Rezension

Das Electro-Album von Christian Maurer: Vom Tasten-Technoseum zum Jazz

Der Heidelberger Christian Maurer hat seinem großartigen Electro-Album „The Ball Chair Experience“ eine akustische zweite Seite mit Saxophon und Streichern hinzugefügt

Von 
Jörg-Peter Klotz
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Der Heidelberger Pianist und Schlagzeuger Christian Maurer alias Crima. © Klaus Pelzer

Heidelberg. Minimoog, Korg MSIO, MS20, miniKORG-700, Oberheim Matrix, Wurlitzer, Rhodes, Hohner Clavinet – der Heidelberger Jazz-Musiker Christian Maurer hat ein wahres Technoseum der Tasteninstrumente in seinem Arsenal. Lebendig gemacht hat er die Sammlung von klassischen Synthesizern, Keyboards, Pianos und Orgeln unter seinem Künstlernamen Crima 2021 auf dem Album „The Ball Chair Experience. Die neun Electro-Eigenkompositionen huldigen stilistisch bemerkenswert vielseitig der Club-Musik verschiedener Dekaden, wobei sich Unterhaltungswert und Anspruch die Waage halten.

Das ist für sich allein schon sehr hörenswert. Aber im Pandemiesommer 2021 hat er die zweite Seite dieser Musik ausgearbeitet, arrangiert und akustisch aufgenommen. Mit Hilfe von Saxophonist Olaf Schönborn, Sängerin Liv Solveig als Violinistin und Johannes Alisch (Violoncello) für die aktuelle Geschwisterplatte „The Backside Of The Ball Chair“, veröffentlicht als mit schicken Retro-Bildern illustrierte Doppel-CD „Both Sides Of The Ball Chair“.

Die Verwandlung der neun Songs von einer Art zeitlosen Proto-Techno mit tiefer Verbeugung vor den Sounds ab den späten 1960ern Richtung Jazz, Tango und minimalistischer Kammermusik ist frappierend. Mitunter muss man recht genau hinhören, um noch zu erkennen, dass es sich um dieselben kompositorischen Grundstrukturen handelt. Wobei Mauer auch hier und da etwas musikalisch hinzu „gedichtet“ hat, wie der Keyboarder und Schlagzeuger im Gespräch mit dieser Redaktion verrät.

Grundidee Arbeitsbeschaffungsmaßnahme

Der hochinteressante Doppelpack verdankt sich einem Stipendium des baden-württembergischen Kunstministeriums. „Es ist auch eine Art Arbeitsbeschaffungsmaßnahme (ABM) für die Mitwirkenden“, berichtet der 51-Jährige. Auf die Idee gekommen sei er, als er realisiert habe, dass der befreundete Wahl-Ludwigshafener Schönborn in Rheinland-Pfalz auf keine vergleichbare Förderung hoffen konnte. Aber die Stoßrichtung Jazz komme nicht vom Saxophonisten. Der gemeinsame Nenner zwischen beiden Platten sind die Improvisationen. „Und ich verstehe mich selbst als Jazz-Musiker“, erklärt der vielseitige Maurer. Von daher ist auch auf der Electro-Hälfte des von ihm allein eingespielten und produzierten Doppelalbums schon fast alles „handgemacht“ gewesen.

Dass er so viele Tastenjuwelen aus der Geschichte der elektronischen Musik angesammelt hat, „liegt nicht daran, dass ich einen Fetisch hätte“, betont Crima. „Es ist ja auch nicht so, dass man Sounds wie vom Clavinet nicht anders und ähnlich gut erzeugen könnte. Aber das Gefühl, das man beim Spielen der alten Instrumente hat, beeinflusst das Ergebnis – und ist einfach schön.“

Und in ihren Sounds schlummern wie in einer Art Zeitkapsel der Zeitgeist und das Lebensgefühl der 60er und 70er. Optisch versinnbildlicht auf mehreren Fotos von Klaus Pelzer, die das Album kongenial bebildern, in dem sie Mauer mit einem Design-Klassiker aus dem Hause Vitra inszenieren: Dem 1963 entworfenen Kugelsessel (Ball Chair) des Finnen Eero Aarnio, der seit der Kölner Möbelmesse 1966 weltweit für Furore sorgt. Genau so rund klingt auch diese Veröffentlichung des Mannheimer Labels Rodenstein Records.
 

Ressortleitung Stv. Kulturchef

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