Geht’s erst mal los, als wenn ihr grad aus dem Bett gestiegen und noch ganz müd seids!“. So lautet Christian Sordos tiefenentspannte Einleitung für abenteuerlustige Skitourenneulinge.
Schlank, sportlich und auf Zack wirkt Christian. Im Kontrast zu seiner Ausstrahlung steht die unambitioniert anmutende Aufforderung, sich schlurfend auf den Weg zu machen. Jedoch ist Christians Stolz auf den Skitourenlehrpfad in Sexten, der in diesem Winter erst seine zweite Saison erlebt, spürbar groß.
Im rhythmischen Schalupp-schalupp durch Südtirol
Anfänger mit einem Grundverständnis für die Begebenheiten der Natur auszurüsten, sieht Christian als mindestens so wichtig an wie die einfach zu erlernende Gangart auf leichtgewichtigen Tourenskiern. Also schlurft das hoch motivierte Kleingrüppchen hinein in den Winterwald und legt im rhythmischen Schalupp-schalupp der Felle auf der frisch gezuckerten Schneedecke Strecke und Höhenmeter zurück.
Die Alpinschule Dreizinnen beschäftigte sich bereits seit Längerem mit der Idee einer speziell für Anfänger ausgelegten Tourenstrecke. Schließlich entstand der „Skitourenlehrpfad Rotwand“ in Kooperation mit der Lawinensuchstation. Bislang fristete diese ein einsames Dasein. Nun, eingebunden in die Aufstiegsroute des etwa viereinhalb Kilometer langen und 540 Höhenmeter ansteigenden Lehrpfads, wird sie Bestandteil eines Konzepts. Die Hinweise und Aufgaben entlang der Strecke erinnern zuweilen an ein Geländespiel.
Wir üben hier Schritt für Schritt, was im Notfall richtig schnell gehen muss, da nach 15 Minuten die Überlebenschance der Verschütteten enorm sinkt.
So passiert auch kein Anfänger die unverkennbare Einstiegsstelle unmittelbar hinter der Bushaltestelle Signaue, ohne dass sein Lawinenverschüttetensuchgerät getestet wird. Das sogenannte LVS gehört ebenso zur Grundausstattung wie Schaufel, Sondierstab und natürlich Thermodecke mit Erste-Hilfe-Set. Alles obligates Zubehör, begibt man sich auf Tour. Christian legt zudem nahe: „Tourengänger hören sich grundsätzlich zuvor den Lawinenlagebericht an!“
Auf Skitour in Südtirol der Natur sehr nah
Diese Maßnahmen sollen sensibilisieren für die Tatsache, dass ein Skitourengeher im freien Gelände den Naturgewalten deutlich näher kommt, als dies auf der Piste der Fall ist. Neben dem Schleifen der Skier über den leicht ansteigenden Weg lässt sich das Schreien einer Krähe nicht überhören. Schnee fällt von dünnen Zweigen, zart vom Wind angeweht. Der Pfad hinauf in Richtung Rotwand schlängelt sich vor abwechslungsreicher Kulisse in den Wald hinein.
Die Umgebung lenkt dabei den Fokus so geschickt auf sich, dass unmerklich Höhenmeter unter den gleichförmig vor sich hin schiebenden Skiern hindurchlaufen. Ungefähr 300 Meter an Höhe pro Stunde, je nach Steigung. Kleine Abfahrten sind inbegriffen und da gilt es, sich der Technik des Zurücklehnens zu bedienen. Wer das Gewicht, wie von der Abfahrt auf der Piste gewohnt, nach vorne bringt, riskiert eine weiße Nase. Tourenneulinge vergessen zuweilen, dass der Schuh nur vorne und nicht hinten in der Bindung befestigt ist.
Der Wald lichtet sich, und das schon geraumer Zeit vernehmbare Plätschern bekommt ein Bild. Unterhalb liegt eine kleine Lichtung. Dahin gehend verjüngt sich der Weg und mündet auf die Brücke über einen gurgelnden Wildbach. Der ideale Platz zum Verschnaufen und für ein weiteres Schild mit Theorieunterricht: noch einmal der Schlurfschritt en détail und zudem die wesentliche Information, dass beim Aufstieg stets die Hände außerhalb der Schlaufen bleiben.
Auch Steighilfen kommen auf der Skitour durch Südtirol zum Einsatz
Unmittelbar danach gilt es, sich der zweiten Herausforderung zu stellen. Ein schmaler Anstieg erfordert, dass am Wegrand auf den Einsatz von Steighilfen hingewiesen wird. Die Steighilfe ist am Hinterteil der Bindung zu aktivieren und funktioniert wie ein kleiner Absatz, der zwangsläufig den Schwerpunkt leicht nach vorne verlagert.
