Herr Weber, wie würden Sie Ihr Verhältnis zum Dialekt Ihrer Heimat beschreiben?
Markus Weber: Dialekt ist ursprünglich eine rein regionale Barriere. Man erkennt sich in seinem Dialektgebiet. Und Dialekt ist daher auch ein Stück Heimat, das man in sich trägt, wie Goethe gesagt hat, das man mit in die Welt nimmt. Die Menschen haben daraus leider eine soziale Barriere gemacht - wer Dialekt spricht, gilt als sozial tief stehend, als ungebildet. Und dagegen kämpfe ich. Wie oft haben wir als Kind gehört: „Kind, schwätz rischdisch!“
Unsere Mundart ist keine falsche Sprachvariante, es ist eine eigene Sprache
Aber unsere Mundart ist keine falsche Sprachvariante, es ist eine eigene Sprache mit einer eigenen Systematik. Das heißt, wir werden eigentlich zweisprachig groß. Und man weiß, dass Dialekt-Sprecher, die auch Hochdeutsch können, viel besser Fremdsprachen lernen, weil ihnen schon verschiedene Grammatiken und verschiedene Lautlehren mitgegeben sind. Ich kämpfe gegen diese soziale Barriere, ich möchte den Dialekt rehabilitieren. Aber mit sinnvollen und wertvollen Inhalten. Und deshalb mache ich Mundartkabarett, und zwar als Wissenschaftskabarett, als sprachwissenschaftliches Kabarett.
„Glaawe ses?“ heißt das Programm. Wie haben Sie es konzipiert?
Weber: Ich habe den Kurpfälzer Dialekt analysiert. Es gibt dafür noch keine geschriebene Grammatik. Ich habe die Regeln für die Lautlehre und Grammatik gefunden, und die erkläre ich in diesem Programm: „Glaawe ses?“ ist sozusagen eine Vorlesung über den Dialekt im Dialekt. Dadurch bestätige ich die heutige Dialektforschung, die sagt, dass eine Mundart, sobald sie eine eigene Grammatik hat, als eigene Sprache gilt. Ich springe dabei zwischen Hochdeutsch und Dialekt, und dann wird das alles erklärt. Das heißt, die „Roigeplaggde“, die nicht hier geboren sind, bekommen unseren Dialekt nahegebracht. Und die Eingeborenen sind hinterher stolz, dass sie diese Sprache können. Und ich bin ausverkauft, die Leute lachen sich kaputt, es kommen auch immer mehr junge. Das macht mir Freude, dass die Leute hinterher rausgehen und sagen, wir haben wieder Spaß an unserem Dialekt.
Sie haben zwei CDs mit Grimms Märchen auf Woinemerisch und zuletzt ein woinemerisch-hochdeutsches Märchenbuch veröffentlicht. Warum haben Sie dieses literarische Genre gewählt?
Weber: Weil die Leute beim Märchen eine Matrix im Kopf haben. Sie kennen „Rotkäppchen“, sie kennen „Schneewittchen“. Märchen sind unsere erste Begegnung mit Literatur im Leben. Das Märchenbuch aus der Kindheit ist, glaube ich, das Buch, was man nie wegwirft. Und weil ich die Märchen hier verortet und etwas abgewandelt habe, spüren die Leute die Diskrepanz zum Ursprung - und das macht dann auch die Heiterkeit aus. Die Märchen auf den CDs sind in reinem Dialekt - da ist überhaupt nichts in Hochdeutsch -, weil die Leute diese Matrix im Kopf haben. Die wissen ja, was passiert. Das Märchenbuch habe ich aber zweisprachig aufgezogen, denn dabei ging es mir darum, mit der Lautschrift festzuhalten: 2022 hat man das so ausgesprochen. Denn wir können heute schon keine Musikkassetten mehr abhören, keine Videokassetten mehr ansehen, junge Leute haben keinen CD-Player mehr. Es gibt nur noch den Datenstick oder den QR-Code - und den kann ich in 50 Jahren auch nicht mehr abrufen. Aber ich habe ein Märchenbuch der Brüder Grimm aus dem Jahre 1822, das kann ich heute noch lesen.
Markus Weber
- Markus Weber wurde 1956 in Mannheim geboren und wuchs in Weinheim auf. Der promovierte Sprachwissenschaftler studierte Romanistik, Altphilologie und Pharmazie.
- Mit seinem kabarettistischen Sprachkunde-Programm „Glaawe ses?“ ist der vielseitige Bühnenkünstler wieder am 28. November im Mannheimer Capitol sowie von 6. bis 8. Oktober, 24. bis 26. November und von 28. bis 29. Dezember in der Ulner Kapelle in Weinheim zu Gast.
- Webers beide „Weinheimer Märchen“-CDs und das gleichnamige Buch sind 2021 im Verlag Regionalkultur erschienen.
- Als nächstes Projekt schreibt Weber ein Kochbuch mit alten Weinheimer Gerichten und Backrezepten. Anschließend will er eine Grammatik des lokalen Dialekts verfassen und veröffentlichen.
Sie sind Pharmazeut und promovierter Sprachwissenschaftler, machen Kabarett, Zauberei und Literatur, singen Chansons - das ist eine nicht ganz gewöhnliche Bandbreite ...
Weber: Ich wollte eigentlich immer zum Theater. Von der Familie hieß es: „Mach was Gscheits!“ Dann habe ich klassische Philologie und Romanistik studiert, habe über Ovid promoviert. Und hatte schon ein Professurthema, um mich zu habilitieren. Das war aber die Zeit, als in den Geisteswissenschaften gespart wurde. Dann war unser Sohn unterwegs und meine Frau sagte: „Ich bin Apothekerin, mach doch noch Pharmazie. So lange du studierst, ernähre ich die Familie, und wenn du fertig bist, bist du dran.“ Also habe ich noch Pharmazie studiert, und der größte Ansporn war der Kommentar meiner Tante: „Das schaffst du nie!“ Und ich habe es geschafft. Dann haben wir zusammen die Apotheke in Weinheim eröffnet. Aber ich habe immer mit Zauberei während des Studiums noch die Familie ernährt. Ich habe auf dem Heidelberger Herbst Straßenzauberei gemacht und privat noch Schauspiel- und Gesangsunterricht genommen. Mich reizt eben diese künstlerische Spannbreite.
Daneben haben Sie mit Fräulein Baumann eine Bühnenfigur geschaffen, die auch weit über die Fasnacht seit Jahrzehnten bekannt und beliebt ist …
Weber: Fräulein Baumann ist für mich eine Comedy-Figur - ich spiele eigentlich Theater, ich spiele die komische Alte. Das ist Unsinn mit Tiefsinn. Meine Mundartprogramme sind dagegen Wissenschaftskabarett, was Hirschhausen mit Medizin macht, mache ich mit Sprache und Heimat. Die Märchen waren mein „Corona-Hoamoffice“, als ich nicht auftreten konnte. Ich stand zwar nicht auf der Bühne, aber ich war mit den CDs und dem Buch dennoch bei den Leuten „dahoam“, also zuhause präsent.
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