Manche Speisen und Getränke klingen einladender, wenn man ihre französischen oder italienischen Namen benutzt. Der Weißwein Chasselas zum Beispiel, wird im Schweizer Kanton Wallis auch Fendant genannt. Hinter ihm verbirgt sich nichts anderes als die Rebsorte Gutedel. Auch der Name des Desserts Vermicelles klingt auf Italienisch appetitlicher. Denn der Name Vermicelles leitet sich vom italienischen „vermicelli“ ab und heißt übersetzt „Würmchen“.
Um Verwechslungen vorzubeugen: Vermicelli sind besonders dünne Spaghetti, Vermicelles ein Schweizer Dessert-Klassiker aus dem Püree der Esskastanie. Tatsächlich erinnert das Dessert optisch an Spaghetti-Eis. Im Unterschied zu dem Eisbecher bestehen die Spaghetti aber nicht aus Eis, sondern eben aus besagtem Püree, das in „Würmchen“ geformt wird.
Und in diese Würmchen sind unsere Schweizer Nachbarn ganz vernarrt. Doch die Köstlichkeit scheint es bislang nicht über die Grenze geschafft zu haben. „In Deutschland ist Vermicelles weitgehend unbekannt“, sagt Sabine Heide, Projektleiterin Genuss bei Swissmilk in der Schweiz. Swissmilk ist die Marketing-Organisation der Schweizer Milchproduzentinnen und Milchproduzenten (SMP) mit Sitz in Bern. Die ausgebildete Konditorin und studierte Lebensmitteltechnologin entwickelt hier Rezepte, die Milch oder Milchprodukte enthalten. Die Grundzutat für Vermicelles ist aber eine andere.
Die Schweizer nennen Esskastanien bzw. Edelkastanien Maronen oder Marroni. Und „marrone“ heißt nichts anderes als „braun“ auf Italienisch. Das rührt natürlich daher, da innerhalb der Schweiz die Marroni hauptsächlich in den südlichen Kantonen Tessin und in Graubünden wachsen, und dort spricht man eben die Schweizer Landessprachen Italienisch und Rätoromanisch.
Wer geschälte Kastanien entdeckt, sollte zugreifen
Die klassische Vermicelles-Rezeptur mit Kastanien, Schlagsahne und Schaumgebäck lässt schon erahnen, dass es sich um einen üppigen Nachtisch handelt. „Es gibt auch Kombinationen mit Früchten, aber das ist eher untypisch. Die Schweizer sind bei Vermicelles sehr klar: Sie besteht aus pürierten Maronen, Meringue und Schlagsahne – sonst nichts“, so Heide. Das Gute an Vermicelles ist die Einfachheit der Zubereitung, wenn man auf geschälte Kastanien oder fertiges Püree zugreift. In der Schweiz findet man fertiges Maronenpüree viereckig in Blöcken, ähnlich wie Butter, im Kühlregal oder bekommt sogar die fertige Vermicelles-Masse in der Tube samt Aufsatz für die Würmchen. Die gibt es in Deutschland eher nicht. Und während man in Schweizer Supermärkten geschälte Maronen tiefgefroren fast das ganze Jahr über bekommt, ist diese Zutat in Deutschland frisch, foliert oder gefroren eher ein saisonales Produkt.
Wer also im deutschen Supermarkt TK-Kastanien oder folierte geschälte Kastanien entdeckt, sollte zugreifen und sich einen kleinen Vorrat zulegen. Gut zu wissen: Kastanien sind glutenfrei und daher auch für Menschen mit Zöliakie bekömmlich.
Für die Sammler-Fraktion gilt: Esskastanien wachsen wild in der Pfalz und in Baden. Sicherheitshalber sei hier erwähnt: Bitte Esskastanien nicht mit Rosskastanien verwechseln. Die Esskastanie (castanea sativa) gehört zu den Buchengewächsen, ihre Früchte zählen botanisch zu den Nüssen, wie etwa Haselnüsse oder Walnüsse. Die Rosskastanie ist dagegen ein Seifenbaumgewächs und nicht essbar.