Südtirol
- Anreise: Von Stuttgart mit dem Zug nach Villabassa-Braies/Niederdorf-Prags in der Nähe von Innichen, www.bahn.de. Weiter mit dem Bus, Infos unter: www.suedtirolmobil.info/de
- Unterkunft: Das familiengeführte Alpenwellness-Hotel St. Veit bietet gemütliche, holzvertäfelte Zimmer in traditionellem Stil und abwechslungsreiche Küche, Doppelzimmer mit Dreiviertelpension ab 260 Euro, www.hotel-st-veit.com/alpenwellness. Hotel Gruber punktet mit gemütlichen Holzzimmern und schönem Bergblick, Doppelzimmer/Frühstück ab 138 Euro, www.gruber-sexten.com.
- Essen und Trinken: Die Rudihütte an der Bergstation der Rotwandbahn serviert hausgemachte Kuchen, Wild- und Pilzgerichte, www.floralp.biz/de/rudi-huette. Das Restaurant Luis Alm interpretiert traditionelle Gerichte auf moderne Art, www.luisalm.it.
- Aktivitäten: Geführte Skitouren kann man bei der Alpinschule Dreizinnen, www.alpinschule-dreizinnen.com, oder beim Tourismusverein Sexten, www.sexten.it, buchen. Die Preise sind abhängig von Dauer und Anspruch der Tour sowie von der Gruppengröße.
- Allgemeine Informationen: www.suedtirol.info PW
Spätestens jetzt hat keiner mehr Sorge, als Teilnehmer der kleinen Lehreinheit unterfordert zu sein. Manchmal gelingt auch der klassische hüftbreite Gang nicht, und sobald Knie oder Ski aneinandergeraten, schwindet die Balance. Wer sich unter der Lawinensuchstation eine unübersehbare Hütte vorgestellt hat, begreift schnell, wo dieser Irrtum wortwörtlich begraben liegt. „Wir üben hier Schritt für Schritt, was im Notfall richtig schnell gehen muss, da nach 15 Minuten die Überlebenschance der Verschütteten enorm sinkt“, sagt Christian.
Auf der Tour lernen die Teilnehmer die Gefahren von Lawinen einschätzen
Zum besseren Verständnis für Toureneinsteiger verbessert er an dieser Stelle die Schnee- und Lawinenkenntnisse. Warum wird, wenn der Lawinenlagebericht Warnstufe 3 oder gar höher ausspricht, von Fahrten abseits der Piste oder im dichten Wald abgeraten? Im Laufe des Winters bilden verschiedene Schichten, wie bei einer Cremetorte, die Schneedecke.
Durch Antauen und Überfrieren entwickeln sich leicht Krusten, auf die weitere Schichten aufbauen können. „Vor allem der Wind ist der Baumeister der Lawine“, erklärt Christian Sordo. Vom Wind verblasene Schneekristalle entwickeln sich zu kleinen, tückischen Kugellagern, die alles, was über ihnen liegt, zum Abrutschen bringen können.
Verschwindet eine Person in einer soeben abgerutschten Schneewolke, gilt es wie immer in Notfällen, zuerst für eigenen Schutz zu sorgen. Direkt nachfolgende Schneerutsche müssen ausgeschlossen werden. Aber dann: Piepser auf „finden“ umstellen und zügig dem Bereich nähern, bis ein Signal einsetzt. Sodann beschleunigt das Gerät die Sendefrequenz und erhöht die Lautstärke, je näher man den Verschütteten kommt. Bis zum Radius von vier Meter Abstand zum Lawinenopfer bleibt man auf den Skiern, ab da geht es ohne Skier auf alle viere.
Die fokussierte Feinsuche löst nun die eilige Grobsuche ab. Wenn das Piepsen zum gleichbleibenden Ton übergeht, heißt es: Sonde ausklappen und über ein in den Schnee gestochenes Kreuz tief in die Schneedecke piken, bis der Mensch, der vom Schnee begraben ist, gefunden ist. „Kein Tourengänger ist zu erfahren, als dass er sich nicht regelmäßig hier beweisen sollte“, so Christian.
Wie zur Belohnung für das absolvierte Training folgt nun freies Gelände. Rote Holzpfosten markieren einen verwunschenen Pfad durch tief verschneiten Zauberwald. Der Weg wird kleiner, schmäler, steiler, bis ihm ohne Spitzkehre nicht mehr zu folgen ist. Die letzte Aufgabe bei diesem außergewöhnlichen Geländespiel. Was dann folgt, ist Bonusmaterial. Die Abfahrt über die Piste gleicht einem Gleitflug und der Kaiserschmarrn in der Hütte hat schon lange nicht mehr so gut geschmeckt.
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