Ludwigshafen. Verletzt, versehrt, verstümmelt. Den Kriegern fehlen zumindest Gliedmaßen, und die Protagonisten in Verdis Oper „Il trovatore“ leiden allesamt an ihrer Vergangenheit. An Verbrechen, Rache, Hass, Wahnsinn. Im leider nur mäßig besuchten Ludwigshafener Pfalzbau eröffnet Albrecht Puhlmann (quasi zum zweiten Mal nach Mozarts „Così fan tutte“ in Schwetzingen) die Nationaltheater-Opernsaison mit der Wiederaufnahme der 2019 entstandenen Inszenierung von Roger Vontobel - diesmal vor Mitgliedern der Kulturausschüsse beider Städte sowie Oberbürgermeister Christian Specht: Man möchte die kulturelle Zusammenarbeit wieder verstärken.
Die verschütteten Traumata und Emotionen der Figuren macht Vontobel sichtbar durch einen Kunstgriff: Er führt eine Tänzerin ein, die durch expressiven Tanz das Unterdrückte nach außen kehrt und das Offensichtliche - wie Kampfbereitschaft und Fanatismus - noch verstärkt. Eindringlich bewegt sich Sarah Wünsch in der Choreografie von Zenta Haerter. Ein genialer Einfall, der die oft als krude gescholtene Opernhandlung psychologisch nachvollziehbar macht.
Chor unter neuer Leitung
Dazu erweitern gespenstisch beleuchtete Schattenbilder aus Holzscheiten, Kreuzen, Gehstützen und stilisierten Waffen den Horizont. Hinter dem Schleier zeigen Pantomimen jene Handlung, die Verdi nicht eigens thematisiert hat, aber als Zusammenhang voraussetzt. Aus dem Graben hätte man sich zu der suggestiv aufgeladenen Stimmung das musikalisch dramatische Pendant gewünscht. Doch Salvatore Percacciolo dirigiert das klangschön und präzise agierende Orchester eher in mäßigen Tempi, was auch zu Irritationen in der Balance führt.
Besonders der Chor unter dem neuen Leiter Alistair Lilley muss nicht nur im „Zigeunerchor“ auf die Bremse treten. Zugute kommt Percacciolos eher bedächtiger Schlag dem neuen Ensemblemitglied Zsuzsanna Ádám mit ihrem schlanken, koloratursicheren Sopran. Dessen Stärke zeigt sich vor allem in den lyrischen Passagen („Tacea la notte“). Eine mädchenhafte, auch darstellerisch noch verhaltene Leonora, deren Potential gleichwohl vielversprechend ist. Viel souveräner gestaltet Evez Abdulla mit seinem virilen kernigen Bariton den Grafen Luna: Zerrissen durch die Macht der Emotionen, am Ende niedergezwungen unter dem Gewicht seines Traumas - ein starkes Bild.
Pure Glückseligkeit in Sachen Italianità beschert Irakli Kakhidzes Manrico mit seiner tenoralen, obertonreichen Leuchtkraft. Welch bewundernswerte Leichtigkeit, höchste Töne strahlen zu lassen! Doch auch die lyrischen Momente gestaltet er geschmackvoll und anrührend. Ein wahrhaftiger Troubadour! Julia Faylenbogen ist ihm eine wunderbare Partnerin. Ihr flexibler Mezzo verströmt im tiefen Register das unheimliche Timbre einer fast magischen Azucena und wartet in der Höhe mit dramatischer Durchschlagskraft auf. Zusammen sind Ziehmutter und Sohn auf alle Fälle einen Besuch über den Rhein wert, das hört man so nicht alle Tage! Die kleineren Rollen sind mit Sung Has flexiblem Bass (Ferrando), sowie mit Nataliia Shumska (Ines) und Niklas Mayer (Ruiz) adäquat besetzt.
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