Was war nach 16 Jahren Studiopause zu erwarten von The Cure und ihrem Songwriter-Genie Robert Smith? Sicherlich nicht, dass sich die dunkle Gemütsverfassung dieser Legende des Gothic Rock durch Kriege, Krisen und das Erreichen des 65. Lebensjahrs wesentlich aufgehellt hat. Nur weil jetzt erstmals seit dem wenig einprägsamen „4:13 Dream“ auf „Songs Of A Lost World“ acht neue Songs aus Smiths Feder erschienen sind.
Wie der Albumtitel es nahelegt, scheint eher das Gegenteil der Fall zu sein. Das 14. Studioalbum der wohl stilprägendsten britischen Band nach den Beatles beginnt mit Zeilen, die unsere Welt nicht verlorener beschreiben könnten: „This is the end of every song that we sing / The fire burned out to ash and / The stars grown dim with tears“ (Das ist das Ende aller Songs, die wir singen / Das Feuer ist zu Asche abgebrannt und die Sterne erlöschen mit Tränen), singt Smith leicht anämisch nach epischem Intro. Danach wird es nur noch prä-apokalyptischer: Dem einsamen, verängstigten Protagonisten im ersten Song „Alone“ ist kalt, die Vögel stürzen vom Himmel, die Liebe fällt aus dem Leben, Hoffnung und Träume sterben. Uff!
Den Minus-Gipfel des Pessimismus auf dem fast komplett in Schwarz gehaltenen, puristisch gestalteten Album ist „Warsong“. Dagegen liest sich Thomas Hobbes „Leviathan“ beinahe wie eine Hymne auf das Gute im Menschen. Smith singt, dass es keinen Weg zum Frieden gebe. Es habe nie einen gegeben. Trotz allen Bedauerns seien wir für den Krieg geboren. Der Mensch als des Menschen Wolf, für immer. Das ist harte Kost. Und trotzdem – oder deswegen – hörenswert und außergewöhnlich kraftvoll.
Unverkennbare Stimme singt mit Grandezza über endloses Elend
Das liegt auch an Smiths unverkennbarer Stimme, die all das hoffnungs- und endlose Elend mit erhabener Grandezza vorträgt. Bis diese trotz allem irgendwie tröstliche Stimme allerdings erklingt, sind den bis zu zehneinhalb Minuten langen Liedern außergewöhnlich lange Intros vorgeschaltet. Das klingt, als seien Smith in seiner Schaffenspause als Songwriter vor allem Vertonungen für Naturfilme zugeflogen, die mehr oder weniger umtoste Landschaften zeigen. Das ignoriert souverän die aktuellen Hörgewohnheiten, die nach zehn Sekunden den ersten Kick erwarten.
Es sind daher einige Hördurchgänge nötig, bis diese 49 Minuten ihren eigenwilligen Zauber entfalten. Zwangsläufig sind diese Songs Meilen (und meist vier Jahrzehnte) entfernt vom faszinierenden Cure-Wave-Pop früherer Tage. Und überhaupt nicht zu vergleichen, mit fast fröhlichen Hit-Ausreißern wie „Love Cats“ oder „Friday I’m In Love“. Zunächst ist die Rhythmik langsam und relativ einfach gehalten. Nur „All I Ever I Am“ könnte Nostalgikern auf Anhieb gefallen. Die ersten Songs wirken dagegen nahezu elegisch.
Gegen Ende der ersten Vinyl-Seite steigt der Energie-Level. „Warsong“ ist ein komplexes Meisterwerk, mit Mut zum Crescendo und erinnert daran, dass Smith Hendrix-Fan ist. Die B-Seite beginnt mit „Drone:Nodrone“ regelrecht eingängig, kraftvoll und mitreißend. Smith singt voller Emphase, und man hört ungeahnt normal rockende Gitarrensoli. Die Ballade „I Can Never Say Goodbye“ schließt sich mit minimalistischem, langatmigem Piano-Intro an wie ein gefühliger Tom-Odell-Song. Musikalisch müssen sich altgediente The-Cure-Fans mit viel Ungewohntem anfreunden. Aber das funktioniert als Album mit der Zeit und passt – leider – nur zu gut in die Zeit.
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