Albumkritik

So klingt das neue Album "Gartenstadt" von Apache 207

Auf dem dritten Longplayer des in Mannheim geboren Rappers und Sängers fehlen zwar die ganz großen Hits à la Roller. Dafür schafft es der Ludwigshafener eine partytaugliche Sommernachtsplatte vorzulegen, auf der er seine Aufsteigergeschichte neu erzählt

Von 
Jörg-Peter Klotz
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Keinen Dank für die Blumen: Apache 207 auf dem Cover seines dritten Albums „Gartenstadt“. © Sony Music

Ludwigshafen. Nicht mal Xavier Naidoos Lokalpatriotismus ist soweit gegangen, dass er eine Platte „Wallstadt“ genannt hätte – nach seinem Mannheimer Heimatstadtteil. Der Rapper und Sänger Apache 207 greift schon bei seiner vierten größeren Veröffentlichung zu diesem Mittel. Nach der EP „Platte“ und dem Album „Treppenhaus“ verlässt der Titel seines dritten Werks den Plattenbau, in dem er aufgewachsen ist: „Gartenstadt“ erzählt in 15 Liedern und 42 Minuten die imposante, aber oft gehörte Aufsteigergeschichte des Volkan Yaman aus dem Ortsbezirk in Ludwigshafen-Niederfeld immer wieder neu. Erstaunlich, dass er das Thema spannend hält. Dank Zeilen wie „Zweimal SAP Arena sind nicht mal die Hälfte von den Leuten, die mir niemals geglaubt haben“ an die Adresse derjenigen, die Apache keine Musikkarriere zugetraut haben.

Starker Start über Jugend im Block

So liefert der erste Song, „Was weißt du schon“, einen der eindrücklichsten Texte, den der 25-Jährige bisher geschrieben hat: „Manchmal fressen sich hier Ratten durch Wände / Sie wurden hier geboren, doch sie woll’n hier nicht enden / Mama, der weiße Staub ist nur der Putz von der Decke – was weißt du schon, von meinem Block?“ Starker Tobak für die ersten Zeilen eines fast garantierten Nummer-eins-Albums. Und geschickt mit Doppeldeutigkeit versehen: Die kleinen Nager mit dem großen Freiheitsdrang können – frei nach Heinrich Heines politischem Gedicht „Die Wanderratten“ („Es gibt zwei Sorten Ratten: / Die hungrigen und satten. / Die satten bleiben vergnügt zu Haus, / Die hungrigen aber wandern aus“) – für die jungen Yamans stehen, die erfolgshungrig ihren Weg ins Rampenlicht erkämpft haben. Apaches Bruder Hakan begleitet dessen Karriere als Manager. Auch dem früh verschwundenen Vater wird eine – sehr traurige – Zeile gewidmet: „Neues Haus, neue Frau, neue Gegend / als hätt’s uns nie gegeben.“

Volkan Yaman alias Apache 207

  • Der Rapper und Sänger Apache 207 wurde am 23. Oktober 1997 in Mannheim als Volkan Yaman geboren und wuchs in Ludwigshafen-Gartenstadt auf.
  • Nach dem heimatlichen Ortsbezirk hat der Zwei-Meter-Hüne sein drittes Album benannt, das am 9. Juni bei Sony Music erscheint – digital, als CD, LP, Picture-Vinyl und Special Edition.
    .Zuvor hat er die Studioplatten „2sad2disco“ (2021) und „Treppenhaus“ (2020) sowie die Digital-EP „Platte“ (2019) veröffentlicht. Der Dreierpack erschien 2021 unter dem Titel „Die glorreichen Drei“ auf CD.
  • Nach einem abgebrochenen Jura-Studium veröffentlichte Apache 207 ab 2018 regelmäßig Songs u.a. auf YouTube.
  • Der Durchbruch kam 2019 mit der Doppel-Platin-Single „Kein Problem“. Sein erster Nummer-eins-Hit, das mehr als zwei Millionen Mal verkaufte „Roller“, hält mit 174 Wochen in den Charts den deutschen Rekord.
  • Mit 15 Wochen auf Platz eins liegt „Komet“, ein Duett mit Udo Lindenberg, nach Matthias Reims „Verdammt, ich lieb’ dich“ (16) auf Platz zwei der erfolgreichsten deutschsprachigen Hits.

 

Interviews bleiben selten

Oder es gab buchstäblich Ratten in den Decken des Plattenbaus, die Putz auf die Köpfe der Geschwister (eine kleine Schwester wird in „Capri Sonne“ zum zweiten Mal nach „Fame“ besungen) und rieseln ließen? Was – wie so oft in dieser minuziös durchgeplanten Karriere – einen Bogen zu einem anderen Teil des Gesamtkunstwerks schlagen würde: Nepomuk Fischers Dokumentation „Apache bleibt gleich“ bei Amazon Prime. Man kann nur spekulieren, denn Interview mit dem Star aus dem Block bleiben weiter Mangelware (hier eines seiner ersten mit dieser Redaktion).

