„Still ruht der See“. Bei Goethe. Bei Schiller lächelt er immerhin und „ladet zum Bade“. Es gibt also was zu lachen oder immerhin zum Schmunzeln. So verkündet es uns gleich zu Beginn (dramengemäß korrekt) auf der Seebühne im Mannheimer Luisenpark wenn auch kein Fischerknabe, so doch eine blondbezopfte Dragqueen, kostümiert als alpine Lack-Heidi. Wir sind also fraglos bei Hausregisseur Christian Weise, dem Geschlechterverdreher, Kostümierungsfreund und Ausstattungsfanatiker, ohne den das Schauspiel Christian Holtzhauers nicht vorstellbar ist. Insofern ist es schon ein Wunder, dass es keine „Wilhelmine Tell“ geworden ist, was bei den starken und einflussreichen Frauenfiguren in Schillers Stücken durchaus auch vorstellbar wäre.
Was Christian Weise nun geritten hat, Schillers ernstes und komplexes Schweizer Freiheits- und Historiendrama unter Wasser zu verlegen, ist die interessantere Frage. Man ist offensichtlich dem Kolorit der Seebühne erlegen, die in Kooperation mit der BUGA zum Spielort des Festivalauftakts auserkoren ward. Der Karpfenteich, der als Vierwaldstättersee fungiert und übrigens in Wahrheit Kutzerweiher heißt, nur damit das vor lauter evidenter Karpfenherrlichkeit (Gondoletta-Fahrer wissen warum) auch mal erwähnt wurde, ist Mannheims traditioneller Ort für das große volksnahe Freiluftsommervergnügen. Vielleicht musste die Sache deshalb zum „Karpfical“, also Karpfen-Musical werden.
Ernst nehmen – im echten wie im übertragenen Sinne – kann man den inklusive Pause knapp dreistündigen Abend eigentlich nicht, kuriosen Charme hat er dennoch. Die Stimmung im hernach herzlich applaudierenden Publikum geht daher auch von „absurd!“ bis „genial!“. Dazwischen sitzt ein Kritiker irgendwo zwischen Grausen, Kopfschütteln, Grinsen und Staunen, sortiert sein Sprechtheaterwerkzeug und stellt fest, dass es nicht greifen will. Stellen wir neutral fest: Der Abend fällt aus dem Rahmen, taugt zum Alleinstellungsmerkmal und wird einem unter zig gesehenen „Tells“ sicher nie mehr aus dem Kopf gehen ...
Unwetter verzieht sich
Während sich das angesagte Unwetter in Mannheim verzieht, findet es im Stück dank Tonabteilung (Will Villa und Thomas Nikolai) textbuchgemäß statt. Diese leistet generell Großes: Ob Mikroports oder Band-Sound – solche Textverständlichkeit und Aussteuerungsqualität ist unter freiem Himmel selten. Daran haben auch die Fischköpfe (Kostüme: Lane Schäfer) selbst Anteil, die mit ihrer Netzstruktur und großen Mäulern unangenehmes Hohltönen vermeiden und die Sprache, äh den Gesang aus Schauspielmündern frei strömen lassen. Der ist (in unterschiedlichen Güteklassen) mal öde deutschpoppig, mal jazzig, ruppig-rockig, musicalesk oder gar opernhaft und stammt von Falk Effenberger, der mit Steffen Illner und Jens Dohle als Goldforellenterzett in einem goldenen Kasten aufspielt. Überhaupt ist die ganze Schweiz (Bühne: Nina Peller) hier ein einziger Goldbarren unter schneebedeckt aufragender Toblerone.
Hier tobt der nasse Wahnsinn. Die Habsburger sind die Hechte im alpinen Karpfenteich, ihre Statthalter nicht nur in Sachen Kostüm wüste Welse und die Schweizer Kantonisten alles bunte Individualisten, die zur Einheit finden müssen, wollen sie nicht gefressen werden. Der Held Tell (intensiv mit Ironie: Christoph Bornmüller) will erst nicht recht mitspielen und wird erst durch den fiesen Landvogt Gessler (groß gefährlich und glänzend singend: Annemarie Brüntjen), durch dessen Forderung zum Apfelschuss, freilich ein Golden Delicious, zum Volkshelden, der nach Tyrannenmord zwar nicht die Flinte ins Korn, so doch die Armbrust ins Wasser wirft.
Das Drama auf der Showbühne
In den irrwitzigen Kostümen übernimmt das gesamte Ensemble mit spürbarer Spielfreude Mehrfachrollen. Oscar Olivo, Leonard Burkhardt, Patrick Schnicke, Sarah Zastrau und Jessica Higgins scheuen weder Wasser noch Tanzeinlagen, und Almut Henkel blüht stimmlich und gestalterisch von Jung-Berta bis Alt-Attinghausen förmlich auf. Damit Schüler und Schiller-Verwirrte nicht den Personal- und Handlungsüberblick verlieren, gibt Poetry-Slammer Nektarios Vlachopoulos dazwischen den gut gelaunten Deutschlehrer und Erklär-Bär. Er macht seine Sache, ziehen wir ein paar Kalauer und Schiller-Despektierlichkeiten ab, gewohnt gut. Und nun?
Was anfangs mit sommerlicher Leichtigkeit daherkommt, bleibt eine Weile frischer Wind – zumindest für den, der ihn sich gerne um die Schillernase wehen lässt. Nach der Pause aber wird das „Karpfical“ trotz aufwendiger Showmaschine lauer als die Sommernacht und hat, pardon, stellenweise den nur noch von liebenden Eltern wahrnehmbaren Charme eines Schul-Musicals. Wenn das politische Gerangel strenger – die blutigen Kämpfe sind ohnehin gestrichen – und die Sache ernster wird, kommt man in dieser Muppet Show mit originellen Masken nicht weiter. Man bespielt letztlich großartige Kostüme, Schiller-Charakteren begegnet man nicht. Ein einig Schwarm von Fischen zu werden hat Witz, aber keinen Sinn.
Heute bei den Internationalen Schillertagen
Eintanzhaus: Jeweils 15, 17, 19, und 21 Uhr, „Queens. Der Heteraclub“ von und mit Sibylle Peters.
Festivalzentrum Franklin: 16 Uhr, Eintritt frei, „Free Walking Tour“. 21 Uhr, Schill-Out mit Bia Ferreira. Eintritt frei.
Haus of Meamories: (vor dem Alten Kino) 17.30 Uhr, SWR2 Forum „Können wir den Planeten gesund essen?“, der Eintritt ist frei mit einem Vorstellungsbesuch am selben Tag.
Seebühne Luisenpark: 19 Uhr, „Wilhelm Tell“, Eintritt frei, BUGA-Tages-/Dauerkarte erforderlich, optionale Sitzplatzreservierung für 10 Euro.
Altes Kino Franklin: 19 Uhr, mit Kurzeinführung um 18.30 Uhr und anschließendem Nachgespräch, „Maria Stuart und Elisabeth – Ein Duell zweier Königinnen“. Gastspiel Thalia Theater Hamburg, ausverkauft. 23 Uhr, „Alle Menschen werden tanzen“. Party mit DJs aus Mannheim und Umgebung mit elaru & Day V. Jones.
Ticktes: telefonisch unter 0621/16 80 150. Weitere Informationen zum Programm, Aufführungen, Veranstaltungsorten und Anfahrtmöglichkeiten im Internet unter nationalteater-mannheim.de rcl
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