Das Interview

Chorleiter: „Aber Oper? Nein, das wäre mir zu stressig“

Der Chor des Nationaltheaters Mannheim sei für ihn sowieso für immer „Chor des Jahres“, sagt der scheidende Chordirektor Dani Juris im Interview. Er spricht über das, was war und an der Staatsoper in Berlin auf ihn zukommt

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Stefan M. Dettlinger
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Dani Juris im Chorsaal. © Rinderspacher

Herr Juris, Sie tauschen Mannheim gegen Berlin um. Mit welchem Gefühl gehen Sie nach sieben Jahren?

Dani Juris: Es ist nicht einfach für mich zu gehen. Der Chor und ich haben eine starke Beziehung aufgebaut. Gut ist, dass ich meinen Weggang vor einem Jahr bekanntgegeben habe. So konnten wir das Jahr noch genießen. Der Chor hat super reagiert. Alle freuen sich für mich und verstehen, dass ich diesen Schritt gehe. Das fühlt sich richtig an. Das Votum des Chores in Berlin war auch eindeutig für mich. Also das ist schon ein melancholischer Abschied. Aber ich habe den Chor weit vorangebracht. Natürlich wäre ich lieber gegangen, wenn es dem Theater besser geht.

Blöde Frage: Warum gehen Sie?

Juris: Da erfüllt sich schon auch mein Ehrgeiz. Während Corona habe ich mir gedacht, dass ich mal so ein Auswahlverfahren machen möchte, um zu sehen, wo ich stehe. Als Berlin mich aber haben wollte, war es keine Option, Nein zu sagen.

Es ist also nicht die Sanierung?

Juris: Überhaupt nicht. Ich will schon Karriere machen und den Menschen die Erfahrung schenken, die ich hier in Mannheim gesammelt habe. Ich habe auch das Glück, dass vieles, was wir hier einstudiert haben, in den nächsten Spielzeiten in Berlin auf dem Programm steht.

Sie haben es angesprochen: Für das Theater ist es eine schwierige Zeit. Was denken Sie über die Oper in Mannheim in diesen Tagen?

Juris: Es ist schon schwer. Die Menschen im Chor haben eine große Sehnsucht nach der großen Bühne. Im Moment hat man das Gefühl: Ja, das kommt alles wieder, aber wir wissen nicht, wann. Ich wäre nach Corona gern in einen Zustand der Normalität gegangen. Der kam auch für kurze Zeit, aber jetzt ist ein ähnlicher Ausnahmezustand wieder da.

Nun also Berlin. Die Staatsoper ist eines der wichtigsten Häuser Deutschlands – auch wegen Daniel Barenboim. Wie groß ist Ihr Respekt vor der neuen Aufgabe?

Juris: Sehr groß. Gleichwohl habe ich das Wissen in mir, dass ich das schaffe. Ich bin wirklich jemand, der diesen Job als Chordirektor machen möchte. Das ist nicht selbstverständlich. Viele wollen gern Oper dirigieren. Also ich will beim Chor bleiben. Dann: Menschlich kann ich auch mit schwierigen Situationen umgehen. Ich spreche da von Regisseuren und Kapellmeistern. Da braucht man schon soziale Kompetenz. Und da haben mich die sieben Jahre hier sehr viel gelehrt. Berlin ist eines der Top-Häuser der Welt. Der Chor wird unglaublich viel zu tun haben. Aber die sind willig. Wir packen das.

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Barenboim war 20 Jahre GMD. Derzeit wird die Nachfolge gesucht. Haben Sie eine Wunschlösung?

Juris: Ich wünsche mir jemanden, die oder der meinen Job versteht und auch menschlich so ist, dass man gut zusammenarbeiten kann, der also nicht denkt, der Chordirektor sei sein Sklave. Ich weiß aber, dass das dauern wird. Zuerst arbeiten wir mit renommierten Gästen – von Zubin Mehta bis Simon Rattle.

Intendant Schulz ist jung, Sie auch. Wird es eine junge Lösung?

Juris: Für mich ist das Alter egal. Für mich ist die Motivation wichtig.

Rückblick auf Mannheim: Gibt es Dinge, wo Sie sagen, die sind besonders gut, und andere, die sind nicht so gut gelaufen?

Juris: Da muss ich kurz überlegen (was Juris tut). Was ich toll fand, war die Selbstverständlichkeit vor Corona, fast jeden Abend etwas anderes zu spielen und an Vormittagen noch für eine andere Produktion zu proben. Diese Arbeitsmoral fand ich besonders schön. Die Unterstützung und Wertschätzung für meine Arbeit von Intendant Albrecht Puhlmann, Direktor Thomas Hermann und dem Chor war immer hoch. Ob das in Berlin auch so ist, weiß ich nicht, hoffe es aber sehr. Was nicht so gut gelaufen ist (überlegt sehr lang): Während der Pandemie war das schon sehr frustrierend zu sehen, wie die anderen früher schon große Sachen gespielt haben, während wir mit 16 Sängern noch hinter Plexiglas standen. Das war psychisch sehr belastend.

Der Staatsopernchor hat nicht so ein gutes Standing?

Juris: Die müssen bei Proben Stühle selber mitbringen, habe ich gehört. Das muss sich ändern. Die arbeiten so viel und gut wie das Orchester und sollten genauso anerkannt sein.