Parallelen zur Karriere Udo Lindenbergs

Dieser triste, aber kämpferische Opener bildet zugleich eine Klammer mit der Schlussnummer „Komet“. Mit diesem Duett hat der immer noch junge Ludwigshafener dem Deutschrock-Pionier Udo Lindenberg den ersten Nummer-eins-Hit seiner epochalen Karriere beschert (für den Kurpfälzer war es bereits der zehnte). Der von Apache eingesungene Ohrwurm-Refrain bringt den Verlauf beider Karrieren auf den Punkt: „Und wenn ich geh, dann so, wie ich gekommen bin / Wie ein Komet, der zweimal einschlägt.“ Das gilt für den für viele abgeschriebenen Panikrocker, für den es nach dem Lebenswerk-Echo 1992 weiterging – mit dem Comeback 2007 und den bislang größten Erfolgen seiner Laufbahn und Stadion-Tourneen.

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Auch Lindenbergs in Mannheim geborener Juniorpartner, auch so ein notorischer Sonnenbrillenträger,  ist schon zweimal eingeschlagen wie ein Asteroid: zunächst mit millionenfach geklickten Hits und seiner ironischen Art, Gangsta-Rap-Klischees zu entschärfen. Als die Streaming-Zahlen etwas erlahmten und die Pandemie Apaches absurd schnell ausverkaufte Arena-Tournee ausbremste, war es sein Aufschlag als Live-Künstler, der auch hohe Erwartungen übertraf und ihn auf eine neue Karrierestufe katapultierte. Zu bewundern bei zwei ausverkauften Open Airs am 1. und 2. Juli am Mannheimer Schloss.

Die Hits funktionieren als Album

Das größte Kunststück auf „Gartenstadt“: Apache mag zu der Pop-Generation gehören, deren Karrieren im Puls von Singles und Playlist-Algorithmen getaktet ist. Trotzdem funktionieren die 15 Nummern als Gesamtwerk. Sie bilden sogar in mehrfacher Hinsicht ein Konzeptalbum. Und das war nach den fünf vorab ausgekoppelten, völlig heterogenen Hits nicht abzusehen.

Aber im Fluss mit den zehn bislang unveröffentlichten Songs fügt sich das Ganze zu einer Art Aufsteiger-Sommernachtstraum. Als ob Shakespeare die Yamans an theatralen Fäden aus dem Plattenbau in der Gartenstadt auf edle Partyinseln und in teure Villen mit Luxusproblemen dirigiert hätte. Es ist vor allem eine Platte für die Nacht, am Besten zu hören im Auto, auf dem Rad oder auf der Tanzfläche. Wo die variantenreichen Ibiza-kompatiblen Retro-House–Beats am besten funktionieren.

Die selbst bei Rock am Ring gefeierten Vorab-Auskopplungen „Breaking Your Heart“ und „Neunzig“ bilden mit dem nach vorn pumpenden „Ein letztes Mal“, dem verspielten „Coco Chanel“, einem fast schlagertauglichen „Ohne Gnade“, „Vorstadt“ und dem lässig, hitverdächtigen „Kurz vor 4“ (mit kleiner orientalischer Einlage) einen abwechslungsreichen Partyblock. Da vermisst man kaum, dass Diamant-Hits wie „Roller“ fehlen. Was die Streaming-Zahlen der vier Solo-Singles unterstreichen, die trotz extrem aufwendiger Videos zusammen „nur“ zehn Millionen Klicks auf YouTube verzeichnen.

Hadern mit den Folgen des Erfolgs

Das Rezept, Sounds aus den 1990ern mit moderner Stimm-Camouflage via Autotune zu kombinieren geht trotzdem fast durchgängig auf. Popgesang und Rap halten sich weitgehend die Waage. Erstaunlich, dass Apache Wege findet, die immer gleichen Themen so zu variieren, dass man ihm weiter gern zuhört: die „Vom Bordstein zur Skyline“-Geschichte, den Umgang mit Frauen oder der eigenen Rolle als Sexsymbol und das Hadern mit den Folgen des Erfolgs (Einsamkeit, Druck, Versagensängste). Hier knüpft „Schimmel in der Villa“ an „Bläulich“ oder „Angst“ an, geht aber neue, erstaunlich theatralische Wege – fast wie Falco einst in „Jeanny“. „Raus hier“ ist vor „Komet“ dann eine Art positive Auflösung und zeigt einen Weg, wie man ein Leben im Schleudergang des Musikgeschäfts genießen kann – auch dann, wenn man nicht gerade auf der Bühne steht und von Zehntausenden gefeiert wird.

Ressortleitung Stv. Kulturchef

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