Sacre-Coeur: Die Seele von Paris

1872 wird das ambitionierte Projekt eines Gotteshauses zur Anbetung des „Heiligen Herzens“ auf den Weg gebracht. In den 150 Jahren seither entwickelt sich Sacre-Coeur hoch über der französischen Metropole zu einem ihrer berühmtesten Wahrzeichen.

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Konstantin Groß
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Bei Sonneneinstrahlung hellweiß präsentiert sich die Kirche Sacre-Coeur auf dem Montmartre hoch über Paris. Mehr als 40 Jahre dauert ihr Bau. © Konstantin Groß

In diesen Tagen, da verteilt das Institut Française in Mannheim sein Veranstaltungsprogramm für das neue Jahr. Auf der Titelseite prangt nicht etwa der Eiffelturm oder der Arc de Triomphe, auch nicht die ehrwürdige Kathedrale Notre-Dame, sondern Sacre-Coeur. Der weiß leuchtende Kirchenbau oberhalb von Paris ist eines der Wahrzeichen der französischen Metropole – was erstaunlich ist. Denn jahrzehntelang wird er von einem großen Teil der französischen Gesellschaft erbittert bekämpft.

Der Krieg ist der Vater aller Dinge, sagt Heraklit. Für Sacre-Coeur zumindest hat diese Weisheit Berechtigung. Denn Anlass für ihre Entstehung ist die Niederlage der Grande Nation im Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71. Katholiken sehen diese als Strafe Gottes, begründet im Sturz der von ihm eingesetzten Monarchie und der Hinrichtung des von Gottes Gnaden wirkenden Königs 1793 im Zuge der Revolution und der Ausrufung der Republik.

Christus-Darstellung auf dem 475 Quadratmeter großen Mosaik in der Apsis. © Konstantin Groß

Seither liege ein Fluch über dem Land, verkünden die Katholiken; um ihn abzuwenden, bedürfe es der tiefen Buße der Nation, in Form der Anbetung des Herzen Christi, des Heiligen Herzens, des „Sacre Coeur“, in einer allein ihm geweihten Kirche. Propagiert wird diese Idee von dem einflussreichen katholischen Aktivisten Alexandre Legentil.

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Am 18. Januar 1872 reist Legentil zum neuen Pariser Erzbischof Guibert. Dieser ist fasziniert von der Aussicht, Bauherr einer Wallfahrtskirche zu werden. Am 14. April bereits verkündet er das Projekt in einem Gottesdienst in Notre-Dame.

Doch es fehlt noch ein Standort. Zunächst ist ein Umbau der Oper im Gespräch; die Stätte oberflächlichen Genusses umzuwidmen, würde ein klares Signal aussenden. Doch Guibert lehnt ab. Passender erscheint ihm ein anderer Ort: der Montmartre, der „Berg der Märtyrer“.

„Berg der Märtyrer“

Im Norden von Paris in 130 Metern Höhe gelegen, sterben hier bereits im dritten Jahrhundert erste Christen den Märtyrertod, unter ihnen der Heilige Dionysios, erster Bischof von Paris. Jahrhundertelang ist der Berg daher eine Pilgerstätte und Standort einer Abtei, die erst im Zuge der Revolution geschlossen wird.

Zudem: Das Dorf außenrum, erst 1860 in die Stadt Paris eingemeindet, ist die Heimat von Künstlern, Wirkungsstätte von Renoir, Matisse, van Gogh. Und von Arbeitern, daher Hochburg des Aufstands der Pariser Kommune 1870. Ein Hort religiöser Indifferenz also. Gerade hier will die Kirche daher ein Zeichen setzen. Und last not least ist der Ort dank seiner geografischen Lage einer, der von Paris aus weithin sichtbar ist.

Im Sommer 1872 besteigt der Erzbischof den Berg. „Plötzlich vertrieb die Sonne die Wolken und offenbarte den entzückten Augen des Erzbischofs Paris, wie er es noch nie gesehen hat“, überliefert ein Kurat: „Hier sind die Märtyrer, rief er, und hier muss das Heilige Herz regieren.“

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Bedeutung: Sacre-Coeur („Heiliges Herz“) ist eine der großen Pilgerstätten des Christentums und eines der zehn meistfrequentierten Bauwerke der Welt. Jährlich zählt es mehr als zehn Millionen Besucher.

Lage: Sacre-Coeur liegt auf dem 130 hohen Berg Montmartre („Berg der Märtyrer“) im Norden von Paris. Von hier aus hat man einen Blick über die Stadt hinweg 40 Kilometer weit.

Bauwerk: Herzstück des insgesamt 83 Meter hohen Bauwerks ist die 55 Meter hohe Kuppel.

Leuchtwirkung: Die Fassade wurde aus einem speziellen Travertin gefertigt, der im Laufe der Zeit sein Calcit abgibt und dadurch sukzessive eine kreideartige weiße Farbe annimmt – und je älter er wird, umso mehr.

Glocke: In einem 92 Meter hohen Turm hängt die „Sovoyarde“, mit einem Durchmesser von drei Metern und einem Gewicht von 19 Tonnen. Damit ist sie schwerste in täglichem Betrieb befindliche Glocke der Welt. Sie ist fast zehn Kilometer weit zu hören und hat einen Nachklang von über neun Minuten.

Orgel: Hauptinstrument mit 78 Re-gistern auf vier Manualwerken.

Krypta: In ihr befinden sich die sterblichen Überreste der Schöpfer der Basilika: von Erzbischof Guibert ein Grabmal mit einem Bildnis, das ihn mit einem Modell der Kirche in der Hand zeigt, von Initiator Legentil eine Urne mit seinem Herzen.

Doku: Am besten: „Geheimes Paris: Sacre-Coeur“ von Fabrice Bysschaert aus dem Jahre 2019 für ZDF-Info. Ordnet die Entstehung des Bauwerks versiert in die französische Geschich-te ein. Auf Youtube abrufbar. -tin

Doch es gibt ein Problem: Das Gelände gehört der Stadt Paris, die politisch fest in der Hand der Republikaner und damit der Kirchengegner ist. Der Erzbischof will sie umgehen: über das Parlament. Hier haben die monarchistisch-konservativen Kräfte die Mehrheit. Die Ausrufung der Republik können sie 1871 zwar nicht verhindern, aber sich mit ihr auch niemals anfreunden. Dank ihrer Mehrheit erklärt die Nationalversammlung 1873 den Bau der Basilika quasi zum nationalen Anliegen. Nun steht ihm nichts mehr im Wege.

Im gleichen Jahr wird ein Wettbewerb ausgeschrieben. Die angesehensten Architekten Frankreichs bewerben sich, insgesamt 78. Einer von ihnen ist Paul Abadie. Ohnehin Freund des romanischen Stils, lässt er sich von der Architektur byzantinischer Gotteshäuser inspirieren; die Ähnlichkeit zur Hagia Sophia in Istanbul ist unverkennbar. Er plant einen lichtarmen Altarraum, so dass sich alle Aufmerksamkeit auf das Allerheiligste konzentriert. Am 28. Juli 1874 wird Abadie zum Gewinner erklärt. Als sein Entwurf veröffentlicht wird, hagelt es Kritik: „Hochzeitskuchen“ und „Haufen Schlagsahne“ – noch die freundlichsten Attribute für die geplanten weißen Kuppeln.

Am 16. Juni 1875 wird der Grundstein gelegt. Man rechnet mit zehn Jahren Bauzeit. Niemand ahnt, dass es 40 Jahre dauern wird. Die technischen Probleme beginnen sofort: Für einen Bau dieser Größe ist der hiesige Lehmboden nicht geeignet. Abadie will eine schnelle Lösung. Er ist schon alt und fürchtet, die Vollendung ansonsten nicht mehr zu erleben. Er plant eine Betonplatte als Fundament. Der Erzbischof ist skeptisch, holt sich eine zweite Meinung. So werden 83 Schächte von je 33 Metern Tiefe ausgehoben und verfüllt. Diese Arbeiten dauern zwei Jahre.

Das sprengt die Mittel der Erzdiözese. Eine landesweite Spendenaktion wird gestartet, 1876 am Eingang der Baustelle eine provisorische Kapelle errichtet. Gegen Gebühr kann man hier beten und die Baustelle besichtigen. Schon im ersten Jahr kommen über eine Million Pilger. Zudem kann für einzelne Teile der Kirche gespendet werden, etwa für Säulen und Pfeiler. Modernes Fundraising also, das Erfolg zeitigt.

Von Sacre-Coeur aus genießt man einen atemberaubenden Blick auf Paris. © Konstantin Groß

Nichts scheint den Bau aufhalten zu können, da grätscht die Politik hinein. Bei der Wahl von 1881 kommt es zu einem Machtwechsel: Die Monarchisten verlieren die Mehrheit, die Republikaner gewinnen. Ihnen ist Sacre-Coeur Symbol eines rückständigen und reaktionären Frankreichs. Die Verehrung des Herzens dort wird Ziel von Hass und Hohn, verglichen gar mit dem Phalluskult.

Bereits im Jahr nach dem Machtwechsel will Georges Clemenceau, der legendäre Führer der Linken, das Gesetz von 1873 aufheben lassen. Das wird auch beschlossen, aber nicht umgesetzt. Würden die Bauarbeiten gestoppt, müssten die Spender nämlich ihr Geld zurückerhalten. Doch zum einen hat der Staat diese 15 Millionen Francs nicht. Und zum Zweiten: Wie soll man die anonymen Wohltäter ermitteln?

Da die Republikaner die Basilika nicht verhindern können, wollen sie wenigstens ihre bauliche Dominanz über die Stadt einschränken. Als die Weltausstellung von 1889 beendet ist, setzen sie durch, den dafür gebauten Eiffelturm stehen zu lassen; das 330 Meter hohe Bauwerk soll ein Gegenpol zu Sacre-Coeur werden.

1891 ist das Dach über Kirchenschiff und Chor fertig, jetzt fehlt noch die Kuppel. Für den inzwischen verstorbenen Abadie übernimmt sein Schüler Henri Raulin die Aufgabe. Und er entdeckt einen Fehler: Das Portal würde die Sicht auf die Kuppel verstellen. Abadie hat die optischen Folgen für den Blick von unten nach oben außer Acht gelassen. Raulin vergrößert die Kuppel und damit die Höhe des Gebäudes von 45 auf 83 Meter. Ende 1899 ist es fertig.

Kampf der Republikaner

Doch wieder grätscht die Politik dazwischen: 1902 gewinnt ein Linksbündnis die Wahlen. Alle religiösen Orden werden verboten, auch die Benediktiner, denen Sacre-Coeur untersteht. Drei Jahre später ein noch radikalerer Schritt: Trennung von Staat und Kirche, Ende von deren 1500 Jahre währender Stellung. Ihre Besitztümer werden beschlagnahmt, auch Sacre-Coeur. Pläne entstehen, die Kirche in ein „Haus des Volkes“ umzuwandeln: im Hauptschiff ein Theater mit 1500 Plätzen, in den Kapellen Volksbäder, in der Kuppel ein Observatorium.

Doch dazu kommt es nicht. Die Katholiken verteidigen ihre Kirchen, die Polizei muss Waffengewalt einsetzen. Um einen Bürgerkrieg zu verhindern, zieht Clemenceau die Reißleine. Die Gotteshäuser werden der Kirche zurückgegeben.

Die Weihe von Sacre-Coeur ist für den 17. Oktober 1914 vorgesehen. Doch am 1. August jenes Jahres bricht der Erste Weltkrieg aus. Erst als dieser nach vier blutigen Jahren endet, kann die Weihe am 16. Oktober 1919 erfolgen. Die Katholiken betrachten Frankreichs Sieg als göttliche Belohnung für den Bau von Sacre Coeur. Tausende Pariser strömen, aber kein Regierungsmitglied. Kriegsheld Clemenceau, inzwischen Premierminister, weigert sich noch immer, die Kirche zu betreten.

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