Der Möbelhändler Ray Carney will eigentlich nichts anderes als ein rechtschaffenes Leben führen. In Colson Whiteheads letztem Roman „Harlem Shuffle“ haben wir den Sohn eines Kleinkriminellen kennengelernt. Wir haben seinen Aufstieg in die bürgerliche Schwarze Mittelschicht New Yorks verfolgt. Whitehead spielt rasant und leichtfüßig mit Krimi- und Pulp-Elementen. Er lässt eine Zeit des Umbruchs zu Beginn der 60er auferstehen. Und er erzählt davon, dass die Verhältnisse zwar zum Tanzen gebracht werden können, der Einzelne allerdings ein begnadeter Tänzer sein muss, um auf dem gebohnerten Parkett beim Harlem Shuffle nicht aus dem Takt zu geraten.
Ringen mit Mächten der Halbwelt
Nun greift der vielfach ausgezeichnete Autor den Lebensfaden von Ray Carney ein weiteres Mal auf. Sein neuer Roman „Die Regeln des Spiels“ beginnt im Jahr 1971 und endet fünf Jahre später. Wieder sind es drei Teile, drei Geschichten, die sowohl vom Ringen des braven Bürgers Ray mit den Mächten der Halbwelt erzählen – mehr noch aber von der Zeit, die gewalttätiger und illusionsloser erscheint als noch zu Beginn der 60er. Ray beobachtet, was um ihn herum geschieht – aber es fehlt ihm die nötige Umsicht, die ihm manch brenzlige Situation ersparen könnte. Er hat Ehrgeiz, und wenn der sich nur darauf bezieht, seine Tochter May glücklich zu machen: Die ist hin und weg von den Jackson 5, die in New York auftreten sollen. Karten gibt es für das Konzert keine mehr.
Also lässt Ray seine Kontakte spielen. Ausgerechnet von einem korrupten weißen Polizisten erhofft er sich Hilfe, für die dieser eine Gegenleistung erwartet – und schon steckt Ray mitten in einem jener Gangsterplots, um die er einen Bogen machen wollte. Und mitten in den politischen Kämpfen, die innerhalb der Schwarzen Community toben.
Gewalt kunstvoll inszeniert
Die gesellschaftspolitische Ebene bildet ein Fundament des Buches, die Rezession des Landes, die zunehmende Verwahrlosung der alten Neighbourhood, die Entmietungsstrategien von Spekulanten. „Die Regeln des Spiels“ hat aber auch Witz. Und Tempo. Gewalt wird wie in einem Blaxploitation-Film kunstvoll inszeniert, und es gibt viele Misslichkeiten, aus denen sich Ray und ein alter Kumpel seines Vaters, der Kriminelle Pepper, nur mit Mühe und Blessuren retten können. Colson Whitehead erschafft mit seinen Ray-Carney-Romanen einen untergegangenen Schwarzen Kosmos der 60er und 70er Jahre neu: Manchmal ist die Detailversessenheit von Überladenheit nicht recht zu unterscheiden, so genau ist noch die kleinste Nebenfigur gestaltet.
Auch wenn Whitehead mit Trivialgenres jongliert, den Noir-Roman mit Schwarzem Personal besetzt – letztlich geht es ihm um die Dynamik von Gemeinschaften, große moralische Fragen und um Community-Geschichtsschreibung. Nicht zuletzt aber auch um eine Liebeserklärung an eine sich stetig wandelnde Stadt. All das vermittelt Whitehead durch die Augen seines unermüdlichen Sisyphos, eines Mannes, der das Gute will, aber dem Bösen dabei nicht entkommt. Wir dürften Ray Carney nicht das letzte Mal begegnet sein.
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