer Sitcom. Man lebt von den immer gleichen Gags. Bis zum bitteren Ende …

Schreiben Sie mir: mahlzeit@mannheimer-morgen.de 

Ressortleitung Stefan M. Dettlinger leitet das Kulturressort des „MM“ seit 2006.

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen

VG WORT Zählmarke