Gut erkennbar sind die Unterschiede an der stacheligen Hülle: Während bei der Esskastanie die Stacheln dicht an dicht sitzen, sind die Abstände der Stacheln bei der Rosskastanie viel größer. Die Früchte der Esskastanie sind zu einer Seite abgeflacht, ihr oberes Ende verläuft spitz zu und enthält eine Art Pinsel, den die Rosskastanie nicht hat. Die Früchte der Rosskastanie sind dagegen runder.
Zutat für Salami und Likör oder üppige Desserts
In der Schweiz gedeihen die Marroni besonders gut in der klimatisch begünstigten Gemeinde Bergell. Bergell oder auf Italienisch Bregaglia liegt nämlich bereits auf der Südseite der Alpen und grenzt an Italien. Dort bewirtschaften Kastanienbauern ihre Bäume in sogenannten Selven und dörren die geschälten Früchte in einer Räucherhütte, der Cascina. Seit Jahrhunderten verarbeiten die Südschweizer ihre Kastanien zu Mehl und backen daraus Kastanienkuchen und Kastanienbrot. Sie nutzen die Früchte als Zutat für Salami und Likör, legen sie in Cognac ein oder machen daraus üppige Dessert wie Vermicelles.
Hier kommt Rezept für Vermicelles ganz klassisch aus ganzen (TK-)Kastanien. Entwickelt hat das erste Vermicelles-Rezept Sabine Heide. Und so geht’s:
Zutaten für 4 Portionen: 250 ml Milch, Mark aus 1/2 Vanillestange, 500 g tiefgekühlte Esskastanien (meist roh oder nur blanchiert), 3 EL Zucker, optional: 2 EL Kirschwasser, 250 ml Schlagsahne, 4 bis 8 Stück Schaumgebäck (Meringues).
Zubereitung: Milch, Vanillemark und -schote zusammen vorsichtig aufkochen, denn Milch brennt schnell an. Die geschälten, aber rohen Esskastanien und Zucker dazugeben. Anschließend die Kastanie in der Milch etwa 20 bis 25 Minuten bei mittlerer Hitze kochen. Zur Orientierung: Fertig gekochte Kastanien zerfallen ähnlich wie gegarte Kartoffeln.
Insidertipp von Sabine Heide: „Wer gerne Röstaromen mag, ritzt die Kastanien ein, röstet sie zehn Minuten im Ofen und kocht sie anschließend. Die Kochzeit verkürzt sich dann um zehn Minuten.“ Wer selbst gesammelte Kastanien verarbeiten möchte, kann die Kastanien auch in der Schale etwa 25 bis 30 Minuten in Wasser kochen, anschließend schälen und dann mit den oben genannten Zutaten vermengen.
Anschließend das Milch-Vanille-Zucker-Kastanien-Gemisch pürieren. Die Masse sollte gemäß Konditorin Sabine Heide die Konsistenz zwischen weicher Butter und Marzipan haben, „also etwas fester als weiche Butter, aber etwas weniger fest als Marzipan“. Falls die Masse zu dick ist, kann man sie mit etwas Milch verdünnen.
Das Püree nun auskühlen lassen. Optional kann man etwas Kirschwasser unterrühren. Wer keinen Alkohol mag oder will, lässt diesen natürlich weg. So lange die Masse auskühlt, schlägt man die Schlagsahne steif und stellt sie in den Kühlschrank.
Richten Sie die gekauften Meringues (Schaumgebäck) auf vier Tellern an. Nun geht es an die „Würmchen“, die aus dem Kastanienpüree gepresst werden. Wer keine Vermicelles-Presse hat, kann eine Spätzlepresse nutzen. Die Würmer werden dann allerdings etwas dicker. Man kann das Püree aber auch durch einen Fleischwolf oder eine Kartoffelpresse drücke. Noch eine Option: Man füllt die Masse in eine Gebäckspritze und verteilt die Masse als „dicken Wurm“ auf dem Schaumgebäck. Zum Abschluss die braunen Vermicelles mit der Schlagsahne krönen.
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