Dani Juris’ Abschied

  • Dani Juris wurde 1984 in Moskau geboren und wuchs in Finnland auf. Er studierte Chormusik in Helsinki und Graz und machte 2011 den Magister.
  • Zahlreiche Chöre leitete Juris schon und holte den 1. Preis beim Internationalen Wettbewerb für junge Chorleiter in Ljubljana, bevor er 2016 als Chordirektor ans Nationaltheater Mannheim kam. Ab Herbst 2023 wird er in gleicher Funktion an der Berliner Staatsoper Unter den Linden tätig sein.
  • Abschiedskonzert: Samstag, 15. Juli, 18 Uhr, Christuskirche Mannheim. Auf dem Programm unter dem Motto „Fest- und Gedenksprüche“ stehen Werke von Brahms, Sibelius, Sidoroff, Kalinnikov, Händel, Miyo, Fougstedt und Fauré. Juris dirigiert Orchester und Chor des Nationaltheater Mannheim.
  • Info/Karten: 0621/1680 150.

Opernchor des Jahres war Mannheim vor Ihrer Zeit. Ist das etwas, woran man sich misst, dass man einen Opernchor des Jahres übernimmt und …

Juris: … es dann nicht noch mal schafft (lacht). Nein, also dafür mache ich die Arbeit nicht. Wichtiger ist mir, wenn mich die Leute nach der Vorstellung in der Tram ansprechen und sagen: Der Chor war heute wieder so toll und diese oder jene Stelle war besonders schön. Oder im Supermarkt. Die Mannheimer sind sowieso für mich immer Chor des Jahres.

Das wird man in Berlin nicht gern hören oder lesen …

Juris: O Gott, ja (lacht laut). Das stimmt natürlich. Jetzt kommt etwas Neues, okay. Aber wir haben eben eine sehr enge Beziehung aufgebaut.

Mannheim war Ihre erste große Opernstelle. Wo sehen Sie Ihre speziellen musikalischen Qualitäten?

Juris: Ich singe selbst im Chor, seit ich denken kann. Ich komme aus einem musikalischen Elternhaus und habe mit Klavier angefangen. Ich bin Pianist. Für jemanden, der Opernchöre einstudiert, ist das Klavierspielen eine große Hilfe. Mein Studium war sehr von Schlagtechnik und Probenarbeit geprägt. Wir hatten in Finnland im Studium immer einen Profichor dabei. Und was für die Choristen erfrischend zu sehen ist: – dass ich zwar der Dirigent bin, dass ich aber auch tun kann, was sie tun.

Die Chormusik der baltischen Staaten, aber auch Finnlands, ist eine ganz besondere, wenn man will: eine mit großer Reinheit. Ist Ihnen das in die Wiege gelegt?

Juris: Wahrscheinlich. Ich habe darüber nicht nachgedacht. Es kommt darauf an, dass sich der Chorgesang mischt. Dafür braucht man besondere Sänger, die auch musikalisch intelligent sind und nicht nur auf die eigene Stimme hören. Sie haben recht: In Finnland ist Chorgesang schon wichtiger Teil der Kindheit. Wir singen sehr viel. Und ich arbeite auch viel mit Vorstellung. Das funktioniert auch in Profichören.

Sie sind in Moskau geboren. Wie kam das?

Juris: Meine Eltern haben in Moskau studiert, meine Familie ist sehr international. Aber als ich ein Jahr alt war, sind wir nach Finnland gezogen, wo ich aufgewachsen bin.

Barenboim ist sehr politisch und hat sich für das Verhältnis von Juden und Palästinensern eingesetzt. Und Sie? Verstehen Sie, was da gerade passiert in der Ukraine?

Juris: Bei uns in Finnland sitzt das Trauma noch sehr tief, dass wir die besetzten Gebiete nach dem Zweiten Weltkrieg abgeben mussten. Ich spreche vor allem von Karelien. Über zehn Prozent der finnischen Bevölkerung musste damals evakuiert und umgesiedelt werden, auch die Großeltern meines Lebenspartners. Deswegen finde ich es auch die einzige richtige Lösung, dass Finnland jetzt in der Nato ist. Ich war immer dagegen, und viele, die vor Russland gewarnt haben, wurden belächelt. Seit dem Krieg gegen die Ukraine hat sich das total geändert. Ich werde nicht mehr nach Russland gehen. Das ist sehr traurig, weil sowohl meine Eltern als auch ich eine emotionale Beziehung zu Menschen dort haben.

Nun verabschieden Sie sich mit großer Besetzung in der Christuskirche. Haben Sie keine Lust, Opern zu dirigieren, könnten es aber?

Juris: Also ich habe die großen Apparate öfter mal dirigiert. Das ist schon schön. Ich freue mich auch jetzt auf mein Abschiedskonzert – mit Werken auch aus meiner Heimat. Aber Oper? Nein, das wäre mir zu stressig (lacht). Viele wundern sich, wenn ich das so klar sage. Aber ich möchte einfach mit Chören arbeiten, für mich ist es völlig in Ordnung, im Hintergrund zu agieren. Wenn ich ein-, zweimal im Jahr etwas Großes dirigieren darf, freue ich mich wahnsinnig. Aber wenn ich mir vorstelle, das regulär zu tun – nein, es sei denn, es wäre eine Oper mit dem Chor als Protagonist wie in Händels „Hercules“, was wir in meiner ersten Spielzeit gemacht haben. Aber wenn ich an Wagner, Verdi denke, das überlasse ich gerne anderen und leiste meinen Beitrag dazu.

Ressortleitung Stefan M. Dettlinger leitet das Kulturressort des „MM“ seit 2006.